Neues Zentrum für Systembiologie: Wie verleiht DNA dem Menschen Form und Fähigkeiten?
Dresden, 1. Oktober 2012: Genetik-Star Gene Myers möchte in Dresden nichts weniger als den „Bauplan des Lebens“ entschlüsseln: Was passiert auf dem Weg zwischen DNA-Codesequenzen und einem fertigen Lebewesen? Wie gibt uns eine Abfolge von Basen-Paaren menschliche Form und Fähigkeiten? Um dies zu klären, will der Gründungsdirektor des neuen „Zentrums für Systembiologie“ zwei Super-Mikroskope bauen – „100 Mal besser als das beste Zeiss-Mikroskop, dass man kaufen kann“, wie er sagt.
Dass Myers zur Berufsgruppe der Visonäre gehört, sieht man ihm sofort an: Während Staatssekretäre und Forscherkollegen gestern im Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, an das das Zentrum angedockt werden soll, Fördermittelbescheide austauschen und über die „Rolle der Bedeutung“ sinnieren, wirkte der Mitentschlüssler des menschlichen Genoms fast ekstatisch, wenn er über die Chancen der Systembiologie sprach.
Von einem revolutionären Neuansatz war da die Rede, den „tiefsten Fragen der Biologie“, während der Amerikaner eifrig gestikulierend und mit sichtlichem Entzücken den Flügelschlag einer Fruchtfliege an die Wand warf – als vieltausendfach vergrößerten Mikroskopfilm, der jede einzelne Flügelzelle sichtbar macht, wie sie vibriert, sich teilt, zerfällt, neu geboren wird. „Ist das verständlich?“, fragte er nach jedem zweiten Satz, sichtlich unsicher, ob das Publikum seiner Begeisterung folgen kann.
Was er in den USA begonnen hat, will der 58-jährige Myers nun in Dresden vollenden: Genetiker, Biologen, Physiker, Mathematiker und Informatiker sollen unter seiner Regie im neuen Zentrum für Systembiologie zusammenarbeiten, um aufzudecken, wie genau aus einem DNA-Bauplan ein „fertiger Mensch“ wird.
Bund und Land geben rund 36 Millionen Euro Startgeld
Dafür stellt der Freistaat 26 Millionen für den Neubau an der Pfotenhauer Straße bereit, die Tschira-Stiftung kommt für Myers‘ Stelle auf, die Max-Planck-Gesellschaft übernimmt die Betriebskosten des Zentrums und das Bundesforschungsministerium gibt zehn Millionen Euro als Anschubfinanzierung.
Zwei Supermikroskope sollen zelluläre Abläufe im lebenden Wesen sichtbar machen
Damit hat die Startmannschaft des Zentrums bereits eine automatisierte Mikroskopierplattform angeschafft. Von der nun bewilligten zweiten Tranche will Myers unter anderem zwei Supermikroskope bauen, die es so nirgends zu kaufen gibt: Eines mit ultrahoher Auflösung, um die tieferen Vorgänge in biologischen Zellen genauer anschauen zu können.
Ein anderes wird sich dem „Long Term invivo Development“ widmen – Serienmikroskopien, die zelluläre Abläufe im lebenden Organismus wie in einem Film sichtbar machen. „Da gibt es noch einige Probleme zu lösen“, sagt Myers. „Wenn Sie zum Beispiel eine Fruchtfliege längere Zeit zuviel Lichtenergie aussetzen, stirbt sie. Wenn Sie zu zu wenig Lichtenergie einsetzen, erkennen sie nichts.“ Er habe sich dafür zwar schon eine Lösung ausgedacht. „Aber die ist noch ein Geheimnis“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen.
Zwei Terabyte Mikroskop-Bilder pro Tag zu erwarten
Dauerten solche Serien bisher oft Jahre, soll sich die dafür benötigte Arbeitszeit durch die neuen Supermikroskope auf Tage oder gar Stunden verkürzen. Dabei werde man allerdings immense Datenmengen produzieren, bis zu zwei Terabyte pro Tag – was etwas zwei prall gefüllten PC-Standardfestplatten in 24 Stunden entspricht. „Schon von daher werden wir auch viele Informatiker brauchen, die neuartige Programme schreiben, um diese Bilderflut automatisiert auswerten zu können“, betont Myers. Heiko Weckbrodt
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