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Virtueller Crashtest für das Abendmahl

Erzpriester Alexei Tomajak (links), Prof. Christoph Herm von der HfBK, Projektleiter Michael Kaliske von der TU Dresden und Prof. Björn Weiß vom Institut für Holztechnologie Dresden besprechen das Vorgehen an einer Abendmahls-Szene aus der Russ.-orthodoxen Gedächtniskirche aus Leipzig. Foto: Heiko Weckbrodt

Erzpriester Alexei Tomajak (links), Prof. Christoph Herm von der HfBK, Projektleiter Michael Kaliske von der TU Dresden und Prof. Björn Weiß vom Institut für Holztechnologie Dresden besprechen das Vorgehen an einer Abendmahls-Szene aus der Russ.-orthodoxen Gedächtniskirche aus Leipzig. Foto: Heiko Weckbrodt

Forscher und Maler aus Dresden und Moskau wollen Ikonen mit Computerhilfe gegen den Klimawandel immunisieren

Dresden/Moskau, 19. Juni 2019. Um Ikonen vor dem Klimatod zu bewahren, haben Dresdner Forscher und Moskauer Maler ein Bündnis geschlossen: Im Verbundprojekt „VirtEx“ wollen Hochtechnologie-Experten und Kunsthandwerker gemeinsam Computermodelle der religiösen Artefakte schaffen, um in die Kunstwerke virtuell hineinschauen zu können. So wollen sie Schwachpunkte in den teils Hunderte Jahre alten Gemälden finden. Durch virtuelle Austrockungsversuche, simulierte Nässeschäden und mechanische Stresstests an den „digitalen Zwillingen“ der Ikonen möchten sie dann Wege zur Rettung der Originale finden. Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) hat den Dresdner Projektpartnern nun eine knappe halbe Million Euro Fördergeld für diesen innovativen Ansatz zugesagt.

VirtEx soll auch in der Restauratoren-Ausbildung helfen

„Dieses Projekt bringt nicht nur die Forschung voran, sondern auch die Lehre“, betonte Stange. „Ich hoffe sehr, dass die Ergebnisse in die Ausbildung künftiger Restauratoren einfließen.“ Auch deshalb sind neben dem „Institut für Statik und Dynamik der Tragwerke“ (ISD) der TU Dresden und dem privaten „Institut für Holztechnologie Dresden“ (IHD) auch die Hochschule für bildende Künste (HfBK) Dresden an Bord. Die besonderen Tricks und Technologien der alten Ikonenmaler steuern das Surikow-Institut und das Andrej-Rubljow-Museum aus Moskau bei.

Erzpriester will wissen, was Klimawandel in Zukunft mit seinen Ikonen anstellt

Mit dem Geld der Ministerin wollen die Projektpartner ihre neue digitale Technologie beispielhaft an einer Ikonenwand („Ikonostase“) der Russisch-Orthodoxen Gedächtniskirche in Leipzig ausprobieren. Und darüber freut sich deren Erzpriester Alexei Tomjak sehr: „Unsere Ikonen sind alt, sie wurden zum 100. Jubiläum der Völkerschlacht bei den besten Moskauer Ikonenmalern in Auftrag gegeben“, erzählt er. „Lange Zeit wurde der Raum nicht beheizt und nicht richtig belüftet. Das war nicht gut für die Bilder. Für uns ist dieses Projekt auch deshalb wichtig, weil wir wissen wollen, wie es mit unseren Ikonen in den nächsten Dekaden weitergeht.“

Prognosen und Ratschläge für Museen und Kirchen

Denn auch dies ist ein Anliegen für die „VirtEx“-Partner : Der Klimawandel könne in Sachsen viele hölzerne Kunstwerke gefährden, erklärte Ministerin Stange. „Mit unseren Simulationen wollen wir Prognosen erstellen, wie sich die klimatischen Veränderungen auf die Ikonen langfristig auswirken und was Kirchen, Museen und Restaurationswerkstätten dagegen tun können“, betonte daher Projektleiter Prof. Michael Kaliske vom ISD.

Russen steuern Infos über Ikonen-Maltechniken bei

Bis die Computer die ersten Ratschläge für die Ikonen-Rettung ausspucken, wird aber zunächst viel fachübergreifende Forschungsarbeit nötig sein. Damit sich zum Beispiel die „digitalen Zwillinge“ der Ikonen in der Rechnersimulation fast genauso wie die Originale verhalten, ist eine genaue Datenerhebung nötig: Die Forscher müssen die Kunstwerke präzise mit 3D-Scannern vermessen, kleine Farbrisse dokumentieren, die vor 100 Jahren verwendeten Lacke, Grundierungen und Hölzer abklären, die alten Maltechniken und dergleichen mehr ermitteln. Deshalb sei das Team auch sehr dankbar für die Hilfe aus Russland, wo es noch „Ikonenmaler der alten Schule“ gibt, unterstrich TU-Professor Kaliske.

Technologien aus der Autoindustrie

Erst sie ihre Simulation mit all diesen Daten gefüttert haben, können die „VirtEx“-Experten daran gehen, die digitalen Kopien der Gemälde mit Nässe, Hitze, Trockenheit und Spannungen zu martern, um ihre Schwachstellen zu finden. Dabei gehen Kunsthandwerk und Hightech Hand und Hand: „Wir setzen hier Technologien ein, die in der Autoindustrie bereits gang und gäbe sind“, erklärte der Institutsleiter. „Dort finden die ersten Crash-Tests auch erstmal im Computer statt.“

Bereits digitale Zwillinge von Cranach-Gemälde und altem Clavichord kreiert

Erfahrungen mit Rettungs-Simulationen für Kunstwerke hat Kaliskes Institut bereits: Die Ingenieure und Informatiker dort haben beispielsweise die Restaurierung eines alten Clavichord-Tasteninstrumentes und eines Cranach-Gemäldes mit der digitalen Zwillingstechnik unterstützt. Immer wieder geht es dabei um solche Fragen wie: Wann platzt der Rahmen, wenn wir nichts tun? Bis zu welcher Luftfeuchtigkeit verformt sich das Bild oder das Instrument nur elastisch, also kurzzeitig, und ab welchem Punkt sind die Deformationen nicht mehr umkehrbar? Oder: Wie sollte der Restaurator vorgehen, um das Artefakt doch noch zu retten? Darauf, so verspricht es Kaliske, wird „VirtEx“ in Zukunft auch für die Ikonen Antworten liefern.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt