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Zwischen Phasenwärmespeichern und Geothermie

Für Tiefen-Geothermie ist aufwendige Bohrtechnik notwendig. Hier im Bild ist die "Innova Rig" zu sehen. Dieses Bohrgerät reicht in Tiefen bis 7000 Meter und wiegt 410 Tonnen. Die Firma Herrenknecht Vertical und das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) haben diese Rig gemeinsam entwickelt. Foto: Bundesverband Geothermie

Für Tiefen-Geothermie ist aufwendige Bohrtechnik notwendig. Hier im Bild ist die „Innova Rig“ zu sehen. Dieses Bohrgerät reicht in Tiefen bis 7000 Meter und wiegt 410 Tonnen. Die Firma Herrenknecht Vertical und das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) haben diese Rig gemeinsam entwickelt. Foto: Bundesverband Geothermie

Lausitzer tüfteln an neuer Energietechnik für die Zeit nach der Kohle

Großröhrsdorf/Spremberg/Dresden, 17. April 2022. Immer mehr Unternehmen und Institute schießen sich in der Lausitz auf neue Energiegewinnungs-Konzepte ein. Die LEAG-Tochter „MCR Engineering Lausitz“ aus Spremberg entwickelt beispielsweise gemeinsam mit Partnern Energie-Container für geothermische Quellen. Die PCM Energy aus Großröhrsdorf entwickelt und produziert derweil sogenannte Latent-Wärmespeicher, beispielsweise mit überschüssiger Wärme aus Fabriken die Freibäder in der Lausitz heizen. Und das private Forschungsinstitut für Luft- und Kältetechnik (ILK) aus Dresden experimentiert mit neuen Technologien, um die Fernwärmenetze in der Lausitz künftig mit Flüssigeis aus Tagebau-Seen zu versorgen. Sie alle eint die Suche nach neuen Perspektiven für die Zeit nach dem Braunkohle-Ausstieg.

Energieversorgungs-Container für Tiefenwärme-Pumpen

Geothermie zum Beispiel ist bisher eher eine Nische im Energiemix geblieben: Insgesamt gibt es derzeit (Stand 2022) in Deutschland 42 Geothermiekraftwerke mit Bohrlochtiefen über 400 Metern. Am deutschen Primärenergieverbrauch hat die schier unerschöpfliche Wärmequelle aus der Tiefe einen Anteil von gerade weniger als einem Prozent. Das liegt nicht zuletzt an den erheblichen Investitionskosten für die Bohrungen. Es gibt aber auch Experten, die in der Geothermie noch viel Potenzial für Deutschland sehen: Nach der Abschaltung der Kern- und Kohlekraftwerke könnten Tiefenwärme-Anlagen eine gewisse stabile Grundversorgung sichern, die Wind- und Solaranlagen eben nicht bieten können. Zudem liefern sie – einmal gebaut – zu vergleichsweise niedrigen Kosten solange Energie, bis unsere Erdkern in Milliarden Jahren erkaltet ist.

Mehrere Menschen stehen vor dem Geothermie-Container in Schwarze Pumpe und freuen sich. Foto: Leag

Mehrere Menschen stehen vor dem Geothermie-Container in Schwarze Pumpe und freuen sich. Foto: Leag

Leag-Tochter MCR und Actemium liefern an Kunden in den Niederlanden

Die MCR hat nun gemeinsam mit der Actemium BEA aus Spremberg einen Auftrag für die Lausitz an Land gezogen: Gemeinsam bauen die Partner besonders robuste Container, die die Stromversorgung für Geothermie-Förderpumpen auch bei rauem Wetter sichern. MCR baute die gedämmten Stahlcontainer, Actemium installierte darin die Trafos, die Schaltanlage, Mittelspannungs-Frequenzumrichter und andere Energietechnik. „Wir haben hier inmitten des Strukturwandels einer Bergbauregion bewiesen, dass sich die besten wirtschaftlichen Erfolge erzielen lassen, wenn sich Unternehmen dafür mit ihrem Know-how zusammentun“, schätzte MCR-Chef Jürgen Podszun ein. Anfang April liefern die Partner ihre Geothermie-Container dann aus dem Areal „Schwarze Pumpe“ in die Niederlanden.

So stellt sich PCM künftige Wärmeenergie-Transfers in der Lausitz vor. Schaubild: PCM

So stellt sich PCM künftige Wärmeenergie-Transfers in der Lausitz vor. Schaubild: PCM

PCM-Wärmespeicher heizen Freibad

Ein anderes Beispiel für neue energietechnische Ansätze in der Lausitz ist die neunköpfige „PCM Energy GmbH“ aus Großröhrsdorf. Deren „Latent-Wärmespeicher“ basieren auf einem Effekt, der auch für neuere Heiz- und Kühlkissen genutzt wird: Salze, Paraffine und andere Stoffe nehmen kurz vor ihrem Schmelzpunkt besonders viel Wärmeenergie auf, um den Wechsel von der festen in die flüssige Phase zu realisieren. Wenn sie dann wieder auskristallisieren, also wieder in die frühere Phase zurückwechseln, geben sie diese Wärme wieder ab, heizen sich also schnell auf. Als Speicher verwendet PCM Wasser mit darin verkapselten Phasenwechselmaterialien („Phase Change Material“ = PCM) auf Salzbasis. Mit diesen Hybridlösungen sind laut Firmenangaben Betriebstemperaturen bis zu 100 Grad bei drei- bis viermal so viel Wärmespeicherfähigkeit im Vergleich zu purem Wasser möglich.

MBG-Beteiligungsmanager sieht „ disruptives Potenzial“

„Die Latent-Wärmespeicher der PCM Energy GmbH besitzen das disruptive Potenzial, gegenwärtig ungenutzte Abwärme zu speichern und ortsungebunden und flexibel für diverse Use-Cases zu verwenden“, betonte Beteiligungsmanager Martin Liebsch von der „Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Sachsen“ (MBG) aus Dresden, die jüngst als Kapitalgeber bei PCM eingestiegen ist. „Die Funktionsweise, zu vergleichen mit einem üblichen Handwärmer in der Winterzeit, ist dabei in verschiedenen Temperaturbereichen und tausenden Ladezyklen umsetzbar.“

Links: Von der Biogasanlage in Nieder Seifersdorf transportiert ein PCM-Laster das Phasenwechselmaterial zu einem Freibad in der Lausitz. Rechtes Bild: Entladung eines PCM-Latent-Wärmespeichers im Bremer Hafen. Fotos: PCM Energy

Links: Von der Biogasanlage in Nieder Seifersdorf transportiert ein PCM-Laster das Phasenwechselmaterial zu einem Freibad in der Lausitz. Rechtes Bild: Entladung eines PCM-Latent-Wärmespeichers im Bremer Hafen. Fotos: PCM Energy

Einen dieser Anwendungsfälle (neudeutsch „Use Cases“) hat das 2017 gegründete Unternehmen seine Speichercontainer mit überschüssiger Wärmeenergie aus der Biogasanlage Nieder Seifersdorf befüllt, um damit anschließend die Wassertemperatur im Freibad Reichenbach zu erhöhen. „Künftig sollen weitere öffentliche Einrichtungen im Ort und ganze Stadtteile auf diese Weise mit Wärme versorgt werden“, kündigten MBG und PCM an.

Bisher bringt noch ein Laster den Phasenwechsel-Speicher vom Erzeuger zum Verbraucher

Um ihre Technologie zu entwickeln und zu verbessern, arbeiten die Großröhrsdorfer mit der TU Dresden, der Fachhochschule Münster, der Hochschule Zittau/Görlitz und dem Fraunhofer-Institut Ifam in Dresden zusammen. Beispielsweise transportiert PCM seinen Wärmespeicher per Sattelschlepper von A nach B – was dem selbstgesteckten Ziel, Kohlendioxid-Emissionen zu mindern, etwas zuwiderläuft.

Auch dafür braucht das Kälteinstitut ILK Dresden eine neue Versuchshalle: Mit Flüssigeisanlagen wie in diesem Modell - nur eben größer - will das ILK Dresden Tagebauseen in der Lausitz anzapfen, um mit der gewonnenen thermischen Energie dann die Lausitz zu heizen. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit Flüssigeisanlagen wie in diesem Modell – nur eben größer – will das ILK Dresden Tagebauseen in der Lausitz anzapfen, um mit der gewonnenen thermischen Energie dann die Lausitz zu heizen. Foto: Heiko Weckbrodt

Aqva Heat: Die Lausitz mit Flüssigeis aus Tagebau-Seen heizen

Erste Praxistests soll demnach auch eine verwandte Heiztechnologie in der Lausitz bestehen: Das ILK will im Zuge der Projektes „Aqva Heat“ im Kraftwerkslabor der Stadtwerke Zittau eine Versuchsanlage bauen, die Vakuumflüssigeis erzeugt. Perspektivisch soll das so funktionieren: Ähnliche Anlagen in größerem Maßstab pumpen künftig aus den Seen der Lausitz kühles Wasser, das sich nahe am Gefrierpunkt befindet. Dieses Wasser bringen sie in abgedichteten Kammern bei sehr niedrigem Druck bis zum sogenannten „Tripelpunkt“, an dem es gleichermaßen flüssig, vereist oder Dampf sein kann. Durch kleine Manipulationen an diesem Gleichgewicht kann das Wasser dazu gebracht werden, zeitgleich zu vereisen und zu verdampfen. Während sich Kristalle in der Flüssigkeit bilden, steigt Dampf auf und entzieht dem Wasser dabei Wärmeenergie. Der Dampf wird verdichtet und setzt später, wenn er kondensiert, die gebundene Wärmeenergie frei. Sie kann dann mit Wärmepumpen aufbereitet werden, um Zwischenspeicher für das Lausitzer Fernwärmenetz aufzuheizen.

Viele sehen für das Revier gute Perspektiven in starker Wasserstoffwirtschaft

Außerdem arbeiten mehrere Unternehmen und Institut daran, eine Wasserstoffwirtschaft in der Lausitz aufzubauen. Insbesondere die großen Energie- und Förderunternehmen wollen künftig ihre aufgegebenen Braunkohle-Tagebaue mit Solar- und Windenergieanlagen pflastern. Mit deren Strom möchten sie dann große Megawatt-Elektrolyseure antreiben, die Wasser in Sauerstoff und umweltfreundlich erzeugten Wasserstoff aufspalten. Diesen Wasserstoff wollen sie dann an Chemieunternehmen verkaufen oder für die Rückverstromung in großen Brennstoffzellen, um billig erzeugte elektrische Energie bei späteren Strompreisspitzen gewinnbringend zu verticken.

Andere wie „Wankel Supertec“ aus Cottbus arbeiten an Wasserstoff-Motoren, wieder andere wie Sunfire Dresden denken an den Bau großer Elektrolyseur-Fabriken in der Lausitz – die Reihe ließe sich fortsetzen. Und all dies sind nur einige Beispiele von mehreren, mit denen sich die Lausitz auf die Zeit nach der Kohle vorzubereiten versucht.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: MCR, MBG, PCM, Energy Saxony, Oiger-Archiv, WST, Actemium, Wikipedia

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt