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Der Feldschwarm rollt an

Feldschwarm: Kleine Elektro-Roboter statt riesiger Traktoren sollen künftig die Felder bestellen. Foto: Heiko Weckbrodt

Kleine Elektro-Roboter statt riesiger Traktoren sollen künftig die Felder bestellen.
Foto: Heiko Weckbrodt

Sächsische Ingenieure wollen autonome Elektro-Roboter vernetzt zur Ernte schicken

Dresden, 7. März 2019. Ingenieure der Technischen Universität Dresden (TUD), des Fraunhofer-Verkehrsinstituts IVI und weiterer Forschungspartner haben heute in Dresden dem sächsischen Agrarminister Thomas Schmidt (CDU) die ersten Komponenten eines „Feldschwarms“ vorgeführt. Dahinter steckt die Idee, vergleichsweise leichte, elektrisch angetriebene und schnell umrüstbare Agrarroboter per Funk zu koppeln und dann Tag und Nacht die Felder autonom bestellen zu lassen. Diese Schwärme sollen Boden und Umwelt weniger belasten als heutige Riesenmaschinen und Monokulturen.

Abkehr vom Prinzip „Größer, schwerer, gewaltiger“

Dazu muss man sich vor Augen führen, dass „Größer, schneller, schwerer“ jahrzehntelang das unabweisbare Dogma des Landmaschinenbaus schien: Nur wenn die Bauern auf immer größeren Feldern nur eine einzige Pflanzenart säen und immer schwerere und gewaltigere Traktoren, Pflüge und Mähdrescher diese Monokulturen bestellen, können sie die stetig wachsende Weltbevölkerung nähren, so die Argumentation. Allerdings untergraben diese klassischen Konzepte die Artenvielfalt und belasten die Böden und Straßen derart, dass ein staatlich verordnetes Ende dieser Entwicklung absehbar ist. Daher setzen die Sachsen nun auf das flexiblere Schwarmkonzept.

Feldschwarm: Helge Wanta von der TU Dresden zeigt einen Echtzeit-Simulationsstand für den Feldschwarm Foto: Heiko Weckbrodt

Helge Wanta von der TU Dresden zeigt einen Echtzeit-Simulationsstand für den Feldschwarm
Foto: Heiko Weckbrodt

Minister will Jugend für Landwirtschaft begeistern

Der Minister war nach einer Besichtigung an der TU Dresden angetan von dieser Marschrichtung: „Wir stehen vor der Herausforderung, immer mehr Menschen zu ernähren, auf ökologische Herausforderungen zu reagieren und auch die Jugend wieder für die Landwirtschaft zu begeistern.“ Durch Hochtechnologie und Digitalisierung auf dem Lande, wie durch die Feldschwarm-Forscher vorexerziert, könne solch ein Spagat womöglich sogar gelingen. Auch träumen die Wirtschaftspolitiker von einer – durch digitale Fahrzeugkonzepte getriebenen – Wiedergeburt der einst so starken sächsischen Landtechnik-Industrie.

Feldschwarm Foto: Heiko Weckbrodt

Versuchsträger für den Feldschwarm. Foto: Heiko Weckbrodt

Sachsen pumpt 20 Millionen Euro in „Landwirtschaft 4.0“-Innovation-Hub

Mit rund 20 Millionen Euro will Schmidt daher ein neues „SIMUL+ Innovation Hub“ in den nächsten vier Jahren fördern. Mit dem Geld sollen die Dresdner Forscher mit ihren Industriepartnern ihre Feldschwarm-Technologie weiterentwickeln, die bisher aus einem „Wachstumskern“-Förderprogramm finanziert wurde. Weitere Schwerpunkte sollen neue, internetgetriebene Dienste für das „Digitale Dorf der Zukunft“, intelligente Ernte- und Forstmethoden und neue Umwelttechnologien für die Landwirtschaft sein. Konzentrieren wollen die Forscher und Wirtschaftspolitiker diese Projekte im Raum zwischen Dresden und dem Lehrgut Köllitsch bei Torgau. Dort soll ein deutschlandweit führendes Innovations-Zentrum für die „Landwirtschaft 4.0“ wachsen – gewissermaßen ein ländliches Exzellenzzentrum.

Video über das Landes-Lehrgut
Köllitsch (Freistaat Sachsen):

Bundesmillionen für 5G-Agrartestfeld beantragt

Zudem winken Fördermillionen vom Bund: Im Hub-Raum möchten die Projektpartner nämlich auch testen, wie sich der Mobilfunk der 5. Generation (5G) auf dem Lande einsetzen lässt, um autonom fahrende Feldschwärme zu vernetzen und schnelles Internet in unterversorgte Dörfer zu bringen. Die Chancen auf einen Zuschlag für die Sachsen gelten als gut, da mit dem „5G Lab Germany“ von Prof. Gerhard Fettweis ohnehin schon eine international führende Forschungseinrichtung in Dresden angesiedelt ist.

Professor Matthias Klinger vom Fraunhofer-IVI in Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Professor Matthias Klinger vom Fraunhofer-IVI in Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Fraunhofer-Cognac winkt

Weitere Millionen steuert Fraunhofer bei: Die Forschungsgesellschaft hat unter dem verlockenden Namen „Cognac“ („Cognitive Agriculture“) ein ehrgeiziges Entwicklungs-Programm aufgelegt, an dem das Verkehrsinstitut IVI und das Keramikinstitut IKTS aus Dresden beteiligt sind. Die IVI-Ingenieure wollen sich der Feldrobotik widmen, die Keramik-Spezialisten der Gewinnung von Energie, Nährstoffen und Frischwasser aus Agrarabfällen. Andere Forscher sollen neuartige Sensoren entwickeln.

Prof. Thomas Herlitzius von der TU Dresden ist Sprecher des Wachstumskerns "Feldschwarm". Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Thomas Herlitzius von der TU Dresden ist Sprecher des Wachstumskerns „Feldschwarm“. Foto: Heiko Weckbrodt

Hochsicherheits-Cloud für deutsche Bauern

Die Sachsen sind auch an einer hochabgesicherten bäuerlichen Super-Cloud beteiligt, offiziell „Agricultural Data Space“ genannt, berichtete IVI-Direktor Prof. Matthias Klingner: In diesem vernetzte Rechnerfarmen sollen die deutschen Landwirte wichtige agrarische Informationen so ablegen, dass kein Agrarspion aus dem Ausland darin herumschnüffeln kann. All dies soll Sachsen zu einer international führenden Position auf dem Weg zur „Landwirtschaft „4.0“ verhelfen.

Neue Datenkraken befürchtet

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die vor den Kehrseiten der agrarischen Digitalisierung, vor Datensammelkraken à la Google und Facebook in der Agrarwirtschaft warnen. „Der schmerzhafte Strukturwandel in der Landwirtschaft war in den vergangenen Jahren vor allem eines: eine Anpassung der Kulturlandschaft an unsere dummen Maschinen“, kritisierte Europas Imker-Präsident und Umweltschützer Walter Haefeker mit Blick auf die Feldschwarm-Versuche auf der Dresdner Südhöhe. „In der Digitalisierung sehe ich mehr Chancen als Risiken – nämlich die Chance auf eine entscheidende Wende in der Landwirtschaft.“ Autonome Feldschwärme könnten die Böden umweltschonender bestellen. Vermutlich werde sich ein ähnliches Modell wie bei heutigen Rasenmäh-Robotern durchsetzen: Die Feldschwärme könnten sich demnach von den Arbeitszeiten der Bauern vollständig entkoppeln und – dank moderner Sensorik – selbstständig Tag und Nacht die Felder bestellen.

Ingenieure sollen Datensammel-Technologien als „Open Source“ freigeben

Aufpassen müsse man allerdings, dass die dabei massenhaft gesammelten Sensordaten nicht zu gefährliche Oligopolen führen, warnten Walter Haefeker wie auch IVI-Direktor Prof. Matthias Klingner: Wenn nur noch eine Handvoll großer Landmaschinen-Unternehmen wie John Deere, New Holland und Claas durch die ihre Traktoren und anderen sensorgespickten Fahrzeuge Daten über fruchtbare Böden, mögliche Missernten und andere Schlüsselinformationen horten, könnte daraus marktverändernde Folgen erwachsen. Klingner: „Wer diese Daten besitzt, kann Börsenkurse verändern.“ Haefeker fordert daher: „Diese Technologien sollten die Wissenschaftler als Open Source* freigeben, solange sie noch an den Universitäten entwickelt wird.“

Autor: Heiko Weckbrodt

* bedeutet: gratis einsehbar und nutzbar für alle

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt