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Digitaler Analyst für Titandampf-Kammern und Megabit-Chips

 Dr. Alexander Dementyev (links), Manfred Benesch (Mitte) und Dr. Hellmuth Kubin führen ihr Prozessanalyseprogramm "ADM" auf einem Notebook in der Informatikfakultät der TU Dresden vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Dr. Alexander Dementyev (links), Manfred Benesch (Mitte) und Dr. Hellmuth Kubin führen ihr Prozessanalyseprogramm „ADM“ auf einem Notebook in der Informatikfakultät der TU Dresden vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Team der TU Dresden entwickelt mit „ADM“ eine Software, die auch nicht live ausmessbare Prozesse mathematisch „durchleuchten“ kann

Dresden, 1. September 2022. Manche Arbeitsschritte sind einfach zu überprüfen: Zahnrad auf die Welle drauf, mit dem Messschieber kontrollieren – und notfalls mit dem Gummihammer noch ein wenig nachhelfen. Doch es gibt auch industrielle Prozesse, die sind so heiß wie die Hölle oder so eisig-dünn wie der Kosmos: Temperaturen von mehreren Tausend Grad in einer Titandampfwolke beispielsweise hält kein Sensor aus. Und so kann der Maschinenbediener eben erst hinterher sehen, ob er Ausschuss produziert hat oder Qualitätsarbeit – wenn alles schon erkaltet und zu spät ist.

Komplexe technische Prozesse durchleuchten

In solchen Fällen kommt ein digitaler Analytiker ins Spiel, wie ihn Dresdner Team um Dr. Hellmuth Kubin, Dr. Alexander Dementyev und Manfred Benesch an der TU Dresden über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat: Ihre Software „Advisory Data Modeling“ (ADM) analysiert komplexe technische Prozesse, formt aus den gewonnen Daten ein mathematisches Modell. Damit ermittelt ADM dann, wie Hitze, Luftfeuchtigkeit, Druck oder andere Einflussfaktoren die Qualität des fertigen Produktes beeinflusst haben, selbst wenn sich das in der Maschine gar nicht direkt messen lässt. Und schließlich gibt dieser digitale Experte dem Nutzer dann Verbesserungsvorschläge. Dieses Werkzeug will das Team nun allen Professoren und Studierenden der Uni für deren Experimente zur Verfügung stellen.

„Programm, dass so einfach ist, dass es auch meine Mutter bedienen kann“

„Mein Ziel war ein Programm, dass so einfach und intuitiv ist, dass es auch meine Mutter bedienen kann“, erzählt Hellmuth Kubin, der vor fast vier Dekaden mit der Entwicklung dieser Software in Dresden begonnen hatte und inzwischen selbst schon 77 Jahre alt ist. „Anders als bei herkömmlichen Lösungen braucht der Nutzer bei unsere Software weder Mathe- noch Programmierkenntnisse.“

Vorläufer schon in der DDR-Chipindustrie im Einsatz

Sein Dreh dabei: Wenn sich Prozessparameter nicht direkt, sondern nur nachträglich messen lassen, können ersatzweise mathematische Modelle aufzeigen, was da eigentlich im Innern der Maschine passiert, wo es hakt, wo Optimierungspotenzial schlummert. Dieser Ansatz bewährte sich beizeiten in der Hochtechnologie-Industrie: Als das „Zentrum Mikroelektronik Dresden“ (ZMD) in den 1980ern einen eigenen ostdeutschen Megabit-Speicherschaltkreis entwickelte, half bereits Kubins Software mit, die komplexen Fertigungsprozesse in den Griff zu bekommen.

Seitdem hat er das Tool ständig weiterentwickelt. Auch sind junge Ingenieure und Programmierer wie eben Alexander Dementyev und Manfred Benesch an Bord gekommen – und neue Partner und Anwender. Das Fraunhofer-Strahltechnikinstitut FEP zum Beispiel setzt die Software ein, um einen eine Veredelungsanlage zu verfeinern, die bei Temperaturen um die 3200 Grad harte, aber dünne Titanschichten im Vakuum auf Stahlblech aufdampft. Hier analysiert der digitale Berater beispielsweise, wie sich kleine Veränderungen beim eingespeisten Strom, der Bandgeschwindigkeit oder Druck auf die Schichtdicke und -qualität auswirken. Bei einem anderen Partner hat ADM eruiert, wie sich die Luftfeuchtigkeit in der Werkhalle auf die Güte der gegossenen Alu-Prototypen auswirkt. Auch in der Solarindustrie, organischen Elektronik und anderen Branchen war beziehungsweise ist die an der Uni entwickelte Software im Einsatz.

Nun möchten die Entwickler ihr digitales Werkzeug auch einer breiteren Forschergemeinde zur Verfügung stellen, vor allem Wissenschaftlern und Studierenden an der TU Dresden. „Wir wollen vor allem erreichen, dass unser Tool in der Universität am Leben bleibt“, betont Alexander Dementyev. Denn die Software habe ihr Potenzial noch gar nicht voll augeschöpft. „ADM könnte zum Beispiel auch sehr gut für Experimente in der Physik, Verfahrens-, Elektro- und Energietechnik und im Maschinenbau eingesetzt werden“, ist er überzeugt. „Eben überall, wo es gilt, komplexe Zusammenhänge zwischen vielen Daten zu finden.“

Kontakt: manfred.benesch@tu-dresden.de

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt