Schwaben bauen Microcellulose-Fabrik Weißenborn in Sachsen für sechs Millionen Euro aus
Weißenborn, 20. September 2022. Wegen der hohen weltweiten Nachfrage nach sächsischer Mikro-Zellulose für Tabletten, Duschgele, Ketchup & Co. baut das Unternehmen „Microcellulose Weißenborn“ seine Fabrik im Erzgebirge ab 2023 erneut aus. Das hat Technikchef Daniel Geißler angekündigt. Rund sechs Millionen Euro will der schwäbische Mutterkonzern „J. Rettenmaier & Söhne“ (JRS) dabei in den Standort investieren, um insbesondere die Produktion von Zellulose-Gelen in seinem Weißenborner Werk auf rund 6000 Tonnen pro Jahr zu steigern.
Basis in der DDR gelegt
Die Basistechnologie für die Herstellung von stabilisierender mikrokristalliner Zellulose für Medikamente, Lebensmittel und Kosmetika hatten die Weißenborner bereits zu DDR-Zeiten entwickelt. Der Betrieb sollte jährlich rund 500 Tonnen Hilfsstoffe pro Jahr für den gesamten Ostblock herstellen. Doch dann kam die Wende und der alte Kundenkreis fiel weg. 1991 übernahm JRS die Fabrik an der Freiberger Mulde. Die Schwaben modernisierten die Produktion in den Folgejahren mit Millionenaufwand und bauten sie aus. Heute beschäftigt der Betrieb in Sachsen rund 180 Menschen, produziert rund 41.000 Tonnen Kügelchen, Pulver, Gele und andere Produkte aus Mikrozellulose. Die Weißenborner gelten mittlerweile als Weltmarktführer in diesem Segment.
„Wir sind weltweit in jeder Pille“
Dass mitten im Erzgebirge solch ein internationaler Schrittmacher arbeitet, mag selbst vielen Sachsen kaum bewusst sein – obwohl fast jeder schon einmal Mikrozellulose aus diesem Betrieb verdaut hat. Sei es nun die Kopfschmerzpille, das Vitamin-Präparat oder Viagra: In den meisten Tabletten, die der gemeine Europäer schluckt, steckt ein Stück Weißenborn. Die hier produzierte Mikrozellulose dient Wirkstoffen als eine Art Transportbehälter. Sie gibt Arzneien, Supermarktspeisen, Tierfutter und Kosmetika erst Halt und Stabilität „Wir sind weltweit in jeder Pille“, sagt Daniel Geißler.
Zellulose-Sphären aus Sachsen ersetzen Mikroplaste-Peelingkugeln
Dem Laien mag es womöglich etwas komisch klingen, dass in Medikamenten, Duschgel, ja selbst im Ketchup Zellulose drinstecken soll – so als ob man Papiertaschentücher essen würde. Tatsächlich aber verarbeitet der Betrieb an der Freiberger Mulde den vor allem aus Skandinavien und Amerika gelieferten Zellstoff auf Nadelbaum-Basis zu ganz feinen Kügelchen, teils bis hin zu Gel oder zu einer staubartigen Konsistenz, die beispielsweise für den Schmirgeleffekt beim Zähneputzen sorgen. In einigen Segmenten ist das 180-köpfige Weißenborner Team so weit vorne, dass selbst Großkunden einige Schlüssel-Abteilungen des Betriebes niemals zu Gesicht bekommen. Dazu gehört die Zubereitung der Mikrozellulose-Kügelchen, die den „Peeling“-Effekt in modernen Duschgelen ausmachen. Früher setzte die Industrie dafür oft umstrittene Mikroplastiken ein – heute sind es in wachsendem Maße kleine Zellulose-Kügelchen aus dem Erzgebirge „Und man darf ja nicht vergessen: Wir sprechen hier über einen Naturstoff“, betont der Technikchef. Sprich: Die Zellulose zerlegt sich im Körper des Menschen beziehungsweise in der Umwelt von selbst in zuckerähnliche Moleküle oder andere harmlose Kohlenwasserstoffe.
Trockenheit bremst Produktion
Sorgen machen den Weißenbornern allerdings Wasserversorgung und Energiepreise: Pro Jahr entnimmt der Betrieb rund 670.000 Kubikmeter der direkt am Betriebsgelände vorbeifließenden Freiberger Mulde. Weil sich in den vergangenen Sommern aber Trockenperioden häuften, muss das Unternehmen nun aber manchmal auch teures Trinkwasser zukaufen. „Gelegentlich haben wir wegen der Trockenheit auch schon die Produktion gedrosselt“, berichtet Daniel Geißler.
Turbine wegen Energiepreisexplosion gedrosselt
Noch viel stärker in Bedrängnis bringt aber die jüngste Explosion der Energie- und Energieträgerpreise den Betrieb, obwohl der sich schon bei der seiner Energiegewinnung diversifiziert hat: Ein Kohlekraftwerk auf dem Gelände übernimmt einen wesentlichen Teil der Wärmeversorgung, der Braunkohle-Kessel ist für 75 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr ausgelegt. Außerdem hat der Betrieb eine eigene Gasturbine für etwa 87 GWh pro Jahr. Weitere 27 GWh Strom kauft das Unternehmen jährlich noch zu. Die Braunkohlen-Preise seien zwar nur moderat gestiegen, erzählt der Technikchef. Umso schmerzhafter seien aber die stark gestiegenen Gaspreise. „Wir haben unsere Gasturbine mit Blick auf die Sparappelle bereits um 30 Prozent gedrosselt und kaufen dafür mehr Strom zu.“
Wirtschaftsminister Dulig: Energiepreise sind toxisch
„Die Energiepreise sind inzwischen toxisch“, räumte auch der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) bei einem Betriebsbesuch ein. Es plädierte daher für steuernde Eingriffe und insbesondere für einen staatlich organisierten „Gaspreis-Deckel“.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Besuch / Microcellulose Weißenborn, SMWA, Auskünfte Dulig, JRS
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