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„Nachtwache“: Weltweit größte Digitalkopie eines Kunstwerks im Netz

Die riesige Digitalkopie macht es möglich: Bis ins winzigste Detail kann man sich nun in Rembrandts "Nachtwache" hinein-zoomen. Repro: Rijksmuseum Amsterdam

Die riesige Digitalkopie macht es möglich: Bis ins winzigste Detail kann man sich nun in Rembrandts „Nachtwache“ hinein-zoomen. Repro: Rijksmuseum Amsterdam

Rijksmuseum Amsterdam hat einen 5,6 Terabyte großen digitalen Zwilling von Rembrandts berühmtem Gemälde geschaffen

Amsterdam/Dresden, 4. Januar 2022. Das niederländische Rijksmuseum hat im Zuge der Operation Nachtwache das gleichnamige Rembrandt-Gemälde in einer rekordverdächtigen Auflösung digital fotografiert und ins Internet gestellt. Das Digitalisat umfasst 717 Gigapixel. Es offenbart dabei Bilddetails bis hinunter zum Pigmentpartikel, die bisher nur den Restauratoren unter Lupe und Mikroskop sichtbar waren. Das geht aus einer Mitteilung des Museums in Amsterdam hervor.

KI hat 8439 Einzelfotos zum 717 Gigapixel-Bild zusammengesetzt

„Damit kann der Betrachter den genauen körperlichen Zustand, winzige Risse, schöne Details und vieles mehr von Rembrandts Maltechnik anschaulich entdecken“, hieß es vom Reichsmuseum. Es handele sich um das „bisher größte digitale Bild eines Kunstwerks“. Um es anzufertigen, lichteten Spezialisten mit einer 100-Megapixel-Kamera des schwedischen Herstellers „Hasselblad“ das legendäre Gemälde in 8439 Einzelfotos ab. Ein neuronales Netz überprüfte dann zunächst von jeder Aufnahme die Farbechtheit und Schärfe. Eine „Künstliche Intelligenz“ (KI) setzte diese Teile dann zu einem Gesamtbild mit 5,6 Terabyte Dateigröße zusammen. Außerdem hat die KI ursprünglich von Rembrandt geplante, aber abgeschnittene Teile des Gemäldes rekonstruiert. Auch diese fehlenden Teile kann der Besucher im Netz entdecken.

Nach der Digitalisierung folgt die Restaurierung

Das Riesenfoto ist aber nur ein Teil der „Operation Nachtwache“: Ab dem 19. Januar 2022 wollen die Niederländer das Originalgemälde restaurieren. In diesem Zuge ist unter anderem ein neues Tragwerk geplant, weil sich die „Nachtwache“ inzwischen wellig verzogen hat. Im Anschluss entscheiden die Experten über weitere Reparaturen. Besucher können die Arbeiten derweil – soweit das Museum nicht gerade wegen Corona geschlossen ist – die ganze Zeit über vor Ort vor einer eigens dafür gebauten Glaskammer verfolgen. Andererseits können sie nun eben auch von daheim aus das berühmte Werk ganz genau anschauen und viele Einzelheiten darauf entdecken.

Museumschef: Forscher haben Grenzen des Machbaren verschoben

„Den Forschern der Operation Nachtwache ist es einmal mehr gelungen, die Grenzen des Machbaren zu verschieben“, betonte Museumsdirektor Taco Dibbits in diesem Zusammenhang. „Diese außergewöhnliche Leistung wird die Arbeit an der ,De Nachtwacht“ erheblich erleichtern.“ Wenn die Konservierungsphase beginne, werde die Vorderseite des Gemäldes zwar für kurze Zeit nicht sichtbar sein. Aber dank des neuen Superdigitalisats könne „das Publikum Rembrandts Meisterwerk weiterhin bis ins kleinste Detail bewundern.“

„De Nachtwacht“ gilt als eines der wichtigsten europäischen Gemälde

Das Ölgemälde „De Nachtwacht“ (deutsch: Die Nachtwache) gilt wegen seiner düster-gleißenden Lichtkomposition, alltagsgeschichtlichen Details, kunstvollen Ausführung und seiner den damaligen Zeitgeist spiegelnden Veredelung der dargestellten Menschen als eines der berühmtesten Gemälde von Rembrandt van Rijn (1606-1669). Der niederländische Meister vollendete dieses Werk 1642. Zunächst stieß es bei Zeitgenossen auf ein eher geteiltes Echo. Später aber kristallisierte sich mehr und mehr die Meinung heraus, dass „Die Nachtwache“ eines der wichtigsten Werke des niederländischen Nationalerbes und der europäischen Kunstgeschichte ist.

Niederländisches Reichsmuseum als Digitalisierungs-Pionier

Das Reichsmuseum in Amsterdam, in dem das Gemälde zu sehen ist, hat sich in den vergangenen Jahren als einer der wichtigsten Pioniere der Kunstwerk-Digitalisierung in Europa profiliert. Im Vordergrund steht dabei bei den Niederländern die Idee, nicht nur hochauflösende virtuelle Kopien bedeutender Gemälde für die Forschung und Konservierungszwecke anzufertigen, sondern diese Digitalisate auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Virtuelle Museen gibt es zwar schon im Netz, breite Resonanz haben die meisten aber nicht gefunden. Hier zum Beispiel ein Bildschirmfoto der inzwischen deaktivierten "Second Life"-Filiale der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Abb.: BSF / Digital Classics Online

Hier ein Beispiel für frühere Versuche mit Kunstausstellungen im Internet. Zu sehen ist ein Bildschirmfoto der inzwischen deaktivierten „Second Life“-Filiale der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Abb.: BSF / Digital Classics Online

Virtuelle Gesamtwerkschauen aus weltweit verstreuten Kunstwerke möglich

Mittlerweile sind viele Kunstexperten davon überzeugt, dass derartige Digitalisierungsprogramme ganz neue Museums- und Ausstellungskonzepte ermöglichen – nicht nur in pandemischen Zeiten. Denkbar sind zum Beispiel Gesamtwerkschauen bedeutender Künstler in hybriden oder vollständig virtuellen Räumen. Dabei lassen sich Werke eines Künstlers, die physisch über die ganze Welt verstreut sind, an einem Ort bündeln. Solche Riesen-Sonderausstellungen wären in der realen Welt aus praktischen, logistischen, versicherungstechnischen und rechtlichen Gründen oft gar nicht realisierbar. Und gerade wenn es sich um mehr als simple Vereinfachungen wie in den Galerien des verwaisten „Second Life“ handelt, sondern um wirklich hochaufgelöste Gemäldekopien wie bei der „Nachtwache“, dann entsteht dem Besucher auch ein echter Mehrwert: Beispielsweise darf man sich in den meisten Museen den Originalen gar nicht so weit nähern, um einzelne Farbpigmentdetails sehen zu können.

Restaurierte Elefantenkopf-Vase mit angesetztem Ersatz-Rüssel aus dem 3D-Drucker. Foto: Heike Ulbricht für die SKD

Restaurierte Elefantenkopf-Vase mit angesetztem Ersatz-Rüssel aus dem 3D-Drucker. Foto: Heike Ulbricht für die SKD

Museen in Dresden setzen „Digitale Zwillinge“ von Kunstwerken für Reparaturen per 3D-Drucker ein

Auch die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden (SKD) haben ein eigenes Digitalisierungsprogramm für ihre Kunstwerke aufgelegt. Sie setzen „Digitale Zwillinge“ beispielsweise auch ein, um gemeinsam mit dem Fraunhofer-Keramikinstitut IKTS für wertvolle alte Porzellanvasen mittels 3D-Drucker Ersatzteile zu erzeugen und Schäden auszubessern, die schon vor vielen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten entstanden sind.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Rijksmuseum, Oiger-Archiv, Wikipedia

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt