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Köpfung nutzlos: Supercomputer-Projekt simuliert wundersamen Nachwachs-Wurm

Der Planarium schleicht sich in den Supercomputer der TU Dresden. Fotos: MPI-CBG, TUD-ZIH, Montage: hw

Der untötbare Planarium schleicht sich in den Supercomputer der TU Dresden. Fotos: MPI-CBG, TUD-ZIH, Montage: hw

„Virtual Planarian“ soll mit systembiologischen Methoden Selbstreparatur von Organen ergründen

Dr. Jochen Rink. Foto: MPI-CBG

Dr. Jochen Rink. Foto: MPI-CBG

Dr. Lutz Brusch. Foto: TUD-ZIH

Dr. Lutz Brusch. Foto: TUD-ZIH

Dresden, 12. Februar 2013: Das hätte Altpirat Klaus Störtebeker oder Lord Stark aus dem „Lied von Eis und Feuer“ wohl gut gefallen: Kaum hat der Henker den Kopf abgehackt, wächst auch schon ein neuer nach. Leider haben Menschen diesen Dreh noch nicht so recht raus, wohl aber solch ein viel verachtetes Geschöpf wie der gemeine Flachwurm (Planarian). Der kann Schwanz, Organe, ja sogar seinen Kopf regenerieren, wenn er verletzt ist. „Selbst in kleinste Teile zerlegt, wächst aus jedem Stück wieder ein komplettes Tier“, ist Biologe Dr. Jochen Rink vom Dresdner Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) immer wieder fasziniert. Gemeinsam mit TU-Informatiker Dr. Lutz Brusch will er nun in aufwendigen Supercomputer-Simulationen heraus bekommen, wie der kleine Wurm das schafft.

Käme man zu einem tieferen Verständnis dieser Prozesse und könnte sie gar auf den Menschen übertragen, wären die Perspektiven enorm: Da man in Europa von Köpfungen etwas abgekommen ist, wäre diese Planarian-Fähigkeit vielleicht nicht ganz so wichtig. Doch regenerierendes Nervengewebe, ja komplette Organe, die sich automatisch reparieren, oder gar nachwachsende Arme würden wohl die gesamte Unfall-Medizin revolutionieren.

Wurm repariert sich komplett binnen zwei Wochen

Aus jedem Planarian-Teil wächst binnen Tagen wieder je ein Flachwurm. Abb.: MPI-CBG

Aus jedem Planarian-Teil wächst binnen Tagen wieder je ein Flachwurm. Abb.: MPI-CBG

Daher lieben die Biologen den Planarian ganz besonders: Er ist billig, genügsam, liefert rasch Ergebnisse – und allzu viel moralische Skrupel kommen nicht auf, wenn man ihn zerstückelt. Innerhalb von rund zwei Wochen hat der Wurm wieder alles nachwachsen lassen, was er verloren hat. Daher haben Biologen und Genetiker in zahlreichen Experimenten bereits einiges Wissen über die Regenerationsprozesse des Planarians sammeln können.

Um aber wirklich zu verstehen, wie das wurmige Nachwachsen eigentlich funktioniert, sind neue, systembiologische Ansätze gefragt. „Woher weiß zum Beispiel ein Gewebestück, welche Verletzung das Tier erlitten hat, ob das Reparaturprogramm für den Kopf oder das für den Schwanz eingeschaltet werden muss?“, nennt Rink nur einige Fragen, auf die er sich Antworten mit Computerhilfe erhofft. Bereits herausbekommen haben er und seine Kollegen, dass die Wurmzellen Informationsmoleküle austauschen. Und deren erhöhte oder gesenkte Produktion ist anscheinend für musterbildende Reaktionen verantwortlich, die wohl letztlich den richtigen „Bauplan“ für eine Heilung aktivieren.

Mikroskopvideo von einem zweiköpfig neugewachsenen Wurm (MPI-CBG):

Rechner simuliert Zusammenspiel Tausender Wurmzellen

Mit den experimentell gesammelte Daten wollen die Uni- und Max-Planck-Experten im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes „Virtual Planarian“ die Superrechner am „Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen“ (ZIH) der TU Dresden füttern. In einer aufwendigen Simulation sollen die Elektronenhirne das Zusammenspiel Hunderter, ja Tausender Wurmzellen und ihrer Botenmoleküle modellieren. „Der systembilogische Ansatz dabei ist, durch solche komplexen Simulationen zu Modellen zu kommen, deren Vorhersagen man dann wieder durch Experimente überprüfen kann. Anhand der Ergebnisse können wir die Simulation dann immer weiter verfeinern“, erklärt Rink.

Dresdner Systembiologie zieht internationale Experten an

Gerade dieser systembiologische Ansatz, diese Zusammenarbeit von Mathematikern, Genetikern, Biologen und anderen Wissenschaftlern über die Uni-Grenzen hinaus, wie man in hier pflege, sei es auch gewesen, die ihn nach Dresden gezogen habe, betont der Biologe – Rink war vor zwei Jahren aus den USA ans Dresdner Genetikinstitut der Max-Planck-Gesellschaft gewechselt.

Und mit dieser Ansicht steht er nicht allein da: Erst kürzlich ist auch DNA-Entschlüsselungspionier Eugene Myers nach Dresden gewechselt, um hier ein neues Zentrum für Systembiologie gleich neben dem MPI-CBG aufzubauen (Der Oiger berichtete). Insofern hat die sächsische Landeshauptstadt womöglich keine schlechten Chancen, in den kommenden Jahren zu einem weltweit führenden Standort der noch jungen Systembiologie aufzusteigen, die die Methoden von Mathematik, Informatik, Genetik und Biologie kombiniert. Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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