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Mikro-Tastsinn entscheidet mit über Schicksal einer Zelle

Mikroskopaufnahme eines Zebrafisch-Embryos. Abb.: Campàs Lab via TU Dresden

Mikroskopaufnahme eines Zebrafisch-Embryos. Abb.: Campàs Lab via TU Dresden

Team aus Sachsen und Kalifornien misst, wie sich die Stammzellen in einem Embryo spezialisieren

Dresden/Santa Barbara, 31. Dezember 2022. Wie ein Embryo zu einem Wirbeltier heranwächst, darüber entscheidet eine Art „Tastsinn“ der Zelle mit. Die noch unspezialisierten Ursprungszellen (Stammzellen) ertasten sich im wachsenden Organismus gewissermaßen ihr weiteres Schicksal als Knochenzelle, Neuron oder Leberbaustein. Dabei orientieren sie sich im umgebenden „Zellschaum“ einerseits durch biochemische Signale, anderseits aber auch durch bewegliche kleine Ausstülpungen. Diese mechanischen Sensoren der Stammzellen hat ein sächsisch-kalifornisches Team um Professor Otger Campàs vom Exzellenz-Zentrum „Physik des Lebens“ (PoL) Dresden experimentell an entstehenden Zebrafischen analysiert. Das geht aus Mitteilungen der TU Dresden und der Uni Santa Barbara in den USA hervor.

Aufbau der Körperachse in einem Wirbeltier analysiert

„Wir haben zunächst untersucht, wie Zellen ihre Mikroumgebung mechanisch testen, während sie sich differenzieren und die Körperachse eines Wirbeltiers aufbauen“, erklärte Prof. Campàs. „Die Zellen benutzen verschiedene Ausstülpungen, um auf ihre Umgebung zu drücken und an ihr zu ziehen. Wir haben also gemessen, wie schnell und stark sie schieben.“ Mit einem magnetischen Öltröpfchen simulierte das Team diese winzigen Kräfte in den Zellen. Ihre Befunde: „Genau in dem Moment, in dem sich Zellen differenzieren und beschließen, ihr Schicksal zu ändern, ändern sich die Materialeigenschaften des Gewebes, das sie wahrnehmen.“

„Geruchssinn“ und „Tastsinn“ der Zellen bisher nur in künstlicher Umgebung analysiert

Bisher war zwar schon bekannt, dass Stammzellen mechanische und biochemische Signale – also gewissermaßen ihren Tast- und Geruchssinn – nutzen, um ihre organische Umgebung und damit ihre „Bestimmung“ zu untersuchen. Wenn die Zellen beispielsweise eine Knochenoberfläche ertasten, werden sie zu Knochenzellen. Spüren sie weiches Gehirngewebe, spezialisieren sie sich zu Neuronen. Allerdings waren diese Vorgänge bisher nur in der Petrischale im Labor untersucht. Das gemeinsame Team von PoL Dresden und der „University of California Santa Barbara“ (UCSB) ist es nun gelungen, diese Prozesse in lebendem, wachsenden Gewebe zu vermessen.

Ihre Befunde könnten nach Überzeugung der Forscher helfen, künftig robustere und komplexere Gewebe künstlich zu züchten – bis hin zu Organen und Implantaten.

Quellen: TUD, UCSB, PoL

Wissenschaftliche Publikation:

Alessandro Mongera, Marie Pochitaloff, Hannah J. Gustafson, Georgina  A. Stooke-Vaughan, Payam Rowghanian, Sangwoo Kim and Otger Campàs: „Mechanics of the cellular microenvironment as probed by cells in vivo  during zebrafish presomitic mesoderm differentiation“, in: „Nature Materials“, im Netz zu finden unter: http://dx.doi.org/10.1038/s41563-022-01433-9

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt