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Auf der Werbetrommel steht jetzt „Industrie 4.0“ statt „Chipstadt Dresden“

Bosch entwickelt "Industrie 4.0"-Lösungen - und will deren Konzepte auch in der eigenen Chipfabrik in Dresden einsetzen. Foto: Bosch

Bosch entwickelt „Industrie 4.0“-Lösungen – und will deren Konzepte auch in der eigenen Chipfabrik in Dresden einsetzen. Foto: Bosch

Wirtschaftsförderer wollen fortan mit Geldeseln statt Kernkompetenzen die Investoren locken

Dresden, 2. August 2018. Die Stadt Dresden wird sich künftig potenziellen Investoren als Wirtschaftsstandort für die „Industrie 4.0“ präsentieren, also als Hightech-Problemlöser für hochautomatisierte und vernetzte Fabriken. Zur Halbleiter-Messe „Semicon Europe“ im November 2018 in München werde die Stadt erstmals offensiv damit für sich werben. Das hat Dresdens Chef-Wirtschaftsförderer Robert Franke angekündigt.

Robert Franke leitet die städtische Wirtschaftsförderung in Dresden. Foto: Frank Grätz für die LHD

Robert Franke leitet die städtische Wirtschaftsförderung in Dresden. Foto: Frank Grätz für die LHD

Entscheidender Punkt: So könnt Ihr Geld verdienen!

Dies ist Teil seines Konzeptes, nicht mehr mit Kernkompetenzen wie „Wir sind eine tolle Mikroelektronik-Stadt“ für Dresden die Trommeln zu rühren, sondern mit konkreten Lösungen und Geschäftsmodellen, die sich in Dresden gut realisieren lassen. Dazu gehören neben der Industrie 4.0 beispielsweise auch die „Smart City“ (Vernetzte Stadt), die Elektromobilität und das „Internet der Dinge“. Denn die scheue Spezies namens „Investoren“ interessiere sich für abstrakte Werbeaussagen wenig. „Um neue Ansiedlungen zu gewinnen, brauchen wir konkrete Business Cases“, betonte Franke. Diese kommerziellen Beispielanwendungen sollen den ansiedlungswilligen Kapitalisten signalisieren: „Seht, so könnt Ihr in Dresden Geld verdienen!“

Was ist Industrie 4.0?

Und eines der zentralen Geschäftsmodelle, mit denen er werben will, ist eben die Industrie 4.0. Der Begriff wird zwar oft vage verwendet, bedeutet aber in Kern: Die Betriebe schließen die letzten Automatisierungslücken. Alle Maschinen, Roboter und Werkstücke bekommen viele Sensoren und ein gewisses Maß an Künstlicher Intelligenz (KI), um die effektivste Produktions-Reihenfolge und Maschinenumrüstungen untereinander und vor Ort selbst auszuhandeln. Die Produktivität in den Fabriken könnte so um ein Drittel steigen und auch Einzelanfertigungen („Losgröße 1“) wären dann noch profitabel herstellbar.

Wer ist in Dresden für die Industrie 4.0 aktiv?

In den Dresdner Chipfabriken von Infineon werden viele „Industrie 4.0“-Prinzipien schon heute erprobt – auch das Miteinander von Roboter und Mensch

Chipfabriken vorneweg

„Wir haben hier zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die in der Industrie 4.0 führende Positionen haben“, ist Franke überzeugt. Das Paradebeispiel schlechthin am Standort seien die Dresdner Chipfabriken von Infineon, Globalfoundries und künftig auch Bosch, die Teile der „Industrie 4.0“ bereits realisieren– auch mit Hilfe sächsischer Technologiefirmen. Unternehmen wie Fabmatics, Xenon, Systema und AIS haben sich darauf spezialisiert, die letzten Automatisierungslücken in Fabriken zu schließen. Sie haben sich im „Automation Network Dresden“ (AND) zusammengeschlossen, um auch komplexe Aufgaben gemeinsam zu lösen. Andere Unternehmen am Standort kümmern sich um die „Industrie 4.0“-Aufrüstung älterer Maschinen (Robotron) oder das intuitive Anlernen von Robotern mit Hilfe von Sensor-Jacken (Wandelbots).

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD, links) und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU, rechts) erproben in der VW-Manufaktur Dresden die Wandelbots-Sensorjacken, um einen Kuka-Industrieroboter anzulernen. Foto: Oliver Killig, VW

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD, links) und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU, rechts) erproben in der VW-Manufaktur Dresden die Wandelbots-Sensorjacken, um einen Kuka-Industrieroboter anzulernen. Foto: Oliver Killig, VW

VW-Manufaktur wächst zum Nukleus

Wachsende Bedeutung für die „Industrie 4.0“-Aktivitäten am Standort hat auch die gläserne VW-Manufaktur gewonnen: Einerseits brütet sie in ihrem Inkubator junge Unternehmen mit innovativen Ideen aus. Andererseits richtet Volkswagen im Herbst in der Manufaktur eine Forschungsabteilung ein, die „Industrie 4.0“-Software für den Konzern entwickeln soll. Außerdem beschäftigen sich das 5G-Lab und viele weitere Institute in- und außerhalb der TU Dresden mit „Industrie 4.0“-Lösungen. Und für die Überführung der Theorie in die Praxis hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden eine kleine „Industrie 4.0“-Testfabrik („Industrial Internet of Things Test Bed„) eingerichtet, die diese Konzepte auch für kleine Unternehmen greifbar macht.

So etwa stellen sich die Sachsen den Feldschwarm vor: Ein bemanntes Fahrzeug umgeben von autonomen Feldmaschinen. Abb.: WTK

So etwa stellen sich die Sachsen den Feldschwarm vor: Ein bemanntes Fahrzeug umgeben von autonomen Feldmaschinen. Abb.: WTK

Feldschwarm: Auch die Landwirtschaft interessiert sich für Industrie 4.0

Zudem haben Unternehmen und Institute in der Dresdner VW-Manufaktur vor einem Jahr ein Konsortium „Feldschwarm“ für hochautomatisierte und kollaborative Landmaschinen gegründet. Ihre Hoffnung: Sie wollen den traditionsreichen sächsischen Landmaschinenbau, der mit dem „Fortschritt“-Kombinat unterging, auf einer hochtechnologischen Stufe wiederbeleben. Denn mittlerweile ist klar: Der Begriff „Industrie 4.0“ mag ursprünglich aus der Vorstellung geboren worden sei, dass uns nach Dampfmaschine, Elektrifizierung und Fließband nun eine vierte industrielle Revolution durch Robotik und Vernetzung ins Haus steht. Aber interessant sind die dabei entwickelten Technologien auch für den Agrarsektor und andere Wirtschaftssektoren.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt