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Stigma fürs Leben

Professor Rainer Sabatowski leitet das Universitärte Schmerz-Centrum in Dresden, Dr. Gudrun Goßrau die daruin integrierte Kopfschmerzambulanz. Foto: Heiko Weckbrodt

Professor Rainer Sabatowski leitet das Universitärte Schmerz-Centrum in Dresden, Dr. Gudrun Goßrau die daruin integrierte Kopfschmerzambulanz. Foto: Heiko Weckbrodt

In der Kopfschmerzambulanz im Uniklinikum Dresden hilft ein interdisziplinäres Team Migräne-Patienten aus dem tiefen Tal heraus

Dresden, 28. März 2017. Wer selten oder nie Kopfschmerzen hat, kann Migräne-Patienten oft kaum verstehen: „Hab Dich nicht so, jeder hat mal ein bisschen Kopfschmerzen“, heißt es dann oft. Aber wer eine angeborene Migräne hat, kann ein ganz anderes Lied singen – wenn ihm oder ihr denn überhaupt noch nach Singen zumute ist. Denn diese chronische, meist auf einer Seite des Kopfes auftretende Kopfschmerz-Variante kann ganze Biografien verändern. Mediziner haben Zusammenhänge zwischen Migräne, Depressionen, Übergewicht und besonderen Begabungen ausgemacht.

„Wer schon als Kind Migräne hat, fühlt das sehr früh: Unten zu stehen, zeitweise nicht leistungsfähig ,genug’ zu sein“, berichtet Kinderarzt Dr. Matthias Richter vom Universitäts-Schmerz-Centrum (USC) Dresden. „Das kann später bis hin zum kompletten Rückzug aus dem sozialen und beruflichen Leben führen“, sagt USC-Leiter Professor Rainer Sabatowski. In besonders schweren Fällen schaffen Migräne-Patienten keine Ausbildung oder Arbeit mehr, obwohl sie oft sogar besonders aufmerksame und begabte Menschen sind.

Da kommen dann oft mehrere Dinge zusammen: Die genetisch bedingte Migräne machte es den Patienten schwer, in Schule oder im Büro wie gewohnt zu lernen oder zu arbeiten. Dies programmiert Misserfolgs-Erlebnisse vor und kann dazu führen, dass – eigentlich gute – Schüler sitzenbleiben oder die Karriere stockt. Bei Migränepatienten werden auch häufiger Depressionen diagnostiziert. Zudem leiden manche Migräne-Patienten leiden auch unter anderen Kopfschmerz-Arten wie etwa Spannungs-Kopfschmerz, der anders behandelt werden muss – der Hausarzt kann diese Gemengelage oft nicht richtig auseinanderhalten.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit im Schmerzzentrum

Solche Patienten sind dann eher ein Fall für die Kopfschmerz-Ambulanz im USC, die von Dr. Gudrun Goßrau geleitet wird. Um Patienten mit besonders schweren Kopfschmerzen helfen zu können, ist eine fachübergreifende Zusammenarbeit notwendig. Im USC arbeiten Neurologen, Kinderärzte, Schmerzmediziner, Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten zusammen, um die Kopfschmerzen zu diagnostizieren und gemeinsam mit den Patienten und bei Kindern und Jugendlichen auch ihren Eltern einen Behandlungsplan zu erarbeiten.

Nach einer interdisziplinär erstellten Diagnose helfen sie Akut-Patienten zunächst erst mal mit Medikamenten. Das können gängige Schmerzmittel wie Ibuprofen oder ASS sein, aber auch Spezialpräparate wie Naproxen oder Triptane.

Im nächsten Schritt können die Schmerzspezialisten dann mit den Patienten ein Programm erarbeiten, um Kopfschmerzen zu reduzieren und Auslöser („Trigger“) zu vermeiden. Dabei können Kopfschmerz-Tagebücher helfen, in denen die Patienten Migräne-Attacken notieren und was sie vorher getan, gegessen oder getrunken haben. Einfache Ursache-Folge-Ketten lassen sich dadurch aber nicht unbedingt ableiten, warnen die Experten. „Früher nahm man ja oft an, dass Käse und Schokolade Migräne auslösen“, sagt Ambulanz-Leiterin Dr. Goßrau. Inzwischen gehe die Meinung in der Fachwelt eher dahin, dass Heißhunger nach bestimmten Stoffen durch die Migräne selbst ausgelöst werden und nicht umgedreht.

„Migräne ist weitgehend genetisch bedingt“

Aber auch Wetterwechsel, Veränderungen im üblichen Tagesrhythmus, ausgelassene Mahlzeiten, Stress und Reizüberflutung können Attacken auslösen. Dies sind aber eben „nur“ Trigger, nicht die Ursachen für die Migräne selbst. Das spielen zum Beispiel Hormone eine Rolle. So sind Frauen circa zwei- bis dreimal so häufig von Migräne betroffen wie Männer. Diese Tortur kann jedoch für viele Frauen nach der Menopause enden. Da aber selbst sehr junge Kinder unter Migräne leiden, muss es auch andere Ursachen geben. Und die sind bei Migräne fast immer im Erbgut verankert. „Migräne ist weitgehend genetisch bedingt“, sagt Gudrun Goßrau. „Einige wenige Migräne-Arten sind durch ein einziges verändertes Gen im Erbgut bedingt, meist stecken aber polygene Veränderungen dahinter.“

Deshalb ist Migräne nicht heilbar. Aber in besten Falle können Medikamente, Prophylaxe und eigene Bemühungen der Patienten die Migräne so eindämmen, dass die Attacken nicht mehr so häufig kommen und der große Nebel nicht mehr das ganze Leben bestimmt.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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