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Kaliwerk Roßleben (5): Kaum fertiggestellt, schon veraltet

Die Verladeanlage im Kaliwerk Roßleben mit den Gleisanschlüssen - die Aufnahme entstand 1992 kurz vor dem Abriss. Foto: Peter Weckbrodt

Die Verladeanlage im Kaliwerk Roßleben mit den Gleisanschlüssen – die Aufnahme entstand 1992 kurz vor dem Abriss. Foto: Peter Weckbrodt

DDR-Innovationslenker brauchten viel zu lange und planten am Weltmarkt vorbei

Roßleben, 1. Januar 2015: In den 1960er Jahren ließen die DDR-Wirtschaftslenker das Kaliwerk im thüringischen Roßleben mit großem Aufwand modernisieren, um mehr Devisen im Westen mit Kalidünger zu erlösen. Trotz bevorzugter Ressourcen-Zuteilung als Staatsplan-Vorhaben dauerte dieses zentral gesteuerte Innovationsprojekt jedoch viel zu lange, um mit der Entwicklung auf den Weltmärkten Schritt zu halten. Die Folge: Die neuen Dünger-Anlagen waren bereits veraltet, als sie endlich in Betrieb gingen.

DDR-Planungschef Schürer persönlich kam zum Betriebsstart

Gerhard Schürer (1921-2010) war Chef der Staatlichen Plankommission der DDR. Foto: ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Gerhard Schürer (1921-2010) . Foto: ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Als im Beisein von DDR-Staatsplanungschef Gerhard Schürer (SED) in der neuen Verladeanlage am Bahnhof Rossleben der erste Waggon mit Kali beladen wurde, war es geschafft. Ja, was? Mit der Zielstellung, für die DDR das modernste Kaliwerk der Welt zu schaffen, war das Staatsplanvorhaben Rossleben um das Jahr 1960 beschlossen wurden. Nun, fast ein Jahrzehnt später, zeigten sich für das Werk bereits erste Wolkenschleier am vermeintlich strahlend blauen Kali-Himmel.

Westen wollte 60-%-Dünger – doch neues Werk konnte nur 40er Kali liefern

Die Gründe hierfür waren eigentlich ganz simpel: Die weltweite Intensivierung der Landwirtschaft hatte ein höheres Tempo vorgelegt als es die DDR-Planer gewollt hatten. Statt Düngemittel mit einem Kaliumoxyd-Gehalt von 40 Prozent, für den das Werk modernisiert worden war, verlangte der Weltmarkt nun 60 Prozent. Dafür waren die nagelneuen Anlagen aber nicht geeignet, für Rossleben war dies ein Ding der Unmöglichkeit.

Trend zum Komponenten-Dünger verschlafen

Zudem war statt Einkomponenten-Düngemittel, wie eben Kali, plötzlich Mehrkomponenten-Dünger international gefragt. Auch der gehörte technologisch nicht zum Roßlebener Produktionsprogramm. In Kooperation mit einem landwirtschaftlichen Forschungsinstitut in Heinrichshall bei Gera gelang es allerdings, relativ schnell einen Phosphor-Kali-Mischdünger zu entwickeln, der dann im Kaliwerk auch im bescheidenen Mengen produziert wurde. Um das Werk dauerhaft konkurrenzfähig zu machen, hätte es wohl weiterer zweistelliger Millionen-Investitionen bedurft. Das war allerdings weder für die Kali-Industrie noch für die Volkswirtschaft der DDR im Ganzen machbar, zumal das milliardenschwere neue Kaliwerk Zielitz bei Magdeburg bereits eine enorme Belastung darstellte. Zeitgleich musste das Bergwerksmaschinenwerk Dietlaß in der Rhön aufgebaut und befähigt werden, die hochwertigen West-Importe an Bergwerkstechnik – darunter Bohrwagen, Lader und Trucks – durch Eigenentwicklungen abzulösen.

 

Blick auf das Kaliwerk-Gelände heute per Google-Satellitenbild:

Mit der politischen Wende kam das Aus

Mit der Wende kam folgerichtig für das Kaliwerk Rossleben besonders schnell das Aus. Zwei Jahre nach der Wende war ebenso Schluss wie bald für die anderen Kaliwerke im Südharz. Dann kamen die Abbruchkommandos. Die Schächte wurden verfüllt, die Rückstandhalden blieben.

Verschwörungstheorien halten sich hartnäckig

Bis heute sind viele Kumpel zwar davon überzeugt, dass westdeutsche Kali-Unternehmen die ostdeutschen Bergwerke nur stillgelegt hätten, um sich unliebsamer Konkurrenz zu entledigen. Tatsächlich aber war das Roßlebener Kaliwerk bereits vor der Wende veraltet und konnte nur deshalb überhaupt Devisen erlösen – und dies in schrumpfendem Maße –, weil die Löhne und damit die Personalkosten in der DDR viel niedriger als im Westen war. Nach der groß gefeierten Modernisierung der 1960er Jahre bekam die DDR den Roßlebener Kali-Dünger im Westen kaum noch los und musste froh sein, wenn sie ihn noch in Afrika oder in den sozialistischen „Bruderstaaten“ verkaufen konnte.

Fast 2000 Jobs futsch

Um das Werk in Roßleben nach dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft wieder konkurrenzfähig zu machen, wären erhebliche Nachinvestitionen nötig gewesen. Das Aus war insofern weniger die Folge einer westdeutschen Verschwörung, sondern vielmehr ein wirtschaftlich nachvollziehbarer Schritt – durch den freilich fast 2000 Arbeitsplätze in und um Roßleben verloren gingen.

Hoffnung auf Neueröffnung zerschlagen

Vor etwa fünf Jahren keimte in der Stadt Rossleben noch einmal Hoffnung, kam fast ein Hauch von Goldgräberstimmung auf. Geologische Erkundungen hatten für das Roßlebener Revier Kalisalzvorräte in geradezu unvorstellbaren Mengen nachgewiesen. Potenzielle Investoren wurden gesucht. mindestens zwei neue Schächte hätten, schon wegen der Belüftung der Grube, geteuft werden müssen. Ob sich das in Thüringen gelegene Rossleben dabei als der günstigste Standort erwiesen hätte, oder auf dem in Sichtweite nahen Gebiet von Sachsen-Anhalt gebohrt worden wäre, bleibt offen. Fakt ist, allein die erkundeten Vorräte hätten wohl mehr als 100, vielleicht sogar 200 Jahre gereicht.

Kalipreis im Sinkflug

Im Sommer 2014 kam auch für diesen Traum das Aus, vor allem, weil die Kali-Preise auf den Weltmärkten in den Sinkflug gegangen waren: Laut Weltbank kostete die Tonne Kali im September 2011 noch 470 US-Dollar, im September 2014 waren es dann nur noch 257 US-Dollar. Da lohnte sich das neue Werk nicht mehr. Die Weltfinanzkrise und die Krise auf dem Kalimarkt ließen die möglichen Geldgeber kalte Füße kriegen. Das Thema ist passé, die Enttäuschung in Rossleben groß. Autor: Peter Weckbrodt

-> Hinweis: Autor Peter Weckbrodt arbeitet während des Modernisierungsprojekts selbst als Ingenieur im Kaliwerk Roßleben.

Unsere Mini-Serie zum Innovationsprojekt Kaliwerk Roßleben im Überblick:

Teil 1: Der Traum vom Weißen Gold

Teil 2: Vom Grubenhunt zum Schweden-Laster

Teil 3: DDR-Ingenieure sprengten sich durch alte Fabrik

Teil 4: Mit eiserner Hand und Schnaps zum modernsten Kaliwerk der DDR

Teil 5: Kaum fertig, schon veraltet

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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