News, Wirtschaft, zAufi

Handwerker-Präsident: Rote Linie bei Bürokratie ist erreicht

Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski (links) und Dresdner Präsident Jörg Dittrich von der Handwerkskammer Dresden präsentieren ihre Konjunkturanalyse fürs Frühjahr 2018 und ihre bildungspolitischen Forderungen an die sächsische Landesregierung. Foto: Heiko Weckbrodt

Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski (links) und Dresdner Präsident Jörg Dittrich von der Handwerkskammer Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Kammer fordert Ende von immer neuen Regulierungswellen und mehr Einsatz gegen Fachkräfte-Mangel

Dresden/Kamenz, 20. September 2024. Die Politiker sollen nicht nur über Bürokratie-Abbau reden, sondern endlich auch handeln. Das wünscht sich Präsident Jörg Dittrich von der Handwerkskammer (HWK) Dresden mit Blick auf den morgigen „Tag des Handwerks“. „Es muss Schluss sein mit immer neuen Gesetzen, Vorgaben und Richtlinien“, forderte Dietrich. „Die rote Linie ist längst erreicht.“

Nur noch jeder 5. Meister will sich selbstständig machen

„80 Prozent der Meister wollen sich nicht selbstständig machen“, verweist der Kammerpräsident auf eine Umfrage in der Handwerkerschaft. „35 Prozent haben als Grund die Bürokratie angegeben.“ Zwar heiße es immer wieder, dass viele der neuen Verordnungen nur für große Unternehmen gelten, so Dittrich. In der Praxis reichen die Konzerne aber viele Berichtspflichten an ihre Zulieferer und Geschäftspartner bis zum letzten Ein-Mann-Betrieb und zur letzten Freiberuflerin durch. Und dadurch fressen sich dann Politikersatz-Bürokratiemonster wie Lieferketten-Gesetz, Entwaldungsverordnung & Co. durch die gesamte Wirtschaft. „Und viele Verordnungen rollen gerade erst von Brüssel hierher“, warnt Dittrich. Und so formt der Steinmetz dann eben keine Säulen mehr, leimt der Tischler keine Stühle mehr, sondern sitzt tagelang am Schreibtisch, um kryptische Formulare auszufüllen, statt „richtig“ zu arbeiten.

Sachsens Handwerk schrumpft

Dieser wachsende Anteil von Papierkram im Arbeitsalltag vieler Handwerker, aber auch die Baukrise, die generell schwache Wirtschaftslage in Deutschland sowie der Bevölkerungsschwund in Sachsen dürften die Hauptgründe dafür sein, dass das Handwerk im Freistaat zumindest leicht schrumpft: Die Zahl der Handwerks-Unternehmen ist bis Ende 2022 um 0,7 Prozent auf nun 35.131 Betriebe gesunken, berichten die Landesstatiker in Kamenz. Die Gesamtbelegschaft im sächsischen Handwerk verringerte sich demnach um 3333 auf 282.522 Beschäftigte. Besonders stark sei der Schwund im Ausbaugewerbe gewesen.

Vor allem die Baubranche lahmt. Foto: Heiko Weckbrodt

Speziell im im Kammerbezirk Dresden, der im Wesentlichen Ostsachsen umfasst, gibt es laut der Dresdner Kammer insgesamt 20.864 Handwerksbetriebe mit etwa 120.000 Beschäftigten und rund 5.700 Lehrlingen. Allein in der Landeshauptstadt seien 5113 Handwerksbetriebe mit rund 30.000 Beschäftigten ansässig.

Kammer: Manche Betriebe könnten mehr tun bei Fachkräfte-Akquise und Berufsorientierung

Abgesehen von der Regelwut durch EU, Bund, Land und Kommunen kommen in der ostsächsischen Handwerkerschaft große Sorgen über die lahmende Konjunktur und den Fachkräftemangel hinzu. Um diesen Problemen zu begegnen, bedürfe es einerseits stärkerer Anstrengungen der Politiker („Wirtschaft und vor allem der Mittelstand müssen endlich zur Chefsache bei Bund, Land und Stadt werden“), aber auch der Unternehmer selbst: „Wir brauchen mehr eigene Ausbildung, berufliche Orientierung in der Schule und qualifizierte Zuwanderung“, sagte Dittrich mit Blick auf die Nachwuchsprobleme in vielen Handwerksbetrieben.

Manche Meister gehen sogar schon in die Grundschulen

Und da reiche es eben auch nicht, darauf zu warten, dass die Politik die Fachkräfte heran organisiere, betonte Dittrich wie auch HWK-Hauptgeschäftsführer Andreas Brzezinski. Sie verweisen auf Programme in Sachsen, in deren Zuge Handwerksmeister in die Grundschulen und bereits in den vierten Klassen – also vor dem Wechsel auf eine Oberschule oder auf ein Gymnasium – unter den Kindern für eine berufliche Ausbildung und eine Karriere im Handwerk werben. Vielen Familien sei gar nicht bewusst, „dass man als ausgebildeter Meister in vielen Berufen genauso gut verdienen kann wie mit einem Bachelor-Abschluss“, meint Dittrich.

Auch kleine Betriebe in Sachsen können Hilfe bekommen, wenn sie ausländische Fachkräfte anheuern

Zudem verweist Brzezinski auf inzwischen eingerichtete Fördertöpfe des Freistaats, aus denen kleinere Betriebe einen Teil der Kosten erstattet bekommen, die ihnen entstehen, wenn sie ausländische Fachkräfte oder Azubis in spe nach Sachsen holen und für den hiesigen Arbeits- und Lebensalltag vorbereiten.

Berufsschule organisiert Sprachunterricht für junge Vietnamesen

Auch die Kammer selbst und die überbetrieblichen Bildungseinrichtungen versuchen, bei der qualifizierten Zuwanderung zu helfen: Ein Beispiel seien 48 junge Vietnamesen, die derzeit in Ostsachsen Berufe in Bäckereien, Fleischereien und anderen Lebensmittel-Handwerksberufen erlernen, erzählt Brzezinski. „Das Berufsschulzentrum hat für diejenigen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen können, einen zusätzlichen Sprachunterricht organisiert.“

Kammerspitze besucht Vorzeige-Betriebe im Dresdner Handwerk

Wichtig sei es anderseits auch, die Chancen und Erfolge moderner Meister herauszustreichen, meinen Dittrich und Brzezinski zum Handwerkertag. Als Beispiele haben sie sich drei Firmen herausgepickt, die sich durch Neuerungswillen und Durchhaltevermögen hervor getan haben: Die Dresdner Karosserie- und Lackwerkstatt von Jens Bertholdt etwa setzt auf Digitalisierung, um Aufträge, verfügbarer Handwerker und Kundenwünsche in Einklang zu bringen. Ein anderes Beispiel sind die in Namibia geborenen Brüder Patrick und Thorsten Henseler, die in einer alten Industriehalle in Niedersedlitz die Manufaktur „Redwood“ gegründet haben, die ihre Möbel über visuell anspruchsvolle Internetportale überregional verkauft. Einen Durchhalte-Preis hat wiederum die Bäckerei-Familie Siemank-Wiederhold verdient: 1865 in Laubegast gegründet, haben sich die Bäcker durch Kaiserzeit, Weimarer Republik, DDR und Nachwendezeit immer wieder behauptet. Zweimal erlitt ihr Stammhaus in Laubegast Totalschaden durch die Elbehochwasser 2002 und 2013 – und doch haben sich die Unternehmer und ihre Belegschaften immer wieder aufgerappelt.

Bäckermeister und Chef Carsten Wiederhold ist stolz auf die breite Brötchenauswahl, die seine Bäckerei Siemank bietet. Foto: Heiko Weckbrodt

Bäckermeister und Chef Carsten Wiederhold ist stolz auf die breite Brötchenauswahl, die seine Bäckerei Siemank bietet. Foto: Heiko Weckbrodt

Innovationsfreude und Qualitätsbewusstsein

„Die drei besuchten Handwerksunternehmen stehen beispielhaft für das große Spektrum des Handwerks, die Innovationsfreude der Firmen und das Qualitätsbewusstsein der Meister und Gesellen in der Region“, resümierte HWK-Präsident Dittrich nach einer Unternehmstour. „Sie zeigen, dass das Handwerk langfristig denkt – nämlich auch für die kommenden Generationen. Das Handwerk setzt aber gleichzeitig auch Trends und nimmt eine Vorreiterrolle in der Nutzung neuer Technologien und Möglichkeiten ein. Damit ist das Handwerk eine bedeutende Säule der Dresdner Wirtschaft.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: HWK Dresden, Statistisches Landesamt Kamenz, Vor-Ort-Besuche und Auskünfte Bertholdt Karosserie & Lack GmbH, Redwood Möbelmanufaktur, Bäckerei Siemank, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt