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Beispiel Sitec: Fabrikloses Geschäftsmodell greift in Sachsens Gerätebau um sich

Sitec-Chef Henning Siegel zeigt eines der Telematik-Systeme (offen und versiegelt), mit denen das Dresdner Unternehmen bei MAN und anderen großen Fahrzeugbauern im Boot ist. Abb.: hw

Sitec-Chef Henning Siegel zeigt eines der Telematik-Systeme (offen und versiegelt), mit denen das Dresdner Unternehmen bei MAN und anderen großen Fahrzeugbauern im Boot ist. Abb.: hw

Dresdner Ingenierfirma liefert Hightech-Diebeverfolger zu Tausenden – produziert wird in Foundries

Dresden, 20. August 2012. Sie überwachen MAN- und Mercedes-Lasterflotten in ganz Europa, schützen Straßenbaufirmen vor Baumaschinendieben und helfen deutschen Nahverkehrsbetrieben, ihre Fahrgastströme zu managen: trickreiche Telematiksysteme von „Sitec Systems“ aus Dresden. Was besonders faszinierend daran ist: Obwohl die Dresdner ihre GPS-Module, Diebeverfolgungssysteme und elektronischen Fahrtenschreiber zu Zehntausenden verkaufen, steckt hinter Sitec keine große Fabrik, sondern eine kleine Entwicklungsfirma mit nur elf Mitarbeitern, die im Dresdner „World Trade Center“ (WTC) ein paar Büros belegen. Möglich macht dies das „Fabless- und Foundry“-Konzept, wie es die Halbleiterbranche vorexerziert.

Auftragsfertiger aus der Region

„Wir verstehen uns als Ingenieursunternehmen, dessen Stärken im Entwurf, in der Personalisierung, Programmierung und in der Qualitätssicherung liegen“, betont Geschäftsführer Henning Siegel. Produziert wird in der fünften Etage des WTC kaum – ein bisschen automatisierte Endmontage auf kleinstem Raum, das ist alles. Die Leiterplatten und Komponenten für die Hightech-Telematiksysteme lässt sich das Unternehmen von Auftragsfertigern („Foundries“) aus der Region zuliefern.

Sitec zeigt insofern auch einen Paradigmenwandel in der sächsischen Industrie. Wo man früher mit hohem Kapitaleinsatz eine hätte hochziehen müssen, können findige Technologie-Ideen inzwischen auch nach dem „fabriklosen“ oder „fabrikarmen“ Geschäftsmodell realisiert werden: Der Initiator konzentriert sich auf das, was er am Besten kann, die Entwicklung.

Viele Regional-Foundries aus DDR-Kombinaten entstanden

Leiterplatten-Foundry Dresden Elektronik. Abb.: Dresden Elektronik

Leiterplatten-Foundry Dresden Elektronik. Abb.: Dresden Elektronik

Das ist wiederum erst durch die vielgescholtenen „verlängerten Werkbänke“ möglich geworden. Denn nach der politischen Wende haben sich aus früheren DDR-Technologiekombinaten wie Robotron zahlreiche Firmen ausgegründet, die kein eigenes Produktportefeuille aufbauten, sondern sich darauf verlegten, Kundenentwürfe zu produzieren – eine ähnliche Entwicklung hat es übrigens auch in der sächsischen metallverarbeitenden Branche gegeben.

Von diesen „Foundries“, wie man sie heutzutage nennt, haben zwar nicht alle überlebt, sondern nur die, die immer wieder in die Modernisierung ihres Anlagenparks investiert hatten und besonders flexibel auf Kundenwünsche eingingen. Aber die, die übrig blieben, haben meist gut gefüllte Orderbücher. Im Ostsachsen gehören dazu beispielsweise Leiterplattenbestücker wie „Dresden Elektronik“, „BUS Elektronik“ in Riesa, „SMT & Hybrid“, „SH Elektronik“ in Volkersdorf und viele andere – viele von ihnen haben Robotron-Wurzeln.

Sitec wurzelt in Honeywells Rüstungssparte

Und auf eben solche regionalen Elektronik-Foundries stützt sich das Geschäftsmodell von Sitec – das interessante Wurzeln hat: Der in Dresden geborene Informatiker Siegel war in den 1990er Jahren freier Entwicklungsleiter in der Brandenburger Niederlassung des US-Rüstungskonzerns Honeywell. „Die Amerikaner hatten für Marschflugkörper hochpräzise Kreiselkompasse auf Laserbasis und suchten nach dem Ende des Kalten Krieges eine zivile Anwendung dafür – damit hatte uns Honeywell damals in Brandenburg beauftragt“, erinnert sich Siegel. Technologisch waren diese optischen Kreiselkompasse zwar eine tolle Sache, denn sie konnten ein Fluggerät selbst dann noch navigieren, wenn das Satellitenortungssystem GPS ausfiel. Sie waren jedoch derart teuer, dass sich kein Massenmarkt dafür finden ließ.

Umzug nach Dresden, weil Ingenieure nicht in die „Pampa“ wollten

Als Honeywell das Projekt einstampfen wollte, gründete Siegel mit sechs Mitarbeitern die „Sitec“ aus, die 2002 nach Dresden umzog. „In der Berliner Randlage war es kaum noch möglich, fähige Ingenieure zu gewinnen“, begründet Siegel die damalige Entscheidung. „Als Dresdner kannte ich dagegen den guten Ruf der hiesigen TU, dazu gibt es hier die ganze Mikroelektronik – wir haben den Umzug nach Dresden nicht bereut.“

Verfolgungssysteme kombinieren GPS und Handy-Funk

Mögliches Ziel terroristischer Angrffe: GPS-Satellit. Abb.: US Air Force/Wikipedia

GPS-Satellit. Abb.: US Air Force/Wikipedia

Sitec konzentrierte sich fortan auf die Entwicklung und Programmierung kaum zigarettenschachtel-großer Telematikmodule, die zum Beispiel GPS-Ortungssysteme, Handyfunk-Module, Kreiselkompasse in Miniaturausführung (sogenannte „MEMS“) und weitere Komponenten enthalten. Die landen über Projektpartner dann letztlich in Bussen, Bahnen, Lastern und Baumaschinen und dienen dort beispielsweise als elektronische Fahrtenschreiber für Brummi-Lenker, rechnen die Ticketeinnahmen in Nahverkehrsunternehmen mobil ab oder lassen die Verfolgung gestohlener Baumaschinen zu.

Schutzmechanismen auch gegen Hightech-Diebe

„Dort haben wir auch ein paar spezielle Technologien eingebaut, um die Tricks von Hightech-Dieben, die mit GPS-Störern oder falschen Handyfunk-Zellen arbeiten, auszuhebeln“, erklärt Siegel. Wenn die Diebe beispielsweise GPS-Störer verwenden, um eine automatische Ortung des gestohlenen Fahrzeugs zu unterbinden, navigieren interne Kreiselkompasse weiter. Andere Kriminelle setzen elektromagnetische Störtechnik ein, um die GSM-Module in den Diebstahlsicherungen zu zwingen, sich in eine getürkte Handy-Station der Briganten einzuwählen – und damit ihre Warnungen an die Zentrale ins Nichts zu senden. Hierfür hat Sitec spezielle Techniken entwickelt, damit das Warngerät falsche Funkzellen erkennt und sich während der Fahrt in entfernte echte Zellen einwählt.

„Auch interessant für Skoda-Fahrer“

Nach einem recht schnellen Wachstum – seit 2007 hat sich der Firmenumsatz in Dresden auf 3,5 Millionen Euro versiebenfacht – will Siegel nun in den Endkundenmarkt einsteigen. Mit Blick auf die hohen Diebstahlsquoten bei „Octavia“ & Co. meint er: „Wir haben die Technologie, um Dieben das Leben schwer zu machen. Eine Technologie, die nicht nur für Lasterfahrer, sondern zum Beispiel auch für Skoda-Besitzer, Autoteiler-Flotten, Bootsbesitzer, ja selbst für Besitzer hochwertiger Fahrräder interessant ist.“ Derzeit sei Sitec aber noch auf der Suche nach einer fähigen Software-Schmiede, die dafür endkundenfreundliche Internetportale aufbaut. Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen: Licht und Schatten im Foundry-Konzept

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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