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Keramikexperten bringen Glas das Leuchten und Heizen bei

Durch die Kombination von Glaspulver und Graphit können elektrisch leitfähige und selbstheizende Mikroreaktoren oder Tiegel für die Chemie- und Pharmaindustrie realisiert werden. Foto: Fraunhofer-IKTS

Durch die Kombination von Glaspulver und Graphit können elektrisch leitfähige und selbstheizende Mikroreaktoren oder Tiegel für die Chemie- und Pharmaindustrie realisiert werden. Foto: Fraunhofer-IKTS

Dresdner Fraunhofer-Ingenieure biegen einem alten Material mit keramischen Technologien neue Tricks bei

Dresden, 29. März 2022. Glasschmuck, der im Dunkeln romantisch nachleuchtet, Trinkgläser, die den Tee darinnen ganz ohne irgendwelche Heizgeräte automatisch warm halten, oder Glastische, die ansiedlungsfreudige Viren und Bakterien selbstständig eliminieren – all dies scheint unserer Alltagserfahrung völlig zu widersprechen, was Glas kann. Und doch ist das inzwischen in greifbare Nähe gerückt. Um solche funktionalisierten und präzisionsgeformten Gläser zu erzeugen, haben Forschungsteams vom Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) in Dresden ihre Erfahrungen mit keramischen Verfahren auf die Glasfertigung übertragen.

Neue Perspektiven für Glas in Luftfahrt, Autobau und Labortechnik

Damit eröffnet sich eine Vielzahl neuer Einsatzfelder in der Luftfahrt, Sicherheitstechnik, im Fahrzeugbau oder in der Labortechnik, für die Glas bisher kaum in Frage kam, meinen die Fraunhofer-Experten. Je nach eingesetztem Verfahren sind nun ganz unterschiedliche und komplexe Formgebungen und Eigenschaften möglich, die früher entweder überhaupt nicht realisierbar waren oder teure und teils umweltschädliche Nachbearbeitungsschritte erforderten. Dazu gehören eine breit gefächerte Farbpalette, aber auch metallfreie, elektrisch leitfähige, heizende, antibakterielle, nachleuchtende und magnetische Gläser. Zudem senken die IKTS-Ansätze in vielen Fällen den Verbrauch von Energie, Arbeitszeit und anderen Ressourcen bei der Produktion und Verarbeitung von Glas.

Tassilo Moritz. Foto: Fraunhofer IKTS

Tassilo Moritz. Foto: Fraunhofer IKTS

„Sieht einfach wertiger aus“

„Daraus ergeben sich neue Perspektiven für diesen Werkstoff“, betont IKTS-Abteilungsleiter Dr. Tassilo Moritz. So habe Glas das Potenzial, den massiven Einsatz des umstrittenen Materials „Kunststoff“ für viele kleine Alltagsgegenstände zu Gunsten nachhaltiger Lösungen zu mindern: Wenn sich Glas fast beliebig färben, formen und funktionalisieren lässt, könnten beispielsweise die Plasteknöpfe in Bussen, Straßenbahnen oder Fahrstühlen durch Glasbauteile ersetzt werden. Ähnliches gelte für viele Kunststoffteile in Kitas oder Altenheimen. „Glas ist zwar immer noch etwas teurer als Kunststoff“, räumt IKTS-Gruppenleiter Dr. Jochen Schilm ein. „Dafür ist es aber beständiger und hygienischer. Glas versprödet und zerkratzt nicht so leicht, auch widersteht es besser chemischen Einflüssen und Ultraviolettstrahlung.“ Hinzu komme der Design-Aspekt: „Glas sieht einfach wertiger aus.“ Und im Vergleich zu Keramiken sei Glas wiederum die preisgünstigere Lösung.

Mit adaptierten Formgebungsverfahren lassen sich Gläser bei geringeren Temperaturen verarbeiten und somit mit Füllstoffen versetzen. Dies erlaubt neue Funktionen wie nachleuchtende Gläser für Sicherheits- oder Designanwendungen. Foto: IKTS

Mit adaptierten Formgebungsverfahren lassen sich Gläser bei geringeren Temperaturen verarbeiten und somit mit Füllstoffen versetzen. Dies erlaubt neue Funktionen wie nachleuchtende Gläser für Sicherheits- oder Designanwendungen. Foto: Fraunhofer-IKTS

Klassische Schmelze kennt nur „rund“

Hintergrund: Zwar erzeugt und verarbeitet die Menschheit schon seit schätzungsweise über 3600 Jahren Glas. Aber in der Vergangenheit konnten die Hersteller gewisse Schwächen etablierter Glastechnologien nie so ganz überwinden. Zum Beispiel verbrauchen Glashütten relativ viel Energie. Zudem bekommt man aus einer heißen Glasschmelze nur Teile mit „runden Kanten“. Wer exakte und scharfe Formen braucht, muss dann nachschleifen. Um Mikrostrukturen zu erzeugen, wie sie beispielsweise für Labortechnik erforderlich sind, greifen die Hersteller oft auf Ätzprozesse mit gefährlicher und umweltschädlicher Flusssäure zurück. Des Weiteren lassen sich nur sehr schwer Löcher in klassisches Glas bohren.

Graphit-Beigabe in der Spritzgießmaschine sorgt für leitfähiges Glas

Um solche Limitierungen zu überwinden, haben die Dresdner Fraunhofer-Ingenieure mehrere Technologien adaptiert, die bislang für Keramiken und Kunststoff typisch sind. Ein Beispiel: Plasteteile sind auch deshalb so omnipräsent in unserem Alltag, weil sie sich massenhaft, sehr schnell und billig in Spritzgießmaschinen aus Kunststoff-Pellets herstellen lassen. Statt dessen mischen die IKTS-Ingenieure nun Glaspulver und Graphit, wie man so ähnlich auch aus „Bleistiften“ kennt. Als Beitrag zur Kreislaufwirtschaft lässt sich hier auch Recycling-Glas beimengen. Die Maschine plastifiziert dieses Mischmaterial dann und spritzt die warme Schmelze in eine Prägeform, die genaue Geometrien und Mikrostrukturen erzeugt. Danach wird der zunächst noch fragile Glaskörper bei 600 bis 750 Grad gesintert, also festgebacken. Erzeugen lassen sich damit unter anderem elektrisch leitfähige und selbstheizende Glas-Mikroreaktoren für die Chemie- und Pharmaindustrie.

Kombinieren lässt sich das Glaspulver aber auch mit Farbpigmenten, um verschiedenfarbige Bauteile herzustellen. Beimengen lassen sich aber auch phosphoreszierenden Partikel. Dabei entstehen nachleuchtende Glasbauteile, die beispielsweise in dunklen Gebäuden selbst nach einem Stromausfall noch Fluchtwege zeigen, die Zeiger und Anzeigen von Uhren und Flugzeugarmaturen leuchten lassen oder auch einfach nur Schmuck chic schimmern lassen.

Additive Maschinen für besonders komplexe Gläser

Für besonders komplizierte Bauteile – etwa für raffiniert geformte Wärmetauscher – setzen die IKTS-Experten industriellen 3D-Druck ein. Das kann zum Beispiel das sogenannte Vat-Photopolymerization-Verfahren sein, bei dem das Glaspulver in einen lichthärtbaren Kunststoff eingerührt und nach dem lagenweisen Aufbau zu einem Bauteil mit blauem Licht – vergleichbar einer Füllung beim Zahnarzt – ausgehärtet wird. Ein anderes additives Fertigungsverfahren ist das „Multi Material Jetting“. Hier legt die Anlage ein mit Glaspartikeln versetztes flüssiges Wachs tröpfchenweise ab. Ist die gewünschte Form erreicht, wird das Wachs entfernt und der Rohling gesintert.

Ganz präzises Sinterregime notwendig

Da der – auch Grünling genannte – Rohkörper beim Sintern schrumpft, ist viel Know-how notwendig, um am Ende genau die projektierten Bauteil-Abmessungen zu erreichen. „Für so etwas braucht man ein ganz präzises Sinterregime“, sagt Jochen Schilm. Und gerade da liegt eine besondere Expertise der Forschenden am IKTS: Sie haben über Jahrzehnte hinweg große Erfahrungen mit Sinterprozessen und Funktionalisierungen bei Keramiken gesammelt, die sie mittlerweile eben auch auf den Werkstoff Glas übertragen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: IKTS

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt