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TU Dresden: Wir hören, was wir erwarten

"Menschen hören das, was sie zu hören erwarten", hat eine Studie der TU Dresden ergeben. Das fängt schon bei der Verbindung zwischen Ohr und Gehirn an. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

„Menschen hören das, was sie zu hören erwarten“, hat eine Studie der TU Dresden ergeben. Das fängt schon bei der Verbindung zwischen Ohr und Gehirn an. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Prognosen des Gehirns beeinflussen schon am Hörkanal, ob und wie abweichende Informationen überhaupt ins Bewusstsein gelangen

Dresden, 10. Januar 2021. Jeder, der eigene Texte Korrektur liest, wird dies wohl schon einmal erlebt haben: Erst ein zweites Paar Augen entdeckt den Schusselfehler, der sich da eingeschlichen hat – der Autor selbst sieht den Buchstabendreher und ähnliche Flüchtigkeitsfehler auch nach mehrmaligem Lesen nicht. Und das ist kein Wunder, hat die TU Dresden nun herausgefunden: Unsere Sinne verarbeiten „Sensordaten“ anders, wenn sie unseren Erwartungen entsprechen.

Subjektive Ãœberzeugungen beeinflussen Wahrnehmungen

„Unsere Überzeugungen haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie wir die Realität wahrnehmen“, erklärte der Dresdner Neurowissenschaftler Dr. Alejandro Tabas. „Alles, was wir wahrnehmen, könnte zutiefst durch unsere subjektiven Überzeugungen über die Welt geprägt sein.“

Auch Verstand setzt auf Torwächter

Bereits seit Längerem bekannt ist, dass Menschen dazu tendieren, nur die Informationen anzusteuern, wahrzunehmen und abzuspeichern, die unseren vorgefassten Meinungen entsprechen. Über diese selektive Wahrnehmung hinaus gibt es mehrere Mechanismen, die dazu führen, dass wir alle dazu neigen, schmerzhafte Unterschiede zwischen unseren Erwartungen und neuen, anderslautenden Daten („kognitive Dissonanz“) zu vermeiden. Die Algorithmen digitaler Dienste wie Facebook, Twitter oder Google schwächen die Bereitschaft und Fähigkeit, sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen, zusätzlich – daher kommen auch die seit geraumer Zeit viel diskutierten Meiunungs-Filterblasen im Internet.

Filter wirkt gleich hinter den „Sensoren“

Durch Experimente hat ein neurowissenschaftliches Team um Professorin Prof. Dr. Katharina von Kriegstein nun aber Belege dafür gefunden, das nicht allein bewusste und unterbewusste Prozesse im Gehirn, sondern bereits die Verbindungen zwischen Ohr, Auge und anderen Sinnesorganen und dem Hirn auf der anderen Seite beeinflussen, wie bevorzugt erwartete Sinneseindrücke zum Gehirn geleitet werden.

Mit Tomografien den Hörkanal untersucht

Für ihre Experimente spielten die Forscher und Forscherinnen 19 Menschen bestimmte Tonfolgen vor, die kleine Fehltöne enthielten. Mit Hilfe von „funktionellen Magnetresonanztomografien“ (fMRT) untersuchten sie dabei zwei Kerne in der Hörbahn der Probanten: den colliculus inferior (‚unterer Hügel‘) und den medialen corpus geniculatum mediale (‚mittig-liegender Kniehöcker‘). Das Dresdner Team sieht darin einen Beleg für „die Theorie der ,‚prädiktiven Kodierung’, die die Wahrnehmung als einen Prozess der Hypothesenprüfung beschreibt“. Demnach erzeugt das Gehirn ständig Vorhersagen darüber, „wie die physische Welt im nächsten Moment aussehen, klingen, sich anfühlen und riechen wird, und dass die Neuronen, die für die Verarbeitung der Sinne zuständig sind, Ressourcen sparen, indem sie nur die Unterschiede zwischen diesen Vorhersagen und der tatsächlichen physischen Welt darstellen“.

Prognosen helfen bei „Weltverarbeitung“

Zu betonen ist freilich, dass eine an eigenen Erwartungen ausgerichtete Informationsverarbeitung nicht allein im negativen Sinne Teilausschnitte der Realität ausblendet, sondern im positiven Sinne auch sehr hilfreich ist: Indem sie zum Beispiel das Ende eines Satzes schon nach wenigen Worten vorausahnen können, kommen Menschen auf ein höheres Lesetempo. Und sie sind durch solche Prognose-Techniken auch imstande, verstümmelte Informationen zu deuten – beispielsweise undeutlich gesprochene Sätze eines Anderen oder die Leerstellen in Kreuzworträtseln. Obwohl die Teilnehmenden die abweichenden Töne schneller erkannten, wenn sie an Positionen platziert wurden, an denen sie diese erwarteten, verarbeiteten die Kerne der Hörbahn die Töne nur, wenn sie an unerwarteten Positionen platziert wurden.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: TUD

Wissenschaftliche Publikation:

Alejandro Tabas, Glad Mihai, Stefan Kiebel, Robert Trampel, Katharina von Kriegstein: Abstract rules drive adaptation in the subcortical sensory pathway. eLife 2020;9:e64501
DOI: 10.7554/eLife.64501

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt