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Dresdner Sinfoniker: Lass uns das letzte Konzert der Welt spielen

Mexikanische Indianer halten die Kultur ihrer Maya-Vorfahren hoch. Foto: Markus Rindt

Mexikanische Indianer halten die Kultur ihrer Maya-Vorfahren hoch. Foto: Markus Rindt

Am 21. Dezember 2012 endet der dreizehnte Kalenderzyklus der Maya. Für einige Esoteriker folgt darauf der Weltuntergang. Für andere Menschen bricht lediglich eine neue Periode in der Zeitrechnung der Maya an. Gemeinsam mit einer Maya-Sängerin, die sich in Mexiko befindet, wollen die Dresdner Sinfoniker den Neuanfang begrüßen. Das mitternächtliche Konzert findet in der Sächsischen Landesbibliothek direkt unter der Vitrine mit dem ältesten und am besten erhaltenen Buch der Maya, dem Codex Dresdensis, statt. Aufgeführt werden zeitgenössische, zum Teil eigens für den Abend komponierte, Stücke mexikanischer Komponisten. Einer der renommiertesten Dirigenten Mexikos, José Areán, wird das Orchester leiten. Einzigartig ist die Einbindung einer Sängerin, die Tausende von Kilometern und einen Ozean entfernt von den Musikern, singen wird. Die Berliner Schriftstellerin Maike Wetzel befragte dazu Markus Rindt, den Intendanten der Dresdner Sinfoniker.

Herr Rindt, die Dresdner Sinfoniker haben das Genre „zeitgenössische Orchestermusik“ von dem
Nimbus der „akademischen“ und „unhörbaren“ Musik befreit. Etwa zweimal im Jahr suchen Sie Ihre
Musiker aus aller Welt zu Crossover-Projekten zusammen. Einige spielen regulär bei den Wiener oder
den Berliner Philharmonikern, andere kommen aus Norwegen, Polen, Mexiko oder den USA zu den
Proben angereist. Was motiviert Ihre Kollegen und Sie?

Markus Rindt. Foto: privat

Markus Rindt. Foto: privat

Markus Rindt: Die Lust steht ganz oben, die Höhe der Gage ist eher nebensächlich. Wir machen nur
das, was uns Spaß macht.

2008 wurden Sie als „Kulturmanager des Jahres“ ausgezeichnet und konnten sich als Preis eine Reise
zu einem Ort Ihrer Wahl aussuchen. Sie entschieden sich für Mexiko. War das Zufall?

Markus Rindt: Der junge mexikanische Komponist Enrico Chapela war der Grund. Um ihn
wiederzusehen, reiste ich in seine Heimat. Er erzählte mir dann von dem angeblichen Weltuntergang
am 21. Dezember 2012. Daraus entstand die Idee zu dem Konzert. Aber der Reihe nach: Kurz bevor
Enrico Chapela weltweit bekannt wurde, lernte ich ihn und seine Musik kennen. Er verbindet
zeitgenössische Orchestermusik mit Dark Metal und mexikanischer Volksmusik. Seine Stücke sind
aufregend neu, aber mit einem klaren Bezug zu seinen Wurzeln. Mir gefällt diese Mischung.

Beim Festkonzert zum zehnjährigen Bestehen der Dresdner Sinfoniker spielten wir 2008 auch ein Stück von
Enrico Chapela. Die Ouvertüre bei diesem Jubiläumsabend inszenierten wir als „Erstes Ferndirigat der
Welt“. Das Orchester saß in Dresden, der Dirigent Michael Helmrath aber stand in London auf der
Straße. Wir sahen ihn als Videobild auf einer halbtransparenten Leinwand. Er aber dirigierte ohne das
Orchester zu hören. Die Musiker hatten dem Dirigenten also extrem genau zu folgen, denn er konnte
nicht auf das Orchester reagieren. Das war eine enorme Herausforderung. Aber es hat geklappt!

Auch Enrico Chapela war begeistert. Wir blieben im Kontakt. Ich bereiste seine Heimat, war überwältigt
von ihrer Schönheit und vor allem von den kulturellen Leistungen der Maya und der anderen
Ureinwohner und erzählte ihm davon. Enrico Chapela hatte dann die zündende Idee. Er sagte: Am 21.
Dezember 2012 soll die Welt untergehen – lass uns doch das letzte Konzert der Welt spielen. Das
brachte den Stein ins Rollen.

Das Konzert findet am 21. Dezember 2012 statt. Was hat es mit diesem Datum auf sich?

Markus Rindt: Der 21. Dezember 2012 ist nicht nur der Tag unserer Wintersonnenwende, sondern es
endet auch ein Zyklus der sogenannten Langen Zählung des Mayakalenders. Anhand dieses Kalenders
berechnen die Maya astronomische Konstellationen. Im Codex Dresdensis, dem in Dresden
ausgestellten Handbuch zu den Kalendern und Riten der Maya, taucht am Ende ein Wasser speiendes
Reptil auf. Viele Menschen sahen darin eine Sintflut.

Aufgrund dieses Bilds und dem Ende der Langen Zählung entstand die Legende, am 21. Dezember 2012 werde die Welt untergehen. Spätestens der
Katastrophenfilm „2012“ von Roland Emmerich hat diese Idee populär gemacht. Tatsächlich handelt
es sich um ein Missverständnis. Die Maya waren Bauern. Im Codex Dresdensis ist die Rede von
Naturkatastrophen, die für Bauern vernichtend sein können – aber nie im Zusammenhang mit dem
21.12.2012. Auch eine erst vor vier Jahren entdeckte Steintafel der Maya spricht nicht von der
Apokalypse, sondern von einem Neuanfang. Der Maya-Gott Bolon Yokte soll am 21. Dezember
zurückkehren.

Für die Maya steht das Programm also schon fest. Was aber planen Sie für diesen Abend?

Markus Rindt: Die Uraufführung eines Stücks von Enrico Chapela. Er komponiert es eigens für dieses
Konzert. Neben weiteren Stücken von ihm werden wir auch zwei Stücke von Silvestre Revueltas
spielen. Der mexikanische Komponist hatte nur zehn Jahre Zeit für sein Werk. Trotzdem schaffte er es
in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinem Land eine eigene musikalische Stimme zu
verleihen. Bis heute hat sie nichts von ihrer Kraft verloren. Chapela dagegen geht ganz neue Wege.

Schon die Instrumentierung ist ungewöhnlich: Rocktrio plus Streich-, dann Holz-, danach
Blechquintett. Im vierten Satz spielen alle zusammen plus ein Percussionquartett sowie ein Klavier.
Als Dirigent konnten wir José Aréan gewinnen, der sonst das Mexico City Philharmonic Orchestra
leitet.

Das Orchester spielt in Dresden und eine Sängerin kommt live aus Mexiko dazu. Das klingt erst
mal unglaublich. Wie genau wird das Ganze ablaufen?

Markus Rindt: Das Konzert findet unterhalb der Schatzkammer der Sächsischen Landesbibliothek statt. Für diesen
Ort gibt es einen guten Grund: Es existieren heute überhaupt nur noch drei Bücher der Maya. Das
bedeutendste und das einzig öffentlich zugängliche ist in der Schatzkammer der Sächsischen
Landesbibliothek ausgestellt. Wir spielen genau darunter. Um Mitternacht wird das Konzert seinen
Höhepunkt erreichen. Ich möchte jetzt nicht zu viel verraten, um die Spannung nicht zu zerstören. Nur
eins noch: Wir werden eine einzelne Stimme hören. Scheinbar ganz nah, tatsächlich aber weit entfernt.
Dennoch wird sie sich mit dem Orchester verbinden und wir hören phantastische zeitgenössische
Musik aus Mexiko. Überlegen Sie es sich gut: Wollen Sie den letzten Abend allein zuhause verbringen
oder lieber mit den Dresdner Sinfonikern feiern?

(Die Fragen stellte Maike Wetzel, das Interview, das wir hier für Dokumentationszwecke absdrucken, entstand für die Dresdner Sinfoniker)

 

Zum Weiterlesen:

Dresdner Uni-Bibliothek SLUB feiert in die Apokalpyse hinein

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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