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Urheberrechts-Debatte: eBuch-Pauschale für Bibliotheken gefordert

Holger Nitzschner leitet die Dresdner "eBibo" und ist überzeugt: Dem digitalen Buch gehört die Zukunft, aber dafür muss eine Urheberrechts-Reform her. Abb.: hw

Holger Nitzschner leitet die Dresdner „eBibo“ und ist überzeugt: Dem digitalen Buch gehört die Zukunft, aber dafür muss eine Urheberrechts-Reform her. Abb.: hw

Dresden, 9. Juli 2012: Um mehr Deutschen – und zwar auch solchen mit geringem Einkommen – den Zugang zu eBüchern zu erleichtern, muss eine Reform des Urheberrechts her, meint Holger Nitzschner von der AG „Digitale Medien in öffentlichen Bibliotheken“ im „Deutschen Bibliotheksverband“ (DBV). Demnach könnten die Leihbüchereien künftig eine Pauschalabgabe ähnlich der Bibliothekstantieme für gedruckte Bücher entrichten. Im Gegenzug müssten sie dann keine Einzelverträge mit der Verlagen mehr abschließen, sondern könnten digitalisierte Bücher (eBücher) frei für Verleihzwecke erwerben – so, wie es für Papierbücher längst üblich ist.

Für den eBuch-Verleih müsse endlich eine praktikable Lösung gefunden werden, damit die Leihbüchereien ihren Grundauftrag, Wissen und Literatur allen zugänglich zu machen, auch in Zukunft erfüllen können, betonte Nitzschner, der auch die Internetfiliale „eBibo“ der Städtischen Bibliotheken Dresden leitet. Dort wächst das Interesse der Leser an ausleihbaren digitalisierten Büchern derzeit rasant: Rund 4500 Ausleihen pro Monat registriert die „eBibo“ derzeit, 60 Prozent mehr als vor einem Jahr. Rechnet man sonstige Digitalmedien heraus und behält nur die eBücher selbst im Auge, liegt die Zuwachsrate sogar bei 95 Prozent, so der eBibo-Chef. „Vor allem Belletristik und da vor allem Krimis laufen digital gut“, sagte er.

eBuch-Schub durch iPad-Hype und Preisverfall der eReader

Nitzschner führt den Schub vor allem auf den Preisverfall und die wachsende Auswahl der eBuch-Lesegeräte (eReader) zurück, aber auch auf den iPad-Hype – beide Geräteklassen eignen sich zum eBuch-Lesen. Außerdem sei auch das eBuch-Angebot der Verlage deutlich breiter geworden.

Wachstum mit angezogener Bremse

Abb.: eBibo DD

Abb.: eBibo DD

Doch selbst dieses rasante Nachfragewachstum ist nur eines mit angezogener „Handbremse“. Gerade seitens vieler Verleger sieht Nitzschner spürbare Diskriminierungs-Tendenzen für den Verleih von eBooks im Vergleich zum Kaufmarkt für eBücher. „Über das Onleihe-System können wir im Schnitt sechs bis sieben der 20 Bücher der aktuellen Bestseller-Listen digital verleihen“, sagt er. „Bei Amazon hingegen gibt es in der Regel 18 von 20 Bestseller-Büchern zu kaufen.“ Mehrere große Verlage wie Holzbrinck seien bei der Onleihe überhaupt nicht dabei.

Ähnlich benachteiligt würden die öffentlichen Bibliotheken im ePaper-Markt für die Digitalausgaben wichtiger Zeitschriften-Titel. „Manche eZeitungen dürfen wir nur eine Stunde verleihen und das auch erst fünf Stunden nach der Druckausgabe, andere mit noch größerer Verzögerung“, kritisierte Nitzschner.

Print-Verlage fürchten Kannibalisierungs-Effekten

Dahinter stehe die ewige „Kannibalisierungs-Angst“ der Verlage: Wenn man Bücher und Zeitschriften für den digitalen Verleih zu großzügig freigebe, dann lese niemand mehr die Druckausgaben, außerdem leiste man Raubkopierern Vorschub, so der Grundgedanke. „Dabei verkennen die Verlage die lesefördernde Funktion öffentlicher Bibliotheken, die mit dafür sorgen, dass wieder ein lesendes Publikum heranwächst“, betonte der eBibo-Chef.

Harte Bandagen für Bibliotheken in den USA

eBuch-Lesen findet jetzt auch in Deutschland mehr Resonanz. Abb.: Amazon

eBuch-Lesen findet jetzt auch in Deutschland mehr Resonanz. Abb.: Amazon

In den USA, wo der eBuch-Markt bereits zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden ist, klafft die Schere zwischen Verkaufs- und Verleihkanal allerdings teilweise noch weiter auseinander. Das Internet-Kaufhaus Amazon verkauft auf dem US-Markt in manchen Monaten bereits mehr eBücher als gedruckte Bücher, während der eBuch-Markt in Deutschland erst ein Prozent des Verkaufsumsatzes der Verlage und der Bibliotheksentleihungen ausmacht.

Verleih-eBooks mit Preisaufschlag und Deaktivierungszähler

Doch andererseits legen viele Verlage in Übersee den Bibliotheken viel härtere Bandagen an: Dort liegt der Preis für Verleih-eBücher bis zu dreimal so hoch wie der für Verkaufs-eBooks. Teils können die US-Bibliotheken auch nur eBücher mit Deaktivierungs-Zähler erwerben: Wurde das Buch beispielsweise 27 Mal verliehen, erlischt es und die Leihbücherei muss eine neue Digitallizenz erwerben. Zudem experimentieren in den Vereinigten Staaten auch Distributoren wie Amazon selbst mit bibliotheksähnlichen Verleih-Geschäftsmodellen für eBooks.

Bibliotheks-Tantieme gilt nur für Papierbücher

Aber auch in Deutschland harren noch ganz grundsätzliche Probleme im noch jungen eBuch-Markt einer Lösung. So dürfen sich Bibliotheken zwar jedes im Handel erhältliche gedruckte Buch zulegen. Die Leihnutzung wird dann über die sogenannte Bibliotheks-Tantieme an die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) abgeglichen – eine Pauschale ähnlich der GEMA-Abgabe von Diskotheken. Für den eBuch-Markt hingegen gibt es solch eine Pauschal-Regelung nicht, daher muss die „Onleihe“ als eBuch-Dienstleister der öffentlichen Bibliotheken hier jeweils Einzelverträge aushandeln.

Grundaufgabe der Leihbüchereien in Gefahr

„Wir als AG ,Digitale Medien‘ treten daher für eine Reform des Urheberrechts ein“, so Nitzschner. „Anstelle der Einzelverträge sollte es für eBooks auch eine Bibliothekstantieme als pauschalen Abgleich geben.“ Ansonsten sehe er perspektivisch das ganze Konzept öffentlicher Leihbüchereien gefährdet: „Ich habe keine Zweifel, dass den elektronischen Medien in Zukunft eine weiter wachsende Bedeutung zukommt und viele Bücher nur noch digital erscheinen werden“, sagt er. „Wenn man bis dahin nicht zu einer Lösung für den eBook-Verleih gekommen ist, sehe ich die Grundfunktion der Bibliotheken, alle Bücher allen zugänglich zu machen, in ernster Gefahr.“ Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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