Polizei geht teils gewaltsam gegen die Demonstranten vor
Hanoi/Saigon, 10. Juni 2018. Wütende antichinesische Proteste erschüttern derzeit Hanoi, Saigon und andere Städte in Vietnam: Tausende Menschen gehen lautstark auf die Straße, um gegen eine Landpacht-Klausel für Sonderwirtschaftszonen zu demonstrieren. Sie befürchten einen Ausverkauf an chinesische Investoren.
Aktualisierung 11. Juni 2018:
Über Nacht ist es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und demonstranten gekommen. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, die Demonstranten haben womöglich Polizeifahrzeuge angezündet. Laut unbestätigten Angaben soll es auch Tote gegeben und die Polizei zahlreiche Menschen festgenommen haben. Auf den Videoaufnahmen sind Geräusche zu hören, die Schüsse sein können, aber auch Feuerwerkskörper. Seit dem Morgen verfolgt die Polizei anscheinend eine Deeskalations- und Verhinderungsstrategie und hat wohl wichtige Verbindungsstraßen blockiert. (Aktualisierung Ende).
Furcht vor einem Ausverkauf Vietnams
Hinter den Protesten steht die Befürchtung vieler Vietnamesen, der große Nachbar könnte Vietnam erneut schlucken – wie schon einmal für rund 1000 Jahre. Die Polizei geht inzwischen teils gewaltsam gegen die protestierenden Menschen vor. Staatsmedien wie VTV erwähnen die Demonstrationen auf den Straßen mit keiner Silbe. Und an dieser Stelle zeigt sich, wie sich die Welt in den vergangenen 30 Jahren durch die Digitalisierung verändert hat: Anders als 1989, als die DDR und der Ostblick fielen, wirkt die Nachrichtensperre durch die Kommunisten kaum: Informationen, Videos und Fotos von den Demos der Vietnamesen verbreiten sich dieser Tage in Windeseile über Facebook, so auch die Bilder von den blutig geschlagenen Demonstranten.
Marktwirtschaftliche Experimente und China-Angst stoßen zusammen
Schwarz-Weiß-Urteile sind hier indes schwer zu fällen. Denn im Grundsatz mag man es aus europäischer Sicht für eine gute Idee halten, Sonderwirtschaftszonen in einem Land einzurichten, in denen trotz aller mit mehr marktwirtschaftlichen Einflüsse weiter die Kommunisten Alleinherrscher sind. Die vietnamesische Wirtschaft wächst zwar trotz aller Gängelei jetzt schon ziemlich dynamisch um 6 bis 7 % jährlich. Aber viele Experten sind überzeugt: Viel mehr ausländische Investoren würden sich in Vietnam engagieren, wenn sie mehr Rechtssicherheit, ein liberales Wirtschaftsrecht, weniger Korruption und nicht zuletzt auch Möglichkeiten hätten, Fabriken auf eigenem Land zu bauen. Bisher sind die Möglichkeiten für ausländische Investoren, in Vietnam Grundbesitz zu erwerben, aber noch sehr beschränkt. Und genau genommen, sind selbst die geplanten 99-Jahres-Pachten ein eher unzureichendes Entgegenkommen auf die Wünsche ausländischer Investoren, die Land rechtssicher kaufen wollen.
Auch China tastete sich einst mit Sonderwirtschaftszonen zur Marktwirtschaft vor
Und eben da setzen die geplanten drei Sonderwirtschaftszonen Van Don in der Provinz Quang Ninh, Bac Van Phong in der Provinz Khanh Hoa and die Ferieninsel Phu Quoc in der Provinz Kien Giang an: Sie sollen – ähnlich wie in den 1980er Jahren in China – „mehr Marktwirtschaft“ austesten. In diesem Zuge will die Regierung ausländischen Investoren erlauben, Land für 99 Jahre zu pachten. Und daran entfachen sich eben die Wut vieler Vietnamesen, die davon ausgehen, dass dies eine „Lex China“ ist.
Inzwischen versucht die vietnamesische Regierung, die Wellen zu dämpfen: Sie hat nun in Aussicht gestellt, die Pachtdauer zu redizieren (was allerdings noch schlechter für Investoren wäre) und die Abstimmung erst einmal verschoben.
Autor: Heiko Weckbrodt
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