Vermummter Neustart – hohe Nachfrage
Dresden, 27. April 2020. „Bitte hier warten!“ Emsige Immen haben binnen drei Tagen fast überall in der gläsernen VW-Manufaktur diese blauen Abstands-Warnungen verklebt. Sie haben Desinfektionsmittel-Spender angeschraubt, isolationistische Bewegungsabläufe für das Mittagessen abgezirkelt und die ganze Fabrik in ein Einbahnstraßensystem mit mehreren Zonen verwandeln, damit sich bloß niemand zu nahe kommt. Und sie haben allerorten die heiligen fünf Regeln der Corona aufgehängt: Abstand halten, Maske, Hände waschen statt schütteln, in den Ärmel husten und nur kommen, wenn man sich gesund fühlt!
An „roten“ Arbeitsplätzen gilt Maskenpflicht
Denn Volkswagen fährt seit Montag das Werk am Straßburger Platz wieder hoch – wenn auch zunächst nur mit einem Viertel der normalen Kapazität und eben im Isolierregime. Die ersten blaumaskierten Arbeiter montieren auf dem „Schuppe“ genannten Fabrikband nach anderthalbmonatiger Corona-Pause bereits wieder Elektrogolfs. Die Vermummungspflicht gilt vor allem an den „roten Arbeitsplätzen“, an denen Verrichtungen fällig sind, die sich nicht allein bewältigen lassen.
„Endlich wieder Licht am Ende des Tunnels“
„Geht schon“, meint Monteur Stephan Bartschat, nach der Arbeit unter Maske und im Sagrotan-Modus befragt. „Man gewöhnt sich an alles.“ Und er freut sich, dass er wieder Karossen und Motoren „verheiraten“ darf, wie es in der Schuppen-Sprache heißt. „Sechs Wochen daheim – das war eine lange Zeit“, sagt der Vater zweier Kinder, die rund um die Uhr beschult und bespaßt werden wollen. „Aber jetzt sehen wir ja endlich wieder Licht am Ende des Tunnels.“
Betriebsrat und Chefs vereinbaren Maxime „Gesundheit geht vor“
So wie Bartschat sehen das auch andere Kollegen, meint Manufaktur-Betriebsrat Thomas Aehlig. „Die Leute sind froh, dass es wieder losgeht“, erzählt er. Angst vor einer Ansteckung habe er bei den Kollegen nicht gespürt. Aber das mag eben auch daran liegen, dass sich Geschäftsführung und Betriebsrat auf eine Priorität für den Neustart geeinigt haben: „Gesundheit geht vor Produktion“ Und das bedeutet zum Beispiel auch, dass VW Dresden vorerst nur 18 statt der normalen 37 E-Golfs pro Tag baut. Die Taktzeiten wurden gestreckt und vorläufig arbeitet die Manufaktur nur im Ein-Schicht-Betrieb.
Alte Stromer derzeit stark gefragt
Dabei ist die Nachfrage nach Elektrogolfs gerade jetzt sehr hoch. Denn Volkswagen bietet die alten Stromer kurz vor dem Marktstart der neuen ID-Generation recht günstig an. „Normal sind etwa 600 bis 800 E-Golf-Bestellungen im Monat“, berichtet VW-Sachsen-Sprecher Carsten Krebs. „Im Moment sind wir bei 4000 Bestellungen im Monat – allein aus Deutschland. Dazu kommen noch die Aufträge aus Norwegen, den Niederlanden und anderen Ländern.“
VW will E-Golfs länger als geplant in Dresden fertigen
Auch deshalb habe sich das Unternehmen entschlossen, die E-Golf-Produktion in Dresden doch erst gegen Jahresende auslaufen zu lassen und nicht schon im Herbst. Erst danach wird die Manufaktur noch mal eine zweiwöchige Produktionspause einlegen, um die letzten Anlagen auf das neue Elektromodell ID3 umzurüsten. Neben Wolfsburg ist Dresden der einzige Standort, an dem der E-Golf noch produziert wird.
Produktion fährt erfolgsabhängig hoch
Wie lange der Neustart bis hin zur Maximalkapazität dauert, wird vom weiteren Verlauf der Pandemie-Fieberkurve in Deutschland abhängen, von politischen Entscheidungen – und nicht zuletzt vom Erfolg des selbstertüftelten Corona-Produktionsregimes. „Wir sehen erst mal, wie das funktioniert, was wir uns hier ausgedacht haben“, kündigte Manufakturchef Lars Dittert an. „Erst dann erhöhen wir die Produktionskapazität.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Termin in der VW-Maunfaktur Dresden, Oiger-Archiv
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