Geschichte, Wirtschaftspolitik
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DDR-Kaliwerk-Projekt (4): Roßkur in Roßleben

Die Modernisierung des Kaliwerks Roßleben wurde zum "Staatsplanvorhaben" erhoben und bekam dadurch bevorzugt Ressourcen in der DDR-Mangelwirtschaft zugewiesen. Foto: Peter Weckbrodt, bearbeitet: hw

Die Modernisierung des Kaliwerks Roßleben wurde zum „Staatsplanvorhaben“ erhoben und bekam dadurch bevorzugt Ressourcen in der DDR-Mangelwirtschaft zugewiesen. Foto: Peter Weckbrodt, bearbeitet: hw

Mit eiserner Hand und Schnaps zur modernsten Kalidünger-Fabrik der DDR

Roßleben, 25. Dezember 2014. Es war eine wahre Rosskur, die der Belegschaft bei diesem Staatsplanvorhaben zugemutet wurde: Das Kaliwerk Roßleben sollte nach dem Willen der zentralen Wirtschaftslenker zur modernsten DDR-Düngerfabrik in ihrer Art ausgebaut werden. Während des laufenden Betriebes nicht nur einfach zu produzieren, sondern auch die Planziele Monat für Monat zu erreichen – was letztlich sogar gelang –, grenzte an ein Wunder. Eine Grundvoraussetzung dafür war, dass es insbesondere dem Werkdirektor Helmut Schirmer gelang, die Belegschaft davon zu überzeugen, dass es zu den Zielstellungen und den Terminen keine Alternative gibt.

Schon früh in der Grube: Direktor ging in Roßleben mit gutem Beispiel voran

Schirmer wirkte glaubhaft, weil er an sich selbst die höchsten Forderungen stellte, das war bekannt. Wenn das Führungs- und Leitungspersonal gegen 5.30 Uhr seinen Dienst antrat, kam der Direktor häufig schon aus der Grube oder von einem Rundgang durch den Übertagebereich zurück. Beim üblichen täglichen Morgenrapport konnte ihm keiner mit faulen Ausreden kommen. Schirmer weiß Bescheid, das war bekannt.

Viele junge Ingenieure kapitulierten unter der eisernen Regie

Die Verantwortungsträger führte er mit eiserner Hand, war geradezu gnadenlos, sicher für den Einen oder Anderen ein echter Horror. Nicht wenige junge Ingenieure kapitulierten unter diesen Bedingungen, verließen Rossleben, suchten sich einen weniger anstrengenden Arbeitsplatz. Die aber blieben, erwarben sich die uneingeschränkte Achtung der Belegschaft. Die Arbeit schweißte zusammen!

Ohne Wohnungsbau für die Kumpel keine Devisen

Slivovitz gehört mit bis zu 70 % Alkoholgehalt zu den hochprozentigsten Schnäpsen überhaupt - und wurde als Gratikfikation im Kaliwerk verteilt. Foto: Chris Capoccia, Wikipedia, Public Domain

Slivovitz gehört mit bis zu 70 % Alkoholgehalt zu den hochprozentigsten Schnäpsen überhaupt – und wurde als Gratikfikation im Kaliwerk verteilt. Foto: Chris Capoccia, Wikipedia, Public Domain

Schirmer wandte auch „unkonventionelle“ Mittel an. Als der Bau neuer Wohnungen für die Ansiedlung der zusätzlich notwendig gewordenen Arbeitskräfte stockte, rückte Schirmer im Hallenser Bezirkstag an. Mandat ja oder nein, das war für Schirmer keine entscheidende Frage oder gar ein Problem. Jedenfalls hämmerte er vom Rednerpult aus den staunenden Abgeordneten seine Sicht der Dinge in die Ohren: ohne Wohnungen in Rossleben auch keine Kaliproduktion, keine Devisen vom Weltmarkt, keine Bananen und keine Apfelsinen zu Weihnachten!

Hochprozentige Gratifikation für „unsere Besten“

Wer fordert, der belohnt auch. So hielt es Schirmer mit der Belegschaft und mit den vielen Monteuren aus über 20 Betrieben, die auf der Großbaustelle zeitweilig arbeiteten. Am letzten Arbeitstag vor Weihnachten gibt’s ein Präsent. Gesagt, getan, jeder erhielt schon in den Vormittagsstunden eine Flasche hochprozentigen Slivovitz. Da war bald beste Stimmung auf dem Schacht. Im Folgejahr wurden schlicht drei Handtücher ausgegeben.

Extra Bonzen-Weg für ministerielle Besuche gebaut

Gerhard Schürer (1921-2010) war Chef der Staatlichen Plankommission der DDR. Foto: ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Gerhard Schürer (1921-2010) war Chef der Staatlichen Plankommission der DDR. Foto: ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Auch Schirmer hatte seinen Chef, seine persönliche Drohkulisse. Der SED-Politbüro-Kandidat und Vorsitzende der Staatlichen Plankommision, Gerhard Schürer, besuchte die produzierende Großbaustelle. Von Schürers Zugriffsmöglichkeiten auf Investitionsgüter profitierte das Werk bei solchen Gelegenheiten. Auch der Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, Kurt Singhuber, informiert sich „vor Ort“ wiederholt über das Geschehen. Damit das möglichst glatt lief, wurde nach dem Motto „Er soll Sehen, aber nicht unbedingt alles“ ein spezieller Ministerweg präpariert: Nach dem Vorbild der Patjomkinschen Dörfer in Russland legte man einen eigenen Bonzen-Pfad an, damit der Herr Minister nicht wie alle anderen durch den Kaliwerk-Schlamm trampeln musste.

Direktor stampfte danach neue Kaliwerk Zielitz aus dem Boden

Nachdem Schirmer im Roßlebener Staatsplanvorhaben erfolgreich seine Fähigkeiten nachgewiesen hatte, wurde ihm schon bald der Auftrag erteilt, am nördlich Magdeburgs gelegenen Standort Zielitz ein vollständig neues Kaliwerk aus dem Boden zu stampfen. Das ist ihm bis 1973 auch gelungen. Seine Bergmannsrente hat er aber nicht mehr erlebt. Autor: Peter Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Teil 1: Der Traum vom Weißen Gold

Teil 2: Vom Grubenhunt zum Schweden-Laster

Teil 3: DDR-Ingenieure sprengten sich durch alte Fabrik

Teil 4: Mit eiserner Hand und Schnaps zum modernsten Kaliwerk der DDR

Teil 5: Kaum fertig, schon veraltet

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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