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Filigrane Medizintechnik aus der Mikrospritze

Tino Jacob vom Kunststoffzentrum Leipzig zeigt im "SIG Science Talk" die Mikrospritzgießmaschine. Bildschirmfoto aus: "SIG Science Talk"

Tino Jacob vom Kunststoffzentrum Leipzig zeigt im „SIG Science Talk“ die Mikrospritzgießmaschine. Bildschirmfoto aus: „SIG Science Talk“

Kunststoffzentrum Leipzig senkt mit Mikro-Spritzgießmaschine den Materialverbrauch drastisch

Leipzig, 13. August 2021. Um künftig auch sehr feingliedrige Bauteile für Spenderorgan-Transportboxen, Akupunkturnadeln und andere Medizintechnik zu produzieren, entwickeln Ingenieure vom Zuse-Institut „Kunststoffzentrum Leipzig“ (KUZ) derzeit ein sehr sparsames Mikrospritzgießverfahren. Im Vergleich zu herkömmlichen Maschinen können diese Systeme selbst kleinste Strukturen erzeugen, die nur wenige Milligramm wiegen, verkleinern die dabei entstehenden Abfallmengen zudem drastisch. Das hat KUZ-Experte Tino Jacob mitgeteilt.

Bei Materialkosten um die 5000 Euro pro Kilo zählt jedes Milligramm

Zu den Vorteilen dieser Mikrospritzgießtechnik gehöre unter anderem „der hohe Detailgrad, den ich damit darstellen kann“, betonte Tino Jacob. Besonders ins Gewicht falle aber die Materialersparnis. „In der Medizintechnik haben wir oft das Problem, dass wir Spezialwerkstoffe verarbeiten müssen, wo der Preis teilweilweise bis zu 5000 Euro pro Kilo geht.“ Wenn ein Kunststofftechniker beispielsweise einen 3,7 Milligramm wiegenden Mikrozylinder mit einer herkömmlichen Spritzgießmaschine herstellen wollte, dann müsse er insgesamt 768 Milligramm Materialschmelze in die Form einspritzen. Anders ausgedrückt: Nur 0,2 Prozent des eingesetzten Werkstoffs werden zum Bauteil, der Rest sind Schnittverluste. Die Leipziger Mikrospritzgießmaschine hingegen brauche nur etwa ein Fünfzigstel dieser Materialmenge, konkret 21 Milligramm: Hier verbessert sich die Quote zwischen eingesetztem Material und Endprodukt auf 34 Prozent.

Präsentation im "SIG Science
Talk" (ab Minute 20:16):

Die klassische Spritzgießmaschine: Schnecke im Zylinder

Hintergrund: In einer klassischen Spritzgießmaschine rieselt Kunststoffgranulat in einen dicken Zylinder, in dem sich eine Metallschnecke dreht. Die Schnecke fördert das Granulat zur Mitte und bringt es zusammen mit Heizbändern zum Schmelzen, um es schließlich – ähnlich wie der Stempel einer Arztspritze – in eine Form hineinzupressen, wo die Schmelze dann zum Bauteil erstarrt.

Die Mikrospritzgießmaschine: Zwei Zylinder ohne Schnecke

Die Leipziger Mikrospritze besteht dagegen aus zwei sehr dünnen Zylindern ohne Schnecke: Ein Zylinder ist nur dafür da, den Kunststoff zu schmelzen, ihn also zu „plastifizieren“. Ein zweiter Zylinder übernimmt die Schmelze und presst sie dann mit einem Kolben in die Zielform. Durch den Wegfall der Innen-Schnecke und anderer Bauteile lassen sich die Zylinder sehr dünn konstruieren, dadurch sind genauere Dosierungen und feinere Strukturen möglich.

Neue Boxen halten Spenderorgane über 1000 Kilometer frisch

Diese Technik wollen Tino Jacob und seine Kollegen nun zum Beispiel einsetzen, um winzige Anschlussteile („Perfusionsadapter“) für jene Boxen herzustellen, mit denen spezielle Kuriere Spendernieren und andere Organe quer durch Europa transportieren. Die neuesten dieser Boxen versorgen Niere, Herz & Co. während des Transfers mit Blut, Nährstoffen beziehungsweise aktiv kühlenden Flüssigkeiten. Durch diese „normothermischen“ Systeme bleiben die Organe nun auch über längere Distanzen frisch und verwendbar. „Dann kann das Organ eben nicht nur von München nach Berlin transportiert werden, sondern auch von München nach London“, so Jacob.

Video: So entstehen
Gewebe im 3D-Drucker
(Quelle: Wyss Institute):

Ohren und Organe aus dem 3D-Drucker

Ähnlich kleine Anschlussbuchsen werden beim sogenannten „Tissue Engineering“ gebraucht: Dabei versucht man, künstliche Ohrmuscheln oder ganze Organe mit Bio-3D-Druckern herzustellen. Dafür erzeugt der Druckkopf zunächst Stützen („Scaffolds“), an denen die Stammzellen, die er zeitgleich einbringt, dann zu komplexem Gewebe auswachsen können. Künstliche Kanäle versorgen dabei das wachsende Gewebe mit Nährstoffen. Und um diese Kanäle an das Versorgungssystem anzuschließen, werden die Andockstutzen aus der sächsischen Mikrospritzgießmaschine gebraucht.

Mehr Leistung gefragt

Viele weitere Einsatzfelder seien in Sicht, betonte Tino Jacob: die erwähnten Akupunkturnadel-Spitzen zum Beispiel, aber auch Mikrolinsen und Bauteile für Gehörimplantate. Auch das Produktionstempo ihrer Mikrospritze möchten die KUZ-Ingenieure noch erhöhen: Im Anschlussprojekt „Scale Mi“ wollen sie durch zusätzliche Form-Hohlräume („Kavitäten“) in den Werkzeugen gleich 64 statt nur acht Bauteile pro Spritz-Zyklus herstellen.

KUZ entstand vor 60 Jahren als DDR-Zentrallaboratorium

Das KUZ-Team kann bei diesen Entwicklungsprojekten auf über 60 Jahre Erfahrung in der Kunststofftechnik zurückgreifen: 1960 als „Zentrallaboratorium für Plastverarbeitung“ für die plasteverarbeitenden VEBs in der DDR gegründet, ist die industrienahe Forschungseinrichtung seit der Wende gemeinnützig organisiert. Das KUZ ist auch Mitglied der „Sächsischen Industrieforschungsgemeinschaft“ (SIG) aus Dresden und der Zuse-Gemeinschaft aus Berlin. Heute beschäftigt das Zentrum rund 60 Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker und andere Mitarbeiter.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: „SIG Science Talk 4“, KUZ, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt