Medizin & Biotech, News, Software, zAufi

Die App und das Zittern

Patient Horst Maier zeigt in der Uniklinik Dresden sein Smartphone, auf dem er die Parkinson-Früherkennungs-App für Studienzwecke installiert hat, Foto: Heiko Weckbrodt

Patient Horst Maier zeigt in der Uniklinik Dresden sein Smartphone, auf dem er die Parkinson-Früherkennungs-App für Studienzwecke installiert hat. Foto: Heiko Weckbrodt

Uniklinik Dresden entwickelt mit internationalen Kollegen eine Früherkenner-App für Parkinson

Dresden, 10. September 2018. Neurologen vom Uniklinikum Dresden haben gemeinsam mit Informatikern und Medizinern aus Griechenland, England, Belgien, Portugal und Schweden die App „iPrognosis“ entwickelt, die in Zukunft Menschen helfen soll, eine drohende Parkinson-Nervenkrankheit frühzeitig zu erkennen. Wenn ein Nutzer diese App auf sein Android-Smartphone aufspielt, registriert das Mini-Programm zum Beispiel das sachte Handzittern oder die erstarrende Mimik, mit denen sich „Parkinson“ oft als erstes zu melden beginnt. Mehren sich die Symptome, warnt die App den Nutzer und rät, einen Neurologen zu konsultieren.

(Noch) nicht heilbar – aber linderbar

„Wir wollen die modernen technologischen Möglichkeiten wie eben die das Smartphone für frühe Diagnosen nutzen, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen“, erklärt die Neurologin und Parkinsonspezialistin Dr. Lisa Klingelhöfer vom Uniklinik die Idee hinter dem Projekt, das die EU mit vier Millionen Euro finanziert. „Das ist essenziell wichtig: Je früher wir mit der medikamentösen Behandlung beginnen, umso größer ist die Chance für den Menschen, trotz der Krankheit Mobilität und Lebensqualität möglichst lange zu behalten.“

Alles begann mit einem leichten Zittern in der rechten Hand

Bei Horst Maier, der heute 68 Jahre alt ist, fing es vor etwa zweieinhalb Jahren an. „Das ging mit einem leichten Zittern in der rechten Hand los“, erinnert sich der ehemalige Rettungssanitäter und spätere Vorstand im Deutschen Roten Kreuz in Chemnitz. „Total peinlich“ sei das bei einer offiziellen Veranstaltung geworden, wo er vor über 100 Menschen referieren wollte – und das Blatt mit dem Redetext kaum noch in der Hand halten konnten. „So geht das nicht weiter“, dachte er sich – und ging zum Arzt. „Bei den vielen Tests habe ich erst richtig gemerkt, dass mir das alles schon eher auffallen können: Wie lange ich vieles gar nicht mehr richtig riechen und schmecken konnte“, erzählt Horst Maier. Die Diagnose war rasch klar: Parkinson.

Prognose: 2030 doppelt soviel Parkinson-Patienten wie heute

So ähnlich wie dem früheren Sani Maier geht es rund 32 000 Menschen in Sachsen, Tendenz: steigend. Für die Bundesrepublik weist das „Kompetenznetzwerk Parkinson“ etwa 280 000 Patienten aus. Tendenz: steigend. „Aufgrund des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts wird von einer weltweiten Verdoppelung der Zahl der Betroffenen bis 2030 ausgegangen“, schätzen Prof. Daniela Berg von der „Deutschen Parkinson-Gesellschaft“ und Dr. Karla Eggert vom Kompetenznetzwerk ein. Denn Parkinson ist eine – bisher unumkehrbare – Nerven-Degeneration, die bei vielen Menschen ab 40 zunächst schlummert und dann erst im Alter, mit 60 Jahren oder später ausbricht. Und das heißt eben auch: Je mehr die Lebenserwartung und der Seniorenanteil in Deutschland steigt, umso mehr bekommen auch Parkinson-Spezialisten wie Dr. Klingelhöfer in Dresden zu tun.

Wenn der Schlüssel nicht mehr ins Schloss will

„Mal beginnt es mit einem leichten Zittern der Hände, andere merken, dass sie Probleme haben, Hemdknöpfe noch zu schließen oder Türen zu öffnen“, erzählt die Neurologin. Auch erstarren oft nach und nach die Gesichtszüge, das Schreiben und Sprechen fällt schwerer. Heilen kann diese Krankheit bislang niemand. Aber bei frühzeitigem Behandlungsbeginn haben die Patienten gute Chancen, noch über Jahre hinweg ein Leben mit nur wenigen Einschränkungen zu führen.

Software sucht in Textnachrichten nach Depri-Wörtern

Deshalb haben sich die Mediziner in Dresden unter anderem mit Informatikern aus Thessaloniki und Neurologen vom „King’s College London“ zusammen getan, um die Omnipräsenz von Smartphones selbst unter Senioren für Studien und Frühdiagosen zu nutzen. Ihre gemeinsam entwickelte App misst beispielsweise über die Beschleunigungs-Sensoren im Smartphone, wenn die Hand zittert. Eine spezielle virtuelle Tastatur misst, wie tief und flüssig der Nutzer tippt, wenn er Nachrichten schreibt. Diese Botschaften analysiert das Programm zudem auf bestimmte Schlüsselwörter, die auf depressive Anwandlungen hindeuten. Freilich lese die App die SMS-Nachrichten nicht wirklich mit, sondern zähle nur die „depressiven“ Wörter, betonen die Dresdner Neurologen. Die Daten werden dann verschlüsselt und anonymisiert an die Mediziner übertragen.

Senioren machen zu wenig Selfies

Auch werte die App Selbstporträts aus und untersuche per Bildanalyse, ob die Mimik des Nutzers verarmt. „Leider machen Senioren noch nicht allzu viele Selfies“, bedauert Klingelhöfer. Deshalb werden die Mediziner noch eine Weile warten müssen, bis genug Daten für eine breite Studie beisammen sind.

Patient Horst Maier in der Uniklinik Dresden sein Smartphone, auf dem er die Parkinson-Früherkennungs-App für Studienzwecke installiert hat, Die Neurologen Dr. Lisa Klingelhöfer und Dr. Simone Mayer schauen ihm zu. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Neurologen Dr. Lisa Klingelhöfer und Dr. Simone Mayer schauen Parkinson-Patient Horst Maier in der Uniklinik Dresden über die Schulter, wie er gerade überprüft, wieviel Megabyte Daten er schon für die Studie gesammelt hat. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Neurologen hoffen nun, dass sich möglichst viele Menschen jenseits der 40 mit Android-Handys ihre App im „Google Play Store“ herunterladen. Eine Variante für iPhone hätten die Projektpartner zwar erwogen, sagt die Dresdner Parkinson-Spezialistin. „Apple hatte aber kein Interesse.“ Weitere Funktionen sollen folgen. Unter anderem kann die App bald mit einem „Smart Belt“ gekoppelt werden: einem von den Griechen entwickelten Sensorgürtel, der in den Bauch des Patienten hineinhorcht, um weitere Parkinson-Indizien zu finden.

Ohne Mobilität kein „Enkeldienst“

Horst Meier ist jedenfalls jetzt schon zufrieden mit der App. „Ich finde es gut, dass es so was gibt“, betont er. Er kenne zwar schon längst seine Diagnose, brauche also eigentlich keine Früherkennungs-App mehr, habe sich aber dennoch vor einem Jahr auf sein Smartphone aufgespielt. „Ich fühle mich hier im Uniklinikum Dresden sehr gut aufgehoben“, betont der Chemnitzer. Deshalb wolle er den Neurologen und anderen Parkinson-Patienten helfen, die App weiterzuentwickeln und daraus Studien abzuleiten. Er selbst fühle sich durch die verordneten Medikamente inzwischen „gut eingestellt“, sagt Maier über seine Behandlung. „Dadurch konnte ich mit meine Lebensqualität und Mobilität bewahren.“ Und vor allem letzteres sei sehr wichtig für ihn: „Ich habe fünf Enkel“, erzählt er. Um die kümmere er sich gern – „Enkeldienst“ nennt er das. „Wenn ich nicht mehr mobil wäre, dann müsste der Enkeldienst wegfallen.“

-> Infos und Ladeadresse für die App: hier

-> Wer mit dem iPronosis-Team an der Uniklinik Kontakt aufnehmen oder an der Studie mit der App teilnehmen möchte, kann die per E-Mail an iprognosis@uniklinikum-dresden.de tun.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt