Dresden/Brüssel, 5.7.2012: Hatte da jemand die Statistiken geschönt oder versetzt das drohende Förder-Aus durch Brüssel die deutschen Ökonomen in Rechenzwang? Mit einem Strich haben jedenfalls die Volkswirte der Länder gestern Jahre der Aufholjagd des Ostens zunichte gemacht – zumindest auf dem Papier. Denn laut einer Neuberechnung des „Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen“ (VGR) der Länder hinken die Neuen Bundesländer dem Westen weit deutlicher hinterher als angenommen. Das teilte die Dresdner Außenstelle des ifo-Instituts nun mit.
Waren die Ökonomen bisher davon ausgegangen, dass Sachsens Wirtschaftskraft 70,9 Prozent des Westniveaus erreicht hat, kommt die neue (und für politische Entscheidungen maßgebende) VGR-Rechnung nur noch auf 68,8 Prozent. Ganz übel trifft es Thüringen, das um fast fünf Punkte abgewertet und auf nur 64,8 Prozent der westdeutschen Pro-Kopf-Einkommens eingestuft wurde – und auf den vorletzten Platz (vor Mecklenburg-Vorpommern) unter den Ostländern fällt. Der VGR geht davon aus, dass die Neuen Bundesländer insgesamt nur 66,6 statt 69,6 Prozent des Westniveaus erreicht haben.
Ruf-Schaden könnte für Osten gleichzeitig millionenschwerer Geldsegen sein
Was schlecht ist für das Selbstbewusstsein, könnte sich allerdings als millionenschwerer Segen herausstellen: In Sachsen müssen die Kommunen und Kreise wohl vorerst keine Angst mehr haben, aus der EU-Förderung herauszufallen. Denn die bemisst sich nach der Wirtschaftskraft der Regionen im Vergleich zum EU-Durchschnitt – wer mehr als 90 Prozent hat, bekommt kein Geld mehr als Brüssel. Dies hätte ab 2014 Leipzig treffen können. „Nach der neuen Rechnung gehe ich davon aus, dass alle Regionen Sachsens unter der 90-Prozent-Grenze bleiben“, erklärte Joachim Ragnitz, Vizechef von ifo Dresden, auf Oiger-Anfrage.
Diensleistungsbranche war überbewertet
Wie es zu einer derart drastischen Revision kommen konnte, vermag auch Ragnitz zu beantworten. „Das Rechenmodell des VGR ist auch für uns ein bisschen wie eine ,Black Box'“, sagte er. Offiziell habe es geheißen, unter anderem seien der Anteil und die Leistungskraft des Dienstleistungssektor in den ostdeutschen Länder zu hoch berechnet gewesen. Heiko Weckbrodt
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