News, Roboter, zAufi

Stählerne Keller und Köche: Roboter erobern Service-Sektor

Eine Nao-Roboterin erklärt den Besuchern im Futurium Berlin, wie sie die Zeitmaschine benutzen. Foto: Heiko Weckbrodt

Eine Nao-Roboterin erklärt den Besuchern im Futurium Berlin, wie sie die Zeitmaschine benutzen. Foto: Heiko Weckbrodt

IDTechEx: Markt für Dienstleistungsroboter wächst bis 2032 auf 70 Milliarden Dollar

Cambridge, 26. April 2022. Stählerne Kellner, Pfleger und Köche werden bald eine wachsende Rolle in unserem Alltag spielen – auch in Europa. Laut einer Analyse des britischen Forschungs-Unternehmens „IDTechEx“ aus Cambridge wird der Weltmarkt für Dienstleistungs-Robotik in dieser Dekade stark wachsen und 2032 ein Umsatzvolumen von über 70 Milliarden US-Dollar (65,2 Milliarden Euro) erreichen.

Robotik keine Domäne von Industrie und Militär mehr

„Roboter haben das Potenzial, so viele Aspekte der modernen Welt zu revolutionieren, bis hin zur Verbesserung unseres Alltags“, schreiben die Analysten Yulin Wang und Zehao Li in ihrem Bericht „Serviceroboter 2022-2032: Technologien, Akteure & Märkte“. Zwar befinde sich dieser Teilmarkt noch in einem viel früheren Entwicklungsstadium als bei den Industrierobotern. Doch die Bemühungen seien weltweit unübersehbar, mehr Roboter für die Logistik, Lieferungen, soziale Aufgaben, für die Reinigung und Desinfektion, als Köche und Kellner, aber auch als in der Landwirtschaft und unter Wasser einzusetzen.

Der "Cube Stocker" gehört zu den neueren Fabmatics-Produkten: Ein Sechs-Achs-Roboter lagert hier vollautomatisch Wafer-Kassetten ein. Foto: Fabmatics

Der „Cube Stocker“ gehört zu den neueren Fabmatics-Produkten: Ein Sechs-Achs-Roboter lagert hier vollautomatisch Wafer-Kassetten ein. Foto: Fabmatics

Dynamisches Wachstum vor allem für Lagerroboter erwartet

Eine besonders dynamische Entwicklung prophezeien die Autoren vor allem für den Robotereinsatz in der Logistik. Denn die Industrie ist längst dabei, Beispiellösungen für hochautomatisierte Lager, autonome Transportsysteme und andere Roboter zu schaffen, die immer mehr Nachahmer finden. Zudem sind viele Lager- und Logistikaufgaben technisch vergleichsweise einfach automatisierbar. Die von Visionären wie Elon Musk beschworenen Konvois aus Roboterlastern, die in dicht gepackten Kolonnen im „Platooning“-Modus über die Autobahnen rasen, scheitern bisher zwar immer noch an vielen praktischen Problemen. Aber Lagerarbeiter, die Teile von A nach B schleppen und in ein Regalfach stapeln, dürften über kurz oder lang eine aussterbende Spezies – zumindest für Großlager – werden. „Dank der relativ geringen technischen Komplexität und des massiven Nachfragemarktes haben Logistik- und Lieferroboter eine vielversprechende Zukunft“, argumentieren Yulin Wang und Zehao Li. Sie rechnen daher mit jährlichen Zuwachsraten um die 21 Prozent in diesem Sektor.

Der UVD-Roboter von Blue Ocean Robotics tötet in Krankenhäusern die Keime in Patientenzimmern. Foto. Blue Ocean Robotics

Der UVD-Roboter von Blue Ocean Robotics tötet in Krankenhäusern die Keime in Patientenzimmern. Foto. Blue Ocean Robotics

Corona-Schub für Saubermach-Roboter

Als zweitgrößte Anwendung in der Dienstleistungsbranche sehen sie die Reinigungs- und Desinfektionsroboter, deren Einsatz in der Corona-Zeit noch einmal einen kräftigen Schub bekommen hat. Während der Pandemie stieg einerseits die Nachfrage nach solchen Robotern, um beispielsweise das Infektionsrisiko von Pflegern und Krankenschwestern in Kliniken zu mindern. Anderseits haben auch viele Unternehmen und Institute weltweit – darunter auch Fraunhofer in Deutschland – neue Roboter konstruiert, die hochautomatisiert Desinfektionsmittel auf Klinken sprühen, mit Ultraviolett-C-Strahlen ganze Räume tagtäglich entkeimen und dergleichen mehr können.

