Russischer Historiker beleuchtet „Deutsche Operation“ des NKWD in den Terrorjahren
„Was für ein Teufelspack“, notierte Stalin, als er die Geheimdienstakte über Fritz Elender las. Der NKWD hatte den deutschen Emigranten als angeblichen Provokateur „entlarvt“: Elender habe als Mitarbeiter des Moskauer Kunststoffwerkes „faschistische Knöpfe“ hergestellt, berichteten die Schergen, die auf Knöpfen dieser Fabrik ein hakenkreuzartiges Muster erkannt zu haben glaubten. Mitten im „Großen Terror“ reichte diese wirre Anschuldigung für Straflager oder gar Kopfschuss durch Stalins Henker.
Der russische Historiker Alexander Vatlin hat anhand von Akten und Erlebnisberichten diese und etwa 700 weitere Schicksale von Deutschen untersucht, die in die Sowjetunion ausgewandert waren und während der „Deutschen Operation“ des NKWD in den 1930er Jahren in die stalinistische Vernichtungsmaschinerie gerieten. Sein nun veröffentlichtes Buch gibt den Ermordeten und Verbannten wieder Namen, schildert das ihnen angetane Unrecht.
Jeder war Spion – da alles in SU als geheim galt
Es sei damals den NKWD-Untersuchungsführern nicht schwergefallen, resümiert Vatlin, nahezu jeden Deutschen zum „Spion“ erklären, weil „in der UdSSR nahezu alles geheim war: die Beschlüsse der Parteigruppe, die reparierten Lokomotiven, die ausgesäten Getreidesorten…“ Anhaltspunkte, dass sich auch nur einer der teils erschossenen, teils bei Haft und Deportation umgekommenen, teils jahrelang in Gulags gesteckten Deutschen tatsächlich eines Verbrechens schuldig gemacht hatten, dass die wilden NKWD-Beschuldigungen mehr als nur Vernichtungs-Planerfüllung waren, habe er in den Akten nicht finden können.
„Gute Laune“ reichte für Verhaftung
Oft genug genügten völlig banale Denunziationen, um deutsche Kommunisten oder eingewanderte deutsche Facharbeiter durch Sondertribubale zum Tode zu verurteilen: „Hat seit dem faschistischen Überfall verdächtig gute Laune am Arbeitsplatz“ etwa war ein „Beweis“, dass die Verhaftete eine deutsche Spionin war. Oder: „War in Deutschland im KZ und kam wieder frei“ („Beweis“, dass dieser Kommunist ein Gestapo-Agent sein musste). Selbst die Visite in der deutschen Botschaft, um den Pass zu verlängern, der Besuch deutscher Singegruppen, die Kritik deutscher Ingenieure am Schlendrian und Verwahrlosung in sowjetischen Betrieben – all dies wurde vom allmächtigen Volkskommissariat für Inneres (NKWD) unter Nikolai Jeschow als „antisowjetische Propaganda“ etc. mit dem Tode bestraft.
Folterknechte in Fleischerschürze
Triebfedern dieses wahnwitzigen Terrors gab es mehrere, wie Vatlin herausarbeitet: Stalins Paranoia, vor allem aber die sozialismustypische Bürokratiespirale aus Planvorgaben, wieviele „Feinde“ zu verhaften und zu vernichten seien, die die NKWD-Untersuchungsführer vor Ort dann durch „Planübererfüllungen“ zu übertreffen suchten, indem sie wahllos jeden mit deutschklingendem Namen verhafteten und dann im Massenverfahren bizarre Beschuldigungen konstruierten. Dies wurde noch durch Psychopathen in den Reihen des NKWD verstärkt, die angesichts unkontrollierter Machtfülle ihre sadistischen Neigungen bei unter Folter erzwungenen Geständnissen (üblich waren laut Vatlin ab 1937 Schlafentzug. Dauerstehen, stundenlange Prügel und Dauerstehen) auslebten. Von einem Geheimdienstoffizier wird beispielsweise berichtet, er sei tatsächlich stets mit einer Fleischerschürze ins Verhör gegangen, damit seine Uniform keine Blutflecken bekam.
Am Ende bekam NKWD-Chef selbst die Kugel
Erst 1938 zog Stalin die Reißleine – vor allem, weil der NKWD der Kontrolle der Partei zu entgleiten drohte. Jeschow ereilte danach das gleiche Schicksal wie seinem Vorgänger Jagoda und wie seinen eigenen Opfern: Er wurde von Lawrenti Berija abgelöst, verhaftet und erschossen. Danach verhafteten „die Organe“ zwar weiter Unschuldige, aber bei Weitem nicht mehr im früheren Umfang. Die „Deutsche Operation“ setzte sich indes – wenn auch abgeschwächt – fort. Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion 1941 kam es noch einmal zu größeren Verhaftungswellen, aber nicht mehr immer mit tödlichen Folgen.
Wer überlebte, war Wachs in Stalins Händen
Danach waren nahezu alle deutschen Männer auf sowjetischen Boden tot oder deportiert, ein Großteil der Frauen deportiert. Und die, die übrig blieben, waren nur noch Wachs in Stalins Händen: Denunziantentum durchzog die sowjetische Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür (übrigens ähnlich wie in Nazi-Deutschland). Wer den großen Terror in „Freiheit“ überlebt hatte, „wagte keine Kritik an der offiziellen Linie, keine selbstständigen Entscheidungen mehr“, so Vatlin.
Heiko Weckbrodt
Alexander Vatlin: „Was für ein Teufelspack – Die deutsche Operation des NKWD“, Metropol-Verlag Berlin 2013 (Original: Moskau 2012), 359 Seiten, ISBN 978-3863310905, 24 Euro, Leseprobe beim Amazon hierIhre Unterstützung für Oiger.de!
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