Soziologe Kollmorgen: Gemessen an den Eliten ist die deutsche Einheit nicht gelungen
Dresden/Görlitz, 21. Januar 2019. Knapp 30 Jahre nach der politischen Wende in der DDR sind Ostdeutsche im politisch wiedervereinigten Deutschland in Führungspositionen immer noch stark unterrepräsentiert. „Hinsichtlich der Repräsentation Ostdeutscher in den Eliten“ sei die deutsche Einheit nicht gelungen, schätzt Soziologie-Professor Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz ein.
Nährboden für Populismus?
Dies sei womöglich auch einer der Gründe, warum populistische Forderungen im Osten auf einen fruchtbareren Boden fallen als anderswo: „Die Marginalisierung Ostdeutscher in den Eliten stärkt populistische Ideologien, weil sich die Eliten leichter als Fremde wahrnehmen und beurteilen lassen“, argumentiert der Soziologe. Und ohne gezielte fördernde Eingriffe werde sich an der ostdeutschen Unterrepräsentanz auch in überschaubarer Zukunft kaum etwas daran ändern.
Vor allem auf Führungsposten in Justiz, Militär und Wirtschaft massiv unterrepräsentiert
Zwar gibt es gutbekannte Ausnahmen. So haben die Ostdeutschen mit Angela Merkel und Joachim Gauck bereits eine Bundeskanzlerin und einen Bundespräsidenten gestellt. In anderen Sektoren hingegen sind sie in Spitzenpositionen so gut wie überhaupt nicht vertreten, vor allem solchen, die durch Karriereaufstieg, Ernennungen und Selbstrekrutierung geprägt sind. In Justiz, Militär und Wirtschaft liegt der Anteil ostdeutscher Führungskräfte nur zwischen 0,5 und zwei Prozent, betont der Transformationsexperte Kollmorgen.
Je höher der Posten, desto weniger Ostdeutsche – außer in der Politik
„Je höher die Position klassifiziert ist, desto unwahrscheinlicher wird die Besetzung mit Ostdeutschen“, beschreibt er einen immer wieder beobachtbaren Zusammenhang. Nur die Politiker-Posten sind von dieser Regel ausgenommen. Über alle Sektoren hinweg betrachtet stammen nur sechs bis acht Prozent aller deutschen Eliten (im soziologischen Sinne des Wortes) aus den sogenannten neuen Bundesländern. Zum Vergleich: Ostdeutsche haben 17 Prozent Anteil an der gesamtdeutschen Bevölkerung.
Elitentransfer nach der Wende wirkt nach
Gründe für die schwache Vertretung der Ostdeutschen unter den Entscheidern, Meinungsbildnern und Wirtschaftssteuerern der Bundesrepublik sieht Prof. Raj Kollmorgen mehrere: Dies sei unter anderem eine Langzeitwirkung des massiven Elitentransfer von West gen Ost nach der Wende. Auch habe es „Zweifel an der Verfassungstreue und Zuverlässigkeit ostdeutscher Kandidaten“ gegeben. Bis heute sieht der Professor „Netzwerke der Macht“ wirken: Die Eliten aus den anderen Teilen Deutschlands eine „Ähnlichkeit der Leidenschaften, Interessen, Ideen und Laufbahnen“, durch die den Amtsinhabern oft genug Ostdeutsche mit ihren anderen Biografien als ungeeignet für Spitzenpositionen erschienen. Und: „Es mangelt vielen Ostdeutschen mit DDR-Sozialisation an distinguiertem Auftreten, machtvoller Sprache sowie elitären Geschmacksurteilen, sodass ihnen der sprichwörtliche Stallgeruch der Macht fehlt“, so Kollmorgen.
Deutschland verschenkt Innovationsimpulse
Die Unterrepräsentanz der Ostdeutschen in den Führungsschichten sei einerseits problematisch für eine moderne Demokratie, die sich von einer „angemessen Repräsentation aller relevanten sozialen Gruppe“ ernähre, unterstreicht der Soziologe. Außerdem würden dadurch „öffentliche Diskussions-, Lern- und Innovationsimpulse aus dem Osten verschenkt“.
Öffentlicher Disput im HAIT Dresden
Am 24. Januar will Kollmorgen, der auch das „Forschungsinstitut für Transformation, Wohnen und soziale Raumentwicklung“ (TRAWOS) in Görlitz leitet, seine Thesen in Dresden öffentlich zur Diskussion stellen. Sein Vortrag im Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) Dresden, Helmholtzstraße 6, beginnt 16 Uhr und widmet sich dem Thema „Ostdeutsche Eliten und Eliten in Ostdeutschland. Eine Analyse ihrer Zirkulation und Reproduktion nach 1989 im ostmitteleuropäischen Vergleich“.
Autor: Heiko Weckbrodt
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