Der Elwobot soll künftig helfen, Obst- und Weingärten zu besprühen und zu mulchen. Der Roboter ist extrem wendig und kann sich auch seitwärts bewegen. Die Visualisierung zeigt ihn mit möglichen Aufbauten. Visualisierung: TUD-Juniorprefessur für technisches Design

Der Elwobot soll künftig helfen, Obst- und Weingärten zu besprühen und zu mulchen. Der Roboter ist extrem wendig und kann sich auch seitwärts bewegen. Die Visualisierung zeigt ihn mit möglichen Aufbauten. Visualisierung: TUD-Juniorprefessur für technisches Design

Immer mehr Lösungen auch für Landwirtschaft – Agrarroboter bleiben aber eine Preisfrage

Viele Forschungsansätze und Prototypen gibt es inzwischen auch für Agrarroboter, die beispielsweise Äcker in vernetzten Schwärmen bestellen und besonders punktgenau düngen, Obstgärten pflegen oder als Drohnen die Ernte überwachen und optimieren. Beispiele dafür sind die autonomen Feldschwarm-Fahrzeuge und Elwobot-Gartenroboter, die jüngst in Sachsen entwickelt worden sind. Allerdings fahre die Landwirtschaft mittlerweile so geringe Gewinne ein, dass „die hohen Anschaffungskosten des landwirtschaftlichen Roboters ein weiteres Hindernis für die Marktakzeptanz darstellen könnten“, heißt es im Bericht. Zudem müssen sich Agrarroboter zumeist im Freien bewegen und orientieren. Und dies ist weit anspruchsvoller als die Montage eines festen Industrieroboters oder selbst die Innenraum-Navigation, die ein Reinigungsroboter beherrschen muss.

So etwa soll der künstliche Pflegeheim-Nachtwächter aussehen, den die HTW zusammen mit Partnern entwickeln will. Auch einen Namen hat der Roboter schon: In Anlehnung an Sachsens wohl berühmtesten Kurfürsten (August der Starke) haben ihn die HTW-Tüftler "August der Smarte" getauft- Letztlich basiert der mobile Assistent basiert allerdings auf einem Basisdesign aus Thüringen: auf der Roboter-Plattform der Firma MetraLabs Ilmenau. Foto: HTW Dresden

So etwa sieht der künstliche Pflegeheim-Nachtwächter „August“ aus, den die HTW zusammen mit Partnern entwickelt hat. Foto: HTW Dresden

Sozialroboter brauchen mehr „Grips“ als ihre Kollegen in der Industrie

Technologisch eine ganze Liga anspruchsvoller sind auch Roboter für den alltäglichen Umgang mit Menschen in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Restaurants oder in Privathaushalten. Sie benötigen ein hohes Maß an „Künstlicher Intelligenz“ (KI), um zum Beispiel mit Menschen interagieren zu können und sich kollisionsfrei in Räumen zu bewegen, in denen auch Menschen unterwegs sind. Einen vollqualifizierten Pfleger oder die soziale Kompetenz einer erfahrenen Kellnerin werden sie auf absehbare Zeit wohl auch kaum ersetzen können. Viele Teilaufgaben in Gastronomie und Sozialwesen, die bisher von Hilfskräften erledigt werden, lassen sich aber in der Tat automatisieren, wie Japan, China und andere asiatische Länder bereits vorgemacht haben: Dort sind Restaurants, in denen der Gast per Tablet am Tisch bestellt und dann Roboter oder Lieferbänder das zubereitete Essen automatisch bringen, keine Seltenheit mehr.

Ceti-Forscher haben unter andere auch diesen Barkeeper-Roboter entwickelt. Foto: Heiko Weckbrodt

Ceti-Forscher haben unter andere auch diesen Barkeeper-Roboter entwickelt. Foto: Heiko Weckbrodt

Roboter als Köche und Barkeeper

Und längst gibt es auch schon vielversprechende Ansätze, Roboter auch als Köche und Barkeeper auszubilden. Das junge Unternehmen „DaVinci Kitchen“ betreibt beispielsweise in Leipzig Glasboxen, in denen Roboter einmal gelernte Pasta-Kochrezepte haargenau immer wieder reproduzieren. Und das Ceti-Exzellenzcluster entwickelt derzeit eine Zukunftsbar, an der Roboter-Barkeeper Drinks und später auch Steaks zubereiten sollen.

In Japan experimentieren Forschungseinrichtungen wie das Riken-Zentrum bereits seit Jahren mit dem Robotereinsatz in Haushalten und in der Pflege. Hier ist zum Beispiel ein "Robobear" zu sehen, der einen Menschen tragen kann. Foto: Riken

In Japan experimentieren Forschungseinrichtungen wie das Riken-Zentrum bereits seit Jahren mit dem Robotereinsatz in Haushalten und in der Pflege. Hier ist zum Beispiel ein „Robobear“ zu sehen, der einen Menschen tragen kann. Foto: Riken

Als Pflegehelfer und künstliche Freunde einsetzbar

Auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern können Roboter beispielsweise Pflegern bei körperlich schweren Arbeiten – etwa dem Bewegen bettlägriger Patienten – helfen. In Japan und England experimentieren Heime teils schon recht erfolgreich mit Roboter-Hunden und -Robben, die Senioren und speziell auch Demenzkranken als eine Art Haustierersatz dienen. Das Luxemburger Unternehmen LuxAI setzt humanoide Roboter ein, um autistischen Kindern einen Freund und Helfer an die Seite zu geben. In Dresden schicken Ingenieure spezielle Roboter in Altenheime, die dort gemeinsam mit Senioren singen, aber auch demente nächtliche Ausreißer wieder einsammeln. All dies sind Tätigkeiten, für die in vielen Heimen das Personal fehlt – aus Kostengründen und wegen des generellen Arbeitskräftemangels.

Die QT-Roboter aus Luxemburg sollen autistischen Kindern helfen, Gefühle richtig einzuordnen. Foto: LuxAI

Die QT-Roboter aus Luxemburg sollen autistischen Kindern helfen, Gefühle richtig einzuordnen. Foto: LuxAI

U-Roboter machen sich auch im zivilen Sektor breit

Unterwasserroboter wiederum setzt das Militär bereits seit geraumer Zeit ein. Inzwischen diffundiert diese Technologie aber auch in den zivilen Sektor: Statt Taucher loszuschicken, wollen Ölplattform-Betreiber künftig U-Roboter ins Meer schicken, damit sie Inspektionen und Reparaturen an den Plattformen erledigen.

Ein Team vom „Smart Ocean Technologies“ (SOT) experimentiert mit einem Unterwasser-Roboter. Foto: Fraunhofer IKTS / SOT

Ein Team vom „Smart Ocean Technologies“ (SOT) experimentiert mit einem Unterwasser-Roboter. Foto: Fraunhofer IKTS / SOT

Gesellschaftliche Verschiebungen zu erwarten

Zwar scheitert letztlich mancher Robotereinsatz, der zunächst ganz naheliegend erschien, später an praktischen Hürden – das zeigt alle Erfahrung der vergangenen Dekaden. Dennoch kann kaum Zweifel mehr daran bestehen, dass Roboter ganz verschiedener Bauart künftig eine wachsende Rolle im Dienstleistungssektor spielen werden. Die daraus erwachsenden Arbeitsmarkteffekte und sozialen Auswirkungen streift IDTechEx in dieser Marktanalyse zwar nur. Aber es ist absehbar, dass sich aus dem verstärkten Robotereinsatz jenseits der Industrie erhebliche gesellschaftliche Veränderungen ergeben werden. Unter anderem könnten dadurch nach und nach auch hier viele Jobs für Niedrigqualifizierte wegfallen, die vergleichsweise einfach automatisierbar sind. Nicht völlig unwahrscheinlich ist die Prognose, dass manch Wirt, Bäcker oder Bauunternehmer auf steigende Mindestlöhne und Fachkräftemangel mit stärkerer Automatisierung und speziell auch mit Robotereinsatz reagieren wird.

Roboter beherrschen immer komplexe Tätigkeiten

„Insgesamt ist das Potenzial, berufliche Tätigkeiten durch den Einsatz neuer Technologien zu ersetzen, auch 2019 noch immer in den Helfer- und Fachkraftberufen am höchsten“, schätzt auch das Arbeitsagentur-nahe „Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ (IAB) ein. „In den betreffenden Berufen könnten durchschnittlich fast 60 Prozent der Tätigkeiten automatisiert erledigt werden.“ Durch den Einsatz von neuen digitalen Technologien könnten zunehmend aber auch Jobs von höher qualifizierten automatisiert werden, warnt Britta Matthes, die im IAB die Forschungsgruppe „Berufe in der Transformation“ leitet: „Die in den letzten Jahren marktreif gewordenen Technologien sind eher auf die Substitution komplexerer Tätigkeiten ausgerichtet.“

Zudem bleibt natürlich die alte Frage, wieviel Akzeptanz Roboter als Krankenpfleger, Kellner oder künstliche Freunde in nur noch wenig technikaffinen Ländern wie Deutschland finden werden.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: IDTechEx, IAB, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt