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„Augenblicke“: Die Alltags-Gesichter von Frankreich

Varda und JR reisen in einem Kleintransporter durch Frankreich, der wie eine riesige Kamera aussieht. Szenenfoto aus "Augenblicke": Weltkino

JR und Varda reisen in einem Kleintransporter durch Frankreich, der wie eine riesige Kamera aussieht. Szenenfoto aus „Augenblicke“: Weltkino

Regie-Omi und Straßenkünstler frönen in einer Roadmovie-Doku einer vergänglichen Kunst

Die 89-jährige Regisseurin Agnès Varda und der 33-jährige Straßenkünstler JR reisen in einem überdimensionalen motorisierten Fotoapparat durch Frankreich, um einer höchst vergänglichen Kunstform zu frönen: Sie palavern mit ganz gewöhnlichen Passanten, mit François und Françoise Normalfranzose gewissermaßen, und überreden sie dazu, sich ablichten zu lassen. Und dann vergrößern sie diese Lichtbilder ins Riesenhafte und kleben sie auf Häuserwände, Wassertürme, Eisenbahnwaggons, Atlantikbunker. Manche bleiben eine ganze Saison lang der Hingucker in irgendeiner französischen Kleinstadt, andere Bilder tilgt die Flut schon nach wenigen Stunden vom Stein. In der bezaubernden Dokumentation „Augenblicke: Gesichter einer Reise“, die derzeit in den deutschen Kinos gezeigt wird, ist eben nichts für die Ewigkeit gedacht.

Werbevideo (Weltkino)

Ins Hundertfache vergrößert, wird der Mensch zum Kunstwerk

Auf anderthalb Stunden komprimiert, verfolgen wir die beiden Filmemacher und Protagonisten auf ihrer langen Reise. Der Zuschauer erlebt im Zeitraffer die langwierigigen Vorbereitungen auf die Vor-Ort-Installationen – und genießt den ergreifenden Moment, wenn ein Gesicht, ein Postbote, ein Ziegenkopf das erste Mal von einer Fassade schaut – jedes individuelle Detail wird in der hundertfachen Vergrößerung sichtbar. Und wir sehen auch, wie diese Bilder Menschen zu Tränen rühren, in der Normandie genauso wie in der Provence.

Straßenkünstler JR (links) und regisseurin und Fotografin Agnès Varda halten nichts von Ziegen, denen man in jungen Jahren die Hörner abbrennt, um ihren Kampfgeist zu mindern. Und so setzen sie der gehörnten Ziege ein fotografisches Denkmal. Szenenfoto: Weltkino

Straßenkünstler JR (links) und regisseurin und Fotografin Agnès Varda halten nichts von Ziegen, denen man in jungen Jahren die Hörner abbrennt, um ihren Kampfgeist zu mindern. Und so setzen sie der gehörnten Ziege ein fotografisches Denkmal. Szenenfoto: Weltkino

Fast verlassene Kohle-Dörfer, Ziegen ohne Hörner und die Augen des Andalusischen Hundes

Denn über die bloße Vergrößerung entfalten diese oft eher kurzlebigen Bilder eine magische Kraft. Das mag daran liegen, dass der Junge und die Alte ihre ganz eigene, entspannte Sicht auf die Welt haben, ein Auge für das Besondere, für Arrangements – und die Fähigkeit, mit nahezu jedem Menschen binnen Minuten Freundschaft zu schließen. Mit der letzten Bewohnerin einer aufgegebenen Bergarbeitersiedlung. Mit Trucker-Fahrerinnen und Ziegenfarmern. Mit schaukelnden Glöcknern und schüchternen Kellnerinnen. Und ganz nebenbei werden die Macher zu Befragten, erzählt Varda zum Beispiel über ihre Zeit mit der Regie-Ikone Godard oder ihre Angst vor dem Andalusischen Hund…

Das gekippte Foto des Freundes aus längst verflossenen Jahrzehnten hielt nur bis zur nächsten Flut am deutschen Atlantikbunker - aber diese Vergänglichkeit gehört zum Kunstkonzept von Varda und JR. Szenenfoto aus "Augenblicke": Weltkino

Das gekippte Foto des Freundes aus längst verflossenen Jahrzehnten hielt nur bis zur nächsten Flut am deutschen Atlantikbunker – aber diese Vergänglichkeit gehört zum Kunstkonzept von Varda und JR.
Szenenfoto aus „Augenblicke“: Weltkino

Fazit: Weckt das Frankreich-Fernweh

Diese Reise auf vielerlei Ebenen entwickelt eine bemerkenswerte visuelle Sogkraft und Faszination – und weckt den Wunsch, sich sofort ins Autos zu setzen und umgehend nach Frankreich zu fahren.

Kurzinfos:

  • Titel: „Augenblicke: Gesichter einer Reise“
  • Originaltitel: „Visages Villages“
  • Genre: Mix aus Doku und Roadmovie
  • Produktionsland und –jahr: Frankreich 2017
  • Regie und Hauptdarsteller: Agnès Varda und JR
  • Laufzeit: 93 Minuten
  • Sprache: Französisch mit deutschen Untertiteln
  • Verleih: Weltkino Filmverleih Leipzig

 

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt