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Nomos Glashütte: Mechaniker im Digitalzeitalter

Die dezenten mechanischen Uhren aus dem Müglitztal sind weltweit begehrt – während sich ringsum alles digitalisiert

Glashütte, 28. September 2018. Die Geschichte von Glashütte ähnelt der alten Legende vom Phoenix, der aus seiner eigenen Asche wieder aufgestiegen ist: Zu DDR-Zeiten drängten die kommunistischen Wirtschaftslenker die traditionsreiche Uhrenindustrie in dem kleinen Erzgebirgs-Städtchen in Richtung planerfüllender Massenproduktion. Das brachte dem Staat Devisen ein, nagte aber nach und nach am besonderen Ruf der Glashütter Zeitmesser. Nach der Wende jedoch entsannen sich die Uhrmacher im Müglitztal erneut ihrer alten Stärken. Heute sind Uhren aus Glashütte wieder weltweit gefragt: als Statussymbol, als Schmuckstück am Handgelenk, vor allem aber als individuelles Bekenntnis zu mechanischer Manufakturkunst in einer zunehmend durchdigitalisierten Welt. Rund 1800 Mitarbeiter beschäftigen diese Uhrenmanufakturen inzwischen in Glashütte. Pioniere dieser Renaissance waren zweifellos „Lange und Söhne“, aber auch Unternehmen wie „Nomos Glashütte“, die ganz eigene gestalterische Akzente inmitten des barocken Steampunks dieser Feinmechanikerstadt gesetzt haben.

Die Legende lebt

„Die Legende von Glashütte war noch lebendig, als Gründer Roland Schwertner 1989/90 von Düsseldorf hierher kam“, erzählt der heutige Nomos-Chef Uwe Ahrendt. Schwertner war fasziniert vom Ruf der Qualitätsuhren aus Glashütte. Der Fotograf und Computerfachmann aus Düsseldorf investierte viel Zeit und Mittel, um eine neue Manufaktur aufzubauen. Aber das ging nur in kleinen Schritten. „Das Geld für eigene Entwicklungen musste erst verdient werden“, sagt Uwe Ahrendt.

 Glashütte-Regel nach drei Jahren erfüllt

1990 startete Nomos in Glashütte mit einer vierköpfigen Mannschaft. 1992 stellte das Unternehmen die ersten vier Uhren vor: Die „Tangente“, „Orion“, „Ludwig“ und die eckige Tetra gelten heute als die Mütter aller Nomos-Uhren. Zuerst bauten die Feinmechaniker dort importierte Uhrwerke aus der Schweiz ein. Ein Jahr später hatte die Firma zumindest schon soviele Fertigungs- und Veredelungsprozesse im eigenen Hause vereinigt, dass Nomos eine alte Glashütte-Regel erfüllen konnte: Nur Firmen, die mindestens 50 Prozent der Fertigungsschritte für ihre Uhrwerke selbst vor Ort realisieren, dürfen ihre Uhren mit dem prestigeträchtigen Herkunftsvermerk „Glashütte“ kennzeichnen.

„Zur vollwertigen Manufaktur sind wir 2005 geworden“, schätzt Uwe Ahrendt ein. In all den Jahren zuvor hatte das Team an einem eigenen Uhrwerk gearbeitet, um die eidgenössischen Importe abzulösen – und 15 Jahre nach der Firmengründung war das „Tangomat“-Uhrwerk dann tatsächlich fertig. Seitdem verbaut Nomos nur noch eigene Uhrwerke.

 Sächsische Technologen knacken Schweizer Oligopol

Seit 2014 hat das Unternehmen mit dem „Nomos-Swing-System“ auch einen eigenen Taktgeber. In der Fachsprache wird dieses Bauteil „Assortiment“ genannt. Dabei handelt es sich um das – über die Gang-Genauigkeit entscheidende – Herzstück eines jeden Uhrwerks. Diese Kernkomponente ist technologisch und handwerklich sehr anspruchsvoll. Weltweit gibt es nur ein halbes Dutzend Unternehmen, die solch ein Assortiment herzustellen wissen. Der Markt befindet sich zu 95 Prozent in der Hand eines Schweizer Herstellers, der externe Kunden nicht mehr beliefern will. Dieses Oligopol haben die Nomos-Ingenieure aber gemeinsam mit der TU Dresden knacken können. „Die Entwicklung hat uns sieben Jahre und rund zwölf Millionen Euro gekostet“, erzählt der Nomos-Chef.

Mittlerweile beträgt die Fertigungstiefe bei Nomos zwischen 75 und 95 Prozent, schätzt das Unternehmen selbst ein. Das Gros wird selbst gemacht: Dazu gehören besondere Schliffe und andere Oberflächenveredelungen. In Schlottwitz hat das Unternehmen kürzlich 1,8 Millionen Euro in eine neue Fertigungshalle investiert, in der Arbeiter hochpräzise Einzelteile fertigen. Eine eigene Entwicklungs-Abteilung und die Endmontage hat Nomos hoch oben auf einer Bergleite des Müglitztales etabliert. In Summe beschäftigt das Unternehmen heute rund 300 Spezialisten, darunter ein 40-köpfiges Team in Berlin, das sich um die Gestaltung der Uhren, die Inszenierung der Marke und die Werbung kümmert.

Bauhaus statt barocker Opulenz

Und die Nomos-Uhren mit ihrer ganz besonderen, zurückhaltenden Formsprache kommen gut an: „Wir stehen mit unserem Bauhaus-orientierten Design eher für Understatement“, erklärt sich das der Chef. Auch integriere Nomos nur wirklich sinnvolle Funktionen in seine Uhren. Diesen Ansatz mögen viele Kunden in Deutschland, in den USA, in Hongkong, Japan und anderen Ländern. Zurzeit versuchen die Nomos-Vermarkter auch in Frankreich, Italien und Spanien mehr Fans mechanischer Zeitmesser für die dezenten Uhren aus Sachsen zu begeistern.

Gewiss sei es ein Luxus, sich eine mechanische Uhr für 2000 Euro oder mehr zuzulegen, wenn es im Laden um die Ecke eine Quarzuhr für eine Handvoll Euro zu kaufen gibt. Das ist Uwe Ahrendt klar. „Für die einen ist so eine Uhr ein Status-Symbol. Andere begeistern sich fürs schöne Design. Und gerade in Übersee schätzen viele Menschen die Qualität eines Produktes ,Made in Germany’ sehr“, zählt er einige Gründe auf, warum seiner Meinung nach die Nachfrage für Nomos-Uhren weltweit ungebrochen ist. „Es mag dabei aber auch eine Rolle spielen, dass wir mechanische Dinge noch irgendwie verstehen können – bei digitalen ist das ja nicht immer der Fall.“

 Kurzüberblick:

Unternehmen: „Nomos Glashütte/SA“ (SA steht für Sachsen)

Hauptsitz: Glashütte im Müglitztal

Geschäftsmodell: Manufaktur für mechanische Uhren

Belegschaft: rund 300 Mitarbeiter

Umsatz: k. A., Umsatz hat sich aber laut Nomos seit 2013 verdoppelt

Mehr Infos im Netz: nomos-glashuette.com/de

 

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt