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Plasmonisches Auge gegen die Milchverschwendung

Solche Lichtchips sollen Bauern künftig helfen, die Milchqualität von jeder Kuh sofort auszuwerten. Foto: Fraunhofer FEP

Solche Lichtchips sollen Bauern künftig helfen, die Milchqualität von jeder Kuh sofort auszuwerten. Foto: Fraunhofer FEP

Sächsische Fraunhofer-Ingenieure entwickeln Schnelltester für Melk-Anlagen

Dresden/Chemnitz/Bologna, 4. November 2019. Damit die Molkereien nicht mehr so viel Milch „auf Verdacht“ wegschütten müssen, können Bauern in naher Zukunft ihre Melkanlagen mit neuartigen Schnelltest-Sensoren ausrüsten. Entsprechende Mikrolabor-Chips entwickeln derzeit Fraunhofer-Ingenieure aus Dresden gemeinsam mit Chemnitzer und italienischen Kollegen im Zuge des EU-Forschungsprojektes „Moloko“. „Der erste Protoptyp soll Anfang 2021 vorliegen“, kündigte Dr. Michael Törker vom Dresdner Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) an.

Minilabor-Chip erkennt auch, ob die Kuh gesund ist

Die neuen optoplasmonischen „Augen“ sollen erkennen, ob die angezapfte Kuh zuviel Pestizide oder Antibiotika im Körper hat und ob sie gesund ist. Zudem beurteilen die Mikrochips in Echtzeit anhand spezieller Proteine, wie qualitätvoll die gewonnene Milch ist – ohne dass der Melker erst Proben ins Labor schicken muss. Bis zu sechs Inhaltsstoffe wird der Chip binnen fünf Minuten erkennen können.

Warten auf die Laborergebnisse entfällt

Bisher waren solche Tests sehr langwierig. Zudem analysieren Labore meist Proben aus Mischtanks von mehreren Milchviehbetrieben. Sprich: War die Milch von auch nur einer Kuh verunreinigt, musste der Inhalt des ganzen Tanks entsorgt werden. Moloko-Chip soll diese Verschwendung verringern. Zudem mindert er das Risiko, dass kontaminierte Milch doch irgendwie auf dem Esstisch landet.

System soll Antibiotika-Einsatz senken

„Neben den gewonnenen Informationen zur Milch erlauben die gemessenen Parameter auch Rückschlüsse auf die Gesundheit jeder einzelnen Kuh“, betonte Andreas Morschhauser vom Fraunhofer-Institut Enas. „Landwirte erhalten vielfältige Informationen über deren Verfassung. Beispielsweise lassen sich so frühzeitig Infektionen erkennen und somit umgehend behandeln. Eine frühzeitige Behandlung kann zu einem umsichtigen Einsatz von Antibiotika und damit auch zu deren Reduzierung beitragen.“

Italiener gravieren Nanostruktur-Gitter

Für ihr innovatives Frühwarnsystem kombinieren die Wissenschaftler mehrere neue Technologien und setzen dabei auf exotische physikalische Effekte. Das Fraunhofer-Institut Enas aus Chemnitz konstruiert dafür einen Laborchip mit winzigen Pumpen und Miniröhrchen. Die Dresdner FEP-Ingenieure steuern Lichterkenner aus organischen Stoffen bei. Aus Bologna und Pavia kommen organisch leuchtende Minischalter (OLET) und Spezialgitter, die die Italiener mit einer speziellen Nanostruktur graviert haben.

So funktioniert das Moloko-Frühwarnsystem

Das Konzept des Moloko-Systems: Die Milch fließt auf dem Weg von der Kuh zum Tank durch den Laborchip und passiert dabei das Gitter. An diesem Gitter hängen Antikörper. Das sind komplexe organische Moleküle, die auch unser Körper zur Krankheitsbekämpfung einsetzt. Ihre Besonderheit: Sie haben so etwas wie „losen Enden“, an die sich nur ein genau passendes anderes Molekül anheften kann. Und so sind auch die Antikörper am Gitter darauf vorbereitet, beispielsweise Antibiotika, Pilzgifte oder spezielle Qualitätsproteine aus dem Milchfluss herauszufischen – diese „Zielmoleküle“ lagern sich dann ans Gittermetall an – wie an einen verklebten Eierschneider.

Derweil durchleuchtet der organische Transistor hindurch. Solange die Gitterstäbe sauber sind, empfängt der daneben montierte organische Sensor ein recht regelmäßiges Licht-Schatten-Muster, wie man es aus Beugungsexperimenten vom Physik-Unterricht kennt. Fangen die Antikörper jedoch Gifte oder andere Zielstoffe ein, verändern sich auf ganz bestimmte Art und weise das Beugungsmuster – je nach den angepappten Molekülen. Und dadurch kann eine Auswerte-Elektronik erkennen, welche Stoffe in der Milch mitschwimmen.

Warum „Plasmon“?

Als zusätzliche Raffinesse durchleuchtet das System auch die Stellen im Milchfluss, die es eigentlich nicht „sehen“ kann. Dabei nutzt es den Umstand aus, dass die Elektronen im Gittermetall manchmal im Gleichschritt marschieren – diesen Zustand bezeichnet man als „Plasmon“, weil sich die Elektronen in diesem Moment wie ein einziges Plasma-Teilchen verhalten. Dieser Effekt macht besonders schnelle und präzise Messungen möglich.

Nach Reinigungsbad sind Antikörper wieder hunrig

Ist eine Ladung durchleuchtet, flutet dann eine spezielle Chemikalie den Laborchip, löst die Gifte von den Anti-Körpern – und dann geht alles wieder von vorne los. Der neue Chip ist daher auch wiederverwendbar.

Auch Einsatz in Bierbrauereien möglich

„Das System eignet sich jedoch nicht nur für den Qualitätscheck von Milch“, betonen die FEP-Spezialisten. „Mit dem optoplasmonischen Sensor könnten in Zukunft auch andere Flüssigkeiten wie beispielsweise Bier oder Wasser analysiert werden.“

Der Projektname „Moloko” hat übrigens zweierlei bedeutung: Einerseits steht er für „Multiplex phOtonic sensor for pLasmonic-based Online detection of contaminants in milK“. Andererseits spielt er auf das russische Wort für Milch an – Moloko eben.

Autor: hw

Quellen: Fraunhofer-FEP, Gespräch mit Michael Törker

 

Solche Lichtchips sollen Bauern künftig helfen, die Milchqualität von jeder Kuh sofort auszuwerten. Foto: Fraunhofer FEP

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt