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Buch „Tanzmusik in der DDR“: Warum die Kulturfunktionäre in Dresden zunächst scheiterten

Die Dresdner Tanzsinfoniker 1955 im Dresdner Schillergarten. Foto: Richard Peter jun. SLUB, Deutsche Fotothek, Titelabbildung aus: S. Bretschneider: Tanzmusik in der DDR

Die Dresdner Tanzsinfoniker 1955 im Dresdner Schillergarten. Foto: Richard Peter jun. SLUB, Deutsche Fotothek, Titelabbildung aus: S. Bretschneider: Tanzmusik in der DDR

Kulturwissenschaftler Bretschneider beleuchtet in seinem Buch, wie sozialistische Kulturpolitik funktionierte – oder eben auch nicht

Für die kommunistischen Kulturpolitiker waren Jazz und ähnliche westliche Tanzmusik-Stile, die in der deutschen Nachkriegsjugend in Ost wie West zu populär waren, ein einziger Graus. „Die politischen Hintergründe sind klar“, ereiferte sich beispielsweise DDR-Musikjournalist Reginald Rudorf in der Zeitschrift „Musik und Gesellschaft“ im Jahr 1954 über die Jazzer: „Der sich entwickelnde amerikanische Faschismus will die einfachen Menschen durch chaotische Machwerke für die Verwirklichung seiner Weltherrschaftspläne reif machen.“ Überschrieben hatte er seine Kampfschrift übrigens mit dem Titel „Die Tanzmusik muss neue Wege gehen.“ Tatsächlich aber brauchten die kommunistischen Kulturpolitiker nach dem Zweiten Weltkrieg noch mindestens 20 Jahre, bis sie ihre „neuen Wege“ schrittweise durchgesetzt und eine „eigene“, eine „sozialistische“ Tanzmusik-Tradition in der DDR etabliert hatten.

Schon damals durchkreuzte die Globalisierung den Diktatoren gern mal die Pläne

„Zumindest in den 1940er und 50er Jahren“, so schreibt der Dresdner Musikwissenschaftler Simon Bretschneider in seiner jüngst erschienenen Dissertation „Tanzmusik in der DDR“, habe eine sozialistische Kulturpolitik „nicht existiert beziehungsweise nur auf dem Papier.“ Der Anspruch, eine „der westlichen Musik gleichwertige, aber dennoch sozialistische beziehungsweise nationale Variante gegenüber zu stellen, scheiterte, ja musste scheiterte“. Den Grund dafür kann man letztlich in einer Entwicklung sehen, die wir heute Globalisierung nennen: Das grenzüberschreitende Massenmedium Radio machte es selbst in einer kommunistischen Diktatur wie in der DDR und trotz aller Störsender den Machthabern schwer bis unmöglich, die Beherrschten medial völlig zu isolieren. Selbst Sogar in Dresden, dem „angeblichen Tal der Ahnungslosen“, dessen Musikszene und Kulturpolitik Bretschneider beispielhaft untersucht hat, hätten sich „die Rezipienten zu jeder Zeit an internationalen Musiktrends orientiert“. Das mussten in der Praxis selbst FDJ-Funktionäre bei ihren Tanzveranstaltungen berücksichtigen, wenn sie nicht wollten, dass ihnen die Jugend ganz und gar zum Klassenfeind abwanderte.

Viele Kommunisten verstanden Amüsierwut der Menschen nicht

Die Folge war ein schizophrenes, oft aber auch sehr pragmatisches Handeln aller beteiligten Akteure: Nach außen deklarierten sie – wie vorher schon die brauen Machthaber – den Kampf gegen die „amerikanische Hottentotten-Musik“, spielten tatsächlich aber dann doch Jazz oder andere Tanzmusik aus dem Westen beziehungsweise ließen die Kapellen damit gewähren. Oft habe auch einfach Unverständnis darüber geherrscht, was die Jugend an den neuen ekstatisch-schrillen Stilen zu anhebe, erklärt Bretschneider: Sowohl die sowjetischen Besatzer wie auch die deutschen Kommunisten, die teils ihre Jugend in KZs verbracht hatten, konnten die Amüsierlust der Menschen nach dem schrecklichen Krieg einfach nicht nachvollziehen.

Auftragsentzug war oft effektiver als ein Verbot

Ungeachtet aller pragmatischen Entscheidungen in der Praxis versuchten die ideologischen Hardliner in den Stadtverwaltungen, Kommissionen, Regierungsbehörden und Parteiorganisationen jedoch beizeiten, mit steten Tropfen den Stein zu höhlen: Sie verweigerten ihnen nicht genehmen Kapellen und Musikverlagen mit teils fadenscheinigen Begründungen die Spiel- und Betriebserlaubnis, entzogen ihnen durch Auftragsentzug die berufliche Existenzgrundlage, erlaubten nur noch lizenzierten Bands öffentliche Auftritte, verordneten Ostmusik-Quoten – wobei dabei sowohl kommunistisch-dogmatische wie auch bildungsbürgerliche und wirtschaftliche Gründe hineinspielten. Womöglich inszenierten die Kulturfunktionäre gelegentlich auch Eklats während der Auftritte, um einen Vorwand für ein Verbot zu bekommen.

Simon Bretschneider. Foto: Autorenfoto Transcript-Verlag

Simon Bretschneider. Foto: Autorenfoto Transcript-Verlag

Viele Fallbeispiele

Bretschneider arbeitet das mit vielen Fallbeispielen von Kulturfunktionären, Kapellleitern, Musikern und Musikverlegern heraus, stützt sich dabei vor allem auf überlieferte Akten, Zeitzeugen-Berichte und eigene Interviews. Er zeichnet dabei ein differenziertes Bild der damaligen Szene, argumentiert gut nachvollziehbar und geht auch auf interessante Details wie die Einkommen freier und angestellter Musiker in jener Zeit ein.

Theorie-Bombardement zum Einstieg

Allerdings wünscht man sich gelegentlich eine etwas kritischere Auseinandersetzung mit den Quellen, insbesondere dem Sprachduktus der Funktionäre aus den Akten. Was uns auch nicht so ganz gefallen hat: In der Einleitung bombardiert der Autor den Leser mit soziologisch-kulturwissenschaftlicher Theorie im Telegrammstil. Zudem führt er die meisten Abkürzungen nicht ein. Der geneigte Leser muss daher ständig ins Abkürzungsverzeichnis am Ende des Buches blättern. Nicht zuletzt führt der thematisch breit gefasste Titel den Leser etwas in die Irre: Tatsächlich beleuchtet Simon Bretschneider nicht die Tanzmusik in der gesamten DDR vom Anfang bis zum Untergang, sondern lediglich im Bezirk Dresden und dort auch nur für die Jahre zwischen Kriegsende und Mauerbau.

Fazit: Differenziertes und interessantes Bild der Musikszene

Andererseits merkt man dieser Dissertation an, wieviel Zeit und Mühen der Autor in das Thema investiert hat: „Tanzmusik in der DDR“ ist zweifellos ein wichtiger beispielhafter Beitrag über die ostdeutsche Alltagskultur in der Ulbricht-Ära und ist auch für Laien interessant und lesenswert. Das Quellenmaterial zum Buch ist übrigens öffentlich zugänglich: Simon Bretschneider hat seine Interviews, Grafiken, Listen und zahlreiche Audio-Aufnahmen in seinem Blog „Populäre Musik im Osten“ veröffentlicht.

Kurzinfos:

  • Autor: Simon Brettschneider
  • Titel: „Tanzmusik in der DDR – Dresdner Musiker zwischen Kulturpolitik und internationalem Musikmarkt, 1945-1961“
  • Verlag: Transcript-Verlag
  • Ort und Jahr. Bielefeld 2018.
  • Druckausgabe: 326 Seiten, 30 Euro, ISBN 978-3-8376-4563-7
  • E-Buch, 27 Euro, ISBN 978-3-8394-4563-1
  • Mehr Infos hier
  • Leseprobe: hier

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt