Forschung, News, Umweltschutz und Ökologie, zAufi

Pilze können verseuchte Erde säubern

Pilze können radioaktive Stoffe und Schwermetalle in ihrem Myzel binden. Grafik: Heiko Weckbrodt

Pilze können radioaktive Stoffe und Schwermetalle in ihrem Myzel binden. Grafik: Heiko Weckbrodt

Dresdner Helmholtz-Zentrum will mit dem Spaltblättling Uran, Europium und Co. in kontaminierten Böden binden

Dresden, 1. Januar 2022. Der Gemeine Spaltblättling und andere Pilze können womöglich helfen, radioaktive Böden, schwermetallig vergiftetes Wasser und strahlende Hinterlassenschaften der Tschernobyl-Katastrophe zu entseuchen. Davon geht ein Forschungsteam um Dr. Alix Günther vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) aus.

Langlebige Myzelnetze reichern über viele Jahre Schwermetalle an, ohne zu sterben

Das Kollektiv hatte mehrere Pilzarten daraufhin untersucht, ob und wie deren unterirdisches Myzel-Wurzelgeflecht Uran und andere Schwermetalle binden kann. Dabei entdeckten sie unter anderem, das besagter Spaltblättling beispielsweise in großen Mengen der Elemente Uran und Europium in seinen großen Myzel-Netzen anreichert, ohne zu sterben. Und dies eröffnet interessante Langzeit-Perspektiven. Denn manche Pilze sind sehr langlebig. Einige von ihnen werden über 1000 Jahre alt, dehnen sich unterirdisch über Hunderte Hektar aus und erreichen über 500 Tonnen Biomasse.

Pilze als „Erste Hilfe“ nach Reaktorunfällen?

Bis zu einer praxistauglichen Pilz-Entseuchungstechnologie sind zwar noch viele praktische Probleme zu lösen. Die Anreichungseffekte lassen sich aber womöglich nutzen, um Restrisiken nach einem Jahre zurückliegenden Reaktorunfall besser auszumessen, um verunreinigtes Grundwasser durch Pilzfilteranlagen von Schwermetallen zu befreien oder um radioaktives Material in vergifteten Böden zu binden und schließlich einfacher zu entsorgen. Auch als „Erste Aussaat-Hilfe“ nach einer Reaktorkatastrophe sind Pilzsaaten denkbar. Und nicht zuletzt könnten sie besonders stark radioaktive Stoffe mit kurzer Halbwertszeit so lange binden, bis sie in weniger gefährliche Elemente zerfallen sind – und derweil zumindest nicht ins Grundwasser und benachbarte Böden gelangen.

Im Myzel binden, bis strahlende Relikte zerfallen sind

„Dank des hohen Lebensalters mancher Pilzarten könnten radioaktive Stoffe teilweise bis zu ihrem Zerfall gespeichert werden“, erklärt Alix Günther. „Deshalb könnten sie sich zum einen zur schnellen Strahlenschutzvorsorge und zum anderen auch zur Sanierung kontaminierter Böden eignen. Und wir sehen auch die Möglichkeit der Reinigung von belastetem Wasser: Hier ließen sich unsere Pilze als Trägermaterialien in Reinigungssäulen einsetzen.“

Hightech-Material Europium im Fokus

Und auch die Neigung des Spaltblättlings, Europium auf molekularer Ebene zu binden, bietet viele Perspektiven, obgleich dieses Element nicht radioaktiv ist. Denn Europium ist eine sogenannte „Seltene Erde“, die in vielen Hochtechnologie-Erzeugnissen steckt. „Während der Gewinnung oder auch durch eine unsachgemäße Entsorgung ist es möglich, dass Europium in die Umwelt freigesetzt wird“, erklärt Günthers Institutskollege Dr. Johannes Raff. „Als Analogon zum Calcium kann Europium den Zellstoffwechsel im menschlichen Körper empfindlich stören.“

Helmholtz-Forscher: Americum-Spitze kommt erst 70 Jahre nach Tschernobyl

Zudem verhält sich Europium ähnlich wie die strahlenden Elemente Americium und Curium. Und vor allem Americium ist als indirekte Folge bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl entstanden – nicht unmittelbar, sondern durch das freigesetzte Plutonium-241, das mit einer Halbwertszeit von 14,4 Jahren in Americium-241 zerfällt. „Andere Radionuklide wie Cäsium oder Strontium werden langsam verschwinden“, prognostiziert das HZDR – das einst aus einem DDR-Kernforschungsinstitut hervorgegangen ist – einige Spätfolgen von Tschernobyl. „Der Americiumgehalt wird jedoch weiter ansteigen und erst geschätzte 70 bis 80 Jahre nach dem Unfall seinen Höchstwert erreichen.“ Und dieses strahlende Relikt zu binden, dabei könnten eben die Rossendorfer Pilze helfen.

Die Pilzanalysen gehören zum Verbund-Forschungsprojekt „Biovestra“, an dem das HZDR, die Unis Jena und Hannover sowie der Verein „Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf“ (VKTA) beteiligt sind. Das Bundesforschungsministerium fördert den Verbund.

Autor: hw

Quelle: HZDR

Wissenschaftliche Publikation:

A. Günther, A. Wollenberg, M. Vogel, B. Drobot, R. Steudtner, L. Freitag, R. Hübner, T. Stumpf, J. Raff, Speciation and spatial distribution of Eu(III) in fungal mycelium, in Science of The Total Environment, 2022 (DOI: 10.1016/j.scitotenv.2022.158160)

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt