Künstliche Intelligenz soll helfen, tödliche Komplikationen bei und nach Operationen zu mindern
Dresden, 18. Juni 2021. Digitale Zwillinge von Spitzenchirurgen sollen künftig weniger erfahrenen Operateuren bei komplizierten Eingriffen beistehen. Ein Team um Prof. Stefanie Speidel von der TU Dresden bereitet auf diese Aufgabe nun „Künstliche Intelligenzen“ (KI) vor und lernt sie dafür an.
OP-Erfolg hängt entscheidend von Erfahrung ab
„Postoperative Komplikationen sind eine häufige Todesursache“, erklärte die Medizininformatikerin den Hintergrund ihres KI-Projektes. Viele Studien hätten gezeigt, dass der langfristige Erfolg einer OP entscheidend davon abhängt, wie oft der jeweilige Chirurgie den konkreten Eingriff schon vorgenommen hat, betonte die Expertin für „translationale chirurgische Onkologie“. Je öfter also ein Mediziner oder eine Medizinerin zum Beispiel schon Enddarm-Krebs wegoperiert hat, umso geringer ist das Risiko, dass dabei etwa ein Schließmuskel oder Sexualnerv versehentlich mit durchtrennt wird. Kürzer ausgedrückt: „Erfahrung ist der Schlüssel.“
Von den Besten virtuell lernen
Allerdings liegt es auf der Hand, dass die Ärzte in kleineren Krankenhäusern weniger Chancen haben, richtig viele Erfahrungen mit seltenen und speziellen Eingriffen zu sammeln. Daher gibt es auch schon seit Jahren den Trend, ausgewählte Kliniken auf ganz bestimmte OPs hochzuspezialisieren. Dennoch will man aber auch Patienten jenseits der etablierten Chirurgie-Zentren in den Großstädten eine Behandlung durch „die Besten“ ermöglichen. „Wir wollen die Erfahrungen der besten Chirurgen auf Maschinen übertragen und dann diese Fähigkeiten anderen Krankenhäusern verfügbar machen“, erklärt die Professorin. Daher sammeln in ihren experimentellen OP-Sälen nun zahlreiche Sensoren die Bewegungsabfolgen besonders erfahrener Mediziner, zeichen ihre Befehle an OP-Roboter auf und lernen eine KI mit diesen Datenfluten an.
Da-Vinci-Roboter im Fokus
Ist diese Anlernkurve erfolgreich absolviert, wollen die Forscherinnen und Forscher mit den daraus modellierten „virtuellen Assistenten“ die Da-Vinci-Systeme aufrüsten, die im Uniklinikum Dresden und zahlreichen anderen Krankenhäusern weltweit installiert sind. Diese Roboter können bisher „nur“ die Handgriffe der menschlichen Chirurgen zitterfrei in Mikroschnitte und maschinelle Verödungen übersetzen. Auch verschaffen sie mit ihren Kameras und Bildschirm-Terminals den Ärzten einen besseren Überblick bei Schlüsselloch-OPs.
„Augmentierte Realität“ hilft dem menschlichen Chirurgen während des Eingriffs
Mit Hilfe der Dresdner KI können die Da Vincis künftig aber auch während der Operation in Echtzeit drohende Komplikationen erkennen. Sie sollen den menschlichen Chirurgen zudem auf dem Bildschirm mittels „augmentierter Realität“ (AR) die Lage der Organe und OP-Ziele im Patienten anzeigen, Risikogebiete markieren – etwa wenn der Operierende einem Nerv zu nahe kommt – und dem OP-Personal auch anderweitig assistieren. Auch könnten sie als eine Art „3D-Navi durch den Körper“ fungieren. Zudem soll der virtuelle Assistent bereits vor dem realen Eingriff junge Ärzte trainieren.
Ceti Dresden plant „Internet der Fähigkeiten“
Der virtuelle OP-Assistent gehört zum Forschungsprogramm des „Ceti“ an der TU Dresden. In diesem Exzellenzzentrum arbeiten Ingenieure, Funkexperten, Elektroniker, Chirurgen, Arbeitspsychologen und viele andere Fachspezialisten interdisziplinär zusammen. Eines ihrer Hauptziele ist es, eine Art basisdemokratisches „Internet der Fähigkeiten“. Dafür wollen sie digitale Zwillinge von menschlichen Koryphäen ganz unterschiedlicher Fachrichtungen vom Pianisten über den Steinmetz bis hin zum Gehirnchirurgen anlegen und in Rechnerwolken (Clouds) ablegen. Die Idee dabei: In Zukunft kann dann jeder, der von den alten Meistern lernen will, deren exzellente Fähigkeiten wie ein Upgrade aus der Cloud herunterladen und sie automatisiert erlernen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Ceti, NCT, Oiger-Archiv
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