23 Millionen Euro teurer Flüssigmetall-Dynamo „Dresdyn“ soll Geheimnisse vom Ursprung lüften
Dresden-Rossendorf, 10. Oktober 2013: Der eine oder andere wird sich vielleicht noch an den Tiefsee-Thriller „Sphere“ erinnern, in dem Erkunder am Meeresgrund eine wabernde Kugel aus flüssigem Metall fanden, die Träume wahr machte. Ganz so weit wollen die Helmholtz-Forscher mit ihrem Flüssigmetall-Dynamo „Dresdyn“ in Rossendorf zwar nicht gehen. Aber wenn diese anspruchsvolle Experimentieranlage etwa 2018 voll betriebsbereit ist, wird sie wohl die Einzige ihrer Art weltweit sein, soll sie den Forschern allerlei Geheimnisse über die Entstehung unseres Sonnensystems flüstern, ihnen einen Blick in den Erdkern erlauben, innovative Stromspeicher für die Energiewende liefern, aber auch für neue, superharte Stähle und Elektronikkristalle sorgen.
Rund 23 Millionen Euro werden die Anlage und deren Haus kosten, kalkuliert Prof. Roland Sauerbrey, der wissenschaftliche Direktor der „Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf“ (HZDR), auf dessen ausgedehnten Waldgelände am Stadtrand die „Dresdyn“-Baustelle derzeit Formen annimmt. Ingenieurtechnisch wie wissenschaftlich ist das Projekt sehr faszinierend: Ein innen mit Kupfer verkleideter, zwei Meter langer Stahlzylinder mit zwei Metern Durchmesser, der mit flüssigem Natrium betankt wird, weil dieses Metall zu den besten elektrischen Leitern gehört, wie Projektleiter Dr. Frank Stefani vom HZDR-Institut für Fluiddynamik erklärt. Das ist wichtig, weil die Forscher später starke Ströme von bis zu 3000 Ampere in mehreren Richtungen durch die Flüssigmetallsäule jagen wollen, um die Vorgänge zum Beispiel in den kosmischen Kinderstuben für Sternensysteme zu simulieren.
Enorme Kräfte wirken auf Apparatur
Als ob dies nicht schon an chaotische Kräften genug wäre, möchten die Rossendorfer den „Dresdyn“ auf Drehplattformen lagern. Die lassen ihn zehn Mal pro Sekunde um die eigene Achse rotieren, außerdem einmal pro Sekunde in einer Taumelbewegung, ähnlich wie sie die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne vollführt. Dabei wirken Drehmomente von bis zu fünf Millionen Newtonmeter auf die Apparatur. Zum Vergleich: Moderne Automobile ziehen üblicherweise mit 100 bis 300 Newtonmetern an.
Bunker und Argon gegen Explosionsgefahr
Und damit sind wir bei den Gründen für den hohen finanziellen und technologischen Aufwand für „Dresdyn“: Dieser künstliche Erdkern hat nämlich auch seine gefährlichen Seiten, muss hochpräzise konstruiert und in einem bunkerähnlichen Gebäude mit Argon-Löschanlage untergebracht werden. Da dürfen sich die Ingenieure null Pfusch erlauben: Sollte „Dresdyn“ den Experimentatoren aus der Halterung springen und leck schlagen, könnte ein schwer löschbarer Natriumbrand entflammen, andererseits das reaktionsfreudige Metall dem Wasser in der Umgebungsluft den Sauerstoff entziehen. Übrig bliebe reiner Wasserstoff. Und was eine Knallgas-Explosion anrichten können, weiß man aus dem Chemieunterricht. Hinzu kommt: Flüssiges Natrium kann bei Havarien nicht kontrolliert abgelassen werden.
„Aber zu solchen Szenarien wird es nicht kommen“, ist sich Dr. Stefani sicher. Sollte „Dresdyn“ lecken, werde der Raum sofort mit dem reaktionsfaulen Edelgas Argon geflutet, die Luft verdrängt. Außerdem werde Dresdyn luftdicht ummantelt gebaut. Das Fundament ruht auf sieben, jeweils 22 Meter tiefen Säulen. Zudem habe man mit der Konstruktion die erfahrene SBS Dresden beauftragt, die sich mit komplizierten, schweren und rotierenden Bühnenaufbauten weltweit einen Namen gemacht hat.
Geheimnis der Planetengenese auf der Spur
Den potenziellen Risiken dieser einzigartigen Experimentieranlage stehen einzigartige Forschungsmöglichkeiten gegenüber. Zum Beispiel rätseln Kosmologen und Astrophysiker immer noch daran, wie genau eigentlich Sternensysteme und Planeten entstehen konnten. Denn theoretisch hätte sich nach dem Urknall alle Materie im expandierendem All gleichmäßig verteilt können – was sie aber bekanntlich nicht tat. Statt dessen bildeten sich riesige drehende Staub-Partikel-Scheiben (Akkretionsscheiben) um Protosterne, die irgendwann zu „klumpen“ begannen. Diese Klumpen fingen immer mehr Materie aus der Scheibe auf, bis am Ende Planeten eine Sonne umkreisten. Ähnliche Scheibenprozesse füttern wahrscheinlich einige Schwarze Löcher im All. Viele Forscher sind überzeugt, dass dabei spontane Magnetfelder eine Rolle spielten. Und wie die zustande kamen, wollen die Rossendorfer im „Dresdyn“ simulieren.
Besserer Stahl und mehr Computerchips
Aber auch die Prozesse im flüssigen Erdkern, dessen Drehschmelzen letztlich für den schützenden Magnetschild um unseren Planeten verantwortlich sind, wollen sie mit der Anlage erkunden. Ebenso stehen auf der Agenda Manipulations-Möglichkeiten für Schmelzen in Stahlwerken, um deren molekulare Struktur und damit Härte und Flexibilität gezielter zu steuern, außerdem neue Kristallzucht-Verfahren für Computerchip-Materialien.
Flüssigmetallspeicher für die Energiewende
Auch zur deutschen Energiewende soll „Dresdyn“ seinen Beitrag leisten: Die Rossendorfer tüfteln an neuartigen Flüssigmetall-Batterien, die sich – anderes als die aus Computertelefonen bekannten Lithium-Ionen-Akkus – zu Großspeichern ausbauen lassen, in denen die typischen Stromlieferspitzen von Solar- und Windkraftanlagen „zwischengelagert“ werden könnten. „Solche Speicher hätten auch Kostenvorteile“, betont Dr. Stefani. Bei Lithium-Ionen-Akkus etwa müsse man pro Kilowattstunde gespeicherter Energie etwa 1000 Dollar (735 Euro) investieren. „Mit Flüssigmetallbatterien könnte man das auf ein Zehntel drücken.“ Heiko Weckbrodt
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