News, Wirtschaft, zAufi

„Deutliches Signal des Unmutes über die Ampel-Regierung“

Industrie Zahnrad Konjunktur. Abb.: Heiko Weckbrodt

Abb.: Heiko Weckbrodt

Wirtschaftsvertreter fordern Pragmatismus nach Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

Leipzig/Dresden, 2. September 2024. Mit Sorge, aber auch der Forderung, zu pragmatischen Lösungen zu kommen, haben Wirtschaftsvertreter auf den Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen reagiert. „Konstruktive politische Mehrheiten und eine gute Standortpolitik für den industriellen Mittelstand“ hat der Maschinenbauer-Verband „VDMA Ost“ heute gefordert. Die Wahlergebnisse seien zugleich „ein deutliches Signal des Unmutes über die Ampel-Regierung“, kommentierte Landesverbands-Vorsitzender Alexander Jakschik.

„Gerade die mittelständisch geprägten Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus sind in ihrer Region verwurzelt“, betonte Jakschik. „Gleichzeitig sind sie stark exportorientiert und verkaufen ihre Produkte in die ganze Welt. Dazu braucht es eine weltoffene und sachorientierte Politik, die Investoren, Unternehmer und Arbeitskräfte ermutigt und nicht verunsichert.“

Andreas Sperl. Foto: IHK Dresden

Andreas Sperl. Foto: IHK Dresden

Dresdner IHK-Präsident Sperl: Jetzt nicht die Wähler beschuldigen, sondern pragmatische Lösungen finden

„Das Wahlergebnis für Sachsen bestätigt die Vorhersagen mit starken Rändern, die ihren Zulauf mehrheitlich Themen verdanken dürften, die nicht in Sachsen verantwortet werden“, deutet derweil Präsident Andreas Sperl von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden die Wahlergebnisse. „Das ärgert mich, dennoch müssen wir das Ergebnis ernst nehmen, klug damit umgehen und es tunlichst vermeiden, reflexartig Schuldzuweisungen zu verteilen. Schon gar nicht in Richtung der Wähler.“ Mit Blick auf die nun anstehenden Sondierungsgespräche und späteren Koalitionsverhandlungen plädiere er „für eine pragmatische Sichtweise“, so Sperl. „Keiner der Parteien, die in den neuen sächsischen Landtag einziehen werden, dürfte an politischer Instabilität und daraus resultierenden, negativen Folgen für unseren Wirtschaftsstandort gelegen sein.“ Und: „Eine erfolgreiche, zuversichtliche und standorttreue Wirtschaft braucht keine Politik, die sich in ideologischen Grabenkämpfen aufreibt, sondern eine, die von Sachverstand, gesundem Realismus, Praxisbezug und Berechenbarkeit geprägt ist.“

Mittelstandsbund: Wahlerfolge von AfD und BSW können politische und wirtschaftliche Stabilität gefährden

Als „besorgniserregend“ stufte der „Deutsche Mittelstands-Bund“ (BMB) aus Düsseldorf die Wahlentscheidungen der Ostdeutschen ein – sowohl mit Blick auf die Wahlerfolge der AfD wie auch des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Daraus könnten „negative Folgen für die politische und wirtschaftliche Stabilität“ erwachsen. „Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht nutzen ihre vermeintlichen Bekenntnisse zum Mittelstand als reine Maskierungstaktik, um ihre wirtschaftspolitische Profillosigkeit zu kaschieren“, positionierte sich DMB-Vorstand Marc S. Tenbieg. „Ihre politischen Konzepte stehen klar im Widerspruch zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und gefährden die Interessen des Mittelstands.“

Mit Blick auf die AfD betonte Tenbieg: „Der EU-Austritt, wirtschaftliche Isolation und der Widerstand gegen erneuerbare Energien zeigen, dass die Partei keine zukunftsfähigen Lösungen bietet.“ Auch von Frau Wagenknecht sei keine mittelstandsfreundliche Politik zu erwarten: „Forderungen, wie die Aufhebung von Russland-Sanktionen zur Senkung der Energiepreise und Angriffe auf unternehmerische Freiheiten, lassen vermuten, dass die Partei der Wirtschaft eher schadet als hilft.“

Weiter heißt es vom BMB: „Die Wahlergebnisse könnten das Image der Region im In- und Ausland schädigen und Investoren sowie dringend benötigte Fachkräfte abschrecken. Der Mittelstand braucht stabile, wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen – keine rückwärtsgewandte Politik der Extreme mit freiheits- und gesellschaftsfeindlichen Programmen.“

CDU hätte ohne taktische Wähler viel schlechter abgeschnitten

Selbstkritik kam unterdessen – trotz einiger Erleichterung, zumindest in den Großstädten noch mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein – von der Dresdner CDU: „Bei aller Freude über das Wahlergebnis in Dresden gilt es, die landesweiten Zahlen mit Demut aufzunehmen“, forderte der Dresdner CDU-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Markus Reichel. „Mit nur wenigen Prozentpunkten Vorsprung vor der rechtsextremen AfD stellt die Sächsische Union äußerst knapp die stärkste Fraktion im Landtag. Mit Ausnahme der Städte ist die CDU darüber hinaus nicht mehr die Partei der Direktmandate. Gleichzeitig zeigen Wählerbefragungen, dass bis zur Hälfte der auf die CDU entfallenen Stimmen von Wählerinnen und Wählern kommen, die nicht der Politik der CDU folgen, sondern aus ihrer Sicht das Schlimmste für unseren Freistaat verhindern wollten.“

Stabile Regierung ohne BSW dürfte schwer zu bilden sein

In Sachsen hat sich die CDU zwar – laut vorläufigem Listen-Wahlergebnis – mit Ach und Krach mit 31,9 Prozent als stärkste Partei behaupten können, doch gleich dahinter folgt die AfD mit 30,6 Prozent. Die FDP spielt gar keine Rolle mehr, aber auch die Koalitionspartner SPD (7,3 %) und Grüne (5,1 %) sind stark abgesackt. Eine stabile Regierungs- und Mehrheitsbildung ohne das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das aus dem Stand auf 11,8 % kam, dürfte kaum möglich sein – je nachdem, wie die endgültigen Mandats-Verteilungen ausfallen.

Charlotte Meier. Foto: privat, via Uni Leipzig PM

Charlotte Meier. Foto: privat, via Uni Leipzig PM

Leipziger Politologin: Radikalisierung von Jugendlichen darf nicht unterschätzt werden

Derweil ist die weitverbreitete Vorstellung, nur ewiggestrige „alte Landeier“ würden AfD wählen, kaum noch haltbar: Gerade auch viele junge Wähler haben für die „Alternative für Deutschland“ gestimmt. „Eine Radikalisierung von Jugendlichen darf nicht unterschätzt werden“, warnte Politikwissenschaftlerin Charlotte Meier von der Universität Leipzig. Sie sieht mehrere Gründe für die AfD-Erfolge bei den Junioren: „Was bei der AfD im Vergleich zu den Volksparteien auffällt, ist, dass die AfD junge Menschen ernst nimmt und sie dort abholt, wo sie sind“, erklärt Meier. Zudem sei die AfD „derzeit die Partei, die Social Media am effektivsten nutzt und es schafft, junge Wählerinnen anzusprechen. Das bedeutet nicht, dass sie jedem viralen Trend oder Meme hinterherläuft. Auf Tiktok beispielsweise postet die AfD viel politischen ,Content’.“ Viele Wählerinnen seien von der Politik der Ampel enttäuscht, ja sogar wütend. „Diese Wut weiß die AfD geschickt auszunutzen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: VDMA Ost, IHK Dresden, BMB, CDU Dresden, Oiger-Archiv, Uni Leipzig, Statistisches Landesamt Sachsen

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt