
Die computergestützte Analyse von lichtmikroskopischen Daten zeigen einerseits den linearen Schwimmweg eines normalen Spermiums (oben) und die abnormen kreisförmigen und diagonalen Schwimmwege der mutierten Spermien (Mitte und unten), bei denen während der Glycylierung etwas schief gelaufen ist. Abb.: Gadadhar u.a. / Science 2021
Dresdner Planck-Genetiker sehen Schuld bei einem defekten Konstruktions-Enzym
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Dresden, 8. Januar 2020. Molekulare Konstruktionsfehler von Spermien-Antrieben sind womöglich dafür verantwortlich, dass manche Männer keine Kinder zeugen können. Forscher und Forscherinnen vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden gemeinsam mit Teams aus Bonn, Paris und Mailand haben damit eine mögliche Ursache für Unfruchtbarkeit ermittelt.
Spermien drehen sich nur noch wirr im Kreis
Durch ein mutiertes Enzym misslingt demnach bei den betroffenen Männern eine notwendige Veredelung („Glycylierung“) des Proteins „Tubulins“. Das wiederum führt dazu, dass die Antriebs-Geißeln der Samenzellen falsch schlagen und sich diese Spermien nur noch unkoordiniert im Kreise drehen, statt schnurstracks in Richtung Eizelle zu schwimmen.
Zusammenspiel von Mikro-Röhrchen und Proteinmotoren gestört
Hintergrund: Spermiengeißel bestehen aus winzig kleinen Protein-Röhrchen, den sogenannten Mikrotubuli, sowie Zehntausenden von winzigen molekularen Motoren, genannt Dyneine. Die Dynein-Motoren biegen die Mikrotubuli rhythmisch, um Wellen für die Bewegung und Steuerung zu erzeugen. „Die Aktivität dieser Dynein-Motorproteine muss exakt koordiniert sein“, erklärte Studien-Erstautor Sudarshan Gadadhar vom Institut Curie aus Paris. „Wenn die Glycylierung nicht stattfand, koordinierten sich die Motorproteine untereinander nicht und wir beobachteten, wie die Spermien plötzlich im Kreis schwammen.“ Um dies herauszubekommen, hatten die Forschungsgruppen mit Mäusen experimentiert, denen die genetischen Baupläne für die Enzyme fehlen, die Mikrotubuli „glycylieren“.
Mikrotubuli spielen wichtige Rolle in biologischen Prozessen
„Unsere Studie zeigt einen neuen Mechanismus, der zu männlicher Unfruchtbarkeit führen kann“, schätzten die Evolutionsbiologin Gaia Pigino vom MPI-CBG und der Biophysiker Luis Alvarez vom Forschungszentrum „Caesar“ aus Bonn ein. „Unsere Ergebnisse liefern den direkten Beweis, dass Mikrotubuli eine aktive Rolle bei der Regulierung grundlegender biologischer Prozesse spielen. Daher ermöglicht unsere Arbeit ein tieferes Verständnis verschiedener Krankheiten, wie Entwicklungsstörungen, Krebs, Nierenerkrankungen oder Atem- und Sehstörungen.“ Ob sich aus den Experimenten auch Therapien für unfruchtbare Männer ableiten lassen, ist noch offen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quelle: MPI-CBG
Die wissenschaftliche Publikation dazu:
Sudarshan Gadadhar, Gonzalo Alvarez Viar, Jan Niklas Hansen, An Gong, Aleksandr Kostarev,
Côme Ialy-Radio, Sophie Leboucher, Marjorie Whitfield, Ahmed Ziyyat, Aminata Touré,
Luis Alvarez, Gaia Pigino, Carsten Janke: “Tubulin glycylation controls axonemal dynein activity, flagellar beat, and male fertility”, Science, 7. Januar 2021. DOI: 10.1126/science.abd4914
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