Berliner Museumsinsel zeigt Alltag und Totenkult der altägyptischen Stadt Achmîm
Berlin, 11. Juli 2021. Eine sehenswerte, allerdings nicht allzu riesige Ausstellung über eine fast vergessene altägyptische Metropole erwartet derzeit die Besucher der Berliner Museumsinsel: Im Untergeschoss der James-Simon-Galerie veranschaulichen die „Staatlichen Museen zu Berlin“ (SMB) anhand von rund 170 Exponaten die 6000-jährige Geschichte und den Alltag in der oberägyptischen Gau-Hauptstatdt Achmîm unweit von Luxor. Zu sehen sind bis zum 12. September 2021 kleine Grabbeigaben und überdimensionale Pharaonenbüsten ebenso wie antike Kleiderreste und Hieroglyphen-Tafeln.
Nach der Gottheit Min benannt
Die Sonderschau beleuchtet das Leben und die Traditionen von Achmîm unter sieben Blickwinkeln: Landwirtschaft, Totenkult, Lokale Eliten, Bildung, Staat, Götter und Handwerk. Und schließlich gibt es noch einen Abriss darüber, wie die Forscher seit Jahren versuchen, mehr über diese heute wenig bekannte Metropole der Pharaonenzeit zu erfahren, die gelegentlich in antiken Schriften erwähnt wurde und nach ihrer Hauptgottheit Min benannt war.
Klassenunterschiede über den Tod hinaus
Besonders faszinierend, da selten in der öffentlichen des alten Ägypten präsent, sind Exponate über den Alltag und die sozialen Unterschiede in der Stadt: Hier die reich verzierten Schmuckstücke, Sarkophage und kunstvollen Schalen für die Eliten, da der Bäcker, der tief gebückt rackert. Und das „Oben“ und „unten“ setzte sich bis in Jenseits fort: Wer es sich leisten konnte, bekam nicht nur Diener-Figuretten für das persönliche Wohlbefinden nach dem Tode ins Grab gelegt, sondern auch sogenannte „Uschebtis“ („Der, der antwortet“): Kleine Figuren die für Fronarbeiter standen, die anstelle des verstorbenen Reichen vortraten, wenn Unterweltherrscher Osiris im Jenseits zur Feldarbeit rief.
Todesursache: Krokodil
Aber selbst die Wohlhabenden traf das Schicksal gelegentlich mit aller Hinterlist: Auf einer zweifellos langwierig ausgemeißelten Schrifttafel wird beispielsweise lang und breit dargelegt, wie eine junge Frau namens Chardu-anch in der ptolemäischen Zeit einen frühen Tod durch ein Krokodil erlitt. Apropos früher Tod: Ein bemalter Sarkophag für ein kleines Mädchens verdeutlicht, wie stark sich Rituale für die Toten seit dem Altertum bis heute verändert haben. Würde man heute sicher die Unschuld des Kindes in Grabreden hervorheben, verpassten die Sarkophag-Verzierer der Sechsjährigen auf den Malereien Brüste und überhöhten ihre geschlechtlichen Attribute, um sie der Göttin Isis nahezubringen.
Bildergalerie:
Daneben gibt es Statuen von Greifen, Panen, altägyptischen Gottheiten von Isis bis Anubis zu sehen, Eingeweideschränke und vieles mehr. Leider ist die eine oder andere Vitrine bereits schon wieder leer – haben da womöglich die Leihgeber aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA das eine oder andere Stück inmitten der Corona-Zeit wieder zurückgefordert?
Fazit: Komplexer Blick auf eine vergessene Stadt
Trotz dieser Vakanzen ist „Achmîm – Ägyptens vergessene Stadt“ eine sehenswerte Schau, die gerne auch umfangreicher hätte ausfallen dürfen. Wobei eben auch das zur Geschichte gehört: Antike und später auch arabische Chronisten wie Strabon beschrieben die Stadt noch als ein prachtvolles Zentrum der Steinmetzkunst und Textilindustrie. Doch nach ihrer Zerstörung im 14. Jahrhundert geriet Achmîm in Vergessenheit und wurde erst durch neuzeitliche Ausgrabungen wiederentdeckt. Jüngere Generationen von Historikern, Archäologen und anderen Wissenschaftlern versuchen nun, die spärlichen Überreste interdisziplinär zusammenzuführen, um das Puzzle „Achmîm“ wieder zusammenzusetzen.
Kurzüberblick:
- Titel: Sonderausstellung „Achmîm – Ägyptens vergessene Stadt“
- Öffnungszeiten: bis 12. September 2021 täglich (außer montags) zwischen 10 und 18 Uhr
- Wo? in der James-Simon-Galerie Berlin, Bodestraße, zwischen Pergamonmuseum und Lustgarten
- Eintritt: zehn Euro, ermäßigt fünf Euro
- Anfahrt: Mit der Bahn bis Hauptbahnhof oder das Auto an einer S- oder U-Bahnstation parken. Dann per S-Bahn bis Hackscher Markt oder mit der U-Bahn U5 zur neuen Station Lustgarten. Von beiden Bahnhöfen sind es wenige Minuten Fußweg bis zum Neubau auf der Museumsinsel
- Mehr Infos im Netz sind hier zu finden
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Besuch, SMB
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