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Scharfer Blick in die Welt der ultraschnellen Prozesse

Physiker Michael Kuntzsch arbeitet an der TELBE-Anlage, die in Dresden-Rossendorf besonders brillante Terahertz-Strahlung erzeugt. Die Forscher versprechen sich noch Großes von den Analyse-Fähigkeiten dieser Durchlechtungstechnik. Foto: HZDR/Frank Bierstedt

Physiker Michael Kuntzsch arbeitet an der TELBE-Anlage, die in Dresden-Rossendorf besonders brillante Terahertz-Strahlung erzeugt. Die Forscher versprechen sich noch Großes von den Analyse-Fähigkeiten dieser Durchlechtungstechnik. Foto: HZDR/Frank Bierstedt

Forscher vom HZDR demonstrieren mit internationalen Partnern eine superschnelle Kamera für die Femtosekunden-Physik

Dresden-Rossendorf, 22. März 2017. Aus dem Chemie-Unterricht ist bekannt: Kommen Wasserstoff und Sauerstoff zusammen, dann knallt es – und am Ende entsteht Wasser. Ursache und Resultat sind schon lange bekannt. Aber was passiert eigentlich dazwischen? Wie genau sieht es aus, wenn sich Atome zu Molekülen verketten? Diesem und ähnlich extrem schnell ablaufenden Prozessen widmet sich eine noch junge Richtung innerhalb der Naturwissenschaften: die Ultrakurzzeitphysik, die die Tür zu einem neuen Verständnis physikalischer und chemischer Vorgänge öffnen soll. Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben nun mit Kollegen aus Hamburg, Berlin und Kalifornien demonstriert, wie sich ultraschnelle Prozesse mittels präziser Messungen und einer innovativen Datenanalyse viel genauer als bisher untersuchen lassen.

Bis auf Billiardstel Sekunden genau

Der technologische Fortschritt macht es möglich, sehr schnelle Vorgänge in den Material- und Lebenswissenschaften zu „filmen“, um sie besser zu verstehen. Auch viele technologisch wichtige Prozesse wie die Energie- und Datenspeicherung dauern nur so kurze Zeit, dass sie sich eine Billiarde Mal wiederholen müssten, bis eine Sekunde vergangen ist. Wissenschaftler sprechen dann von „Femtosekunden“, also Billiardstel Bruchteilen einer Sekunde Zum Vergleich: Ein Lichtstrahl braucht für die rund 380.000 Kilometer von der Erde zum Mond etwa eine Sekunde. In einer Femtosekunde legt solch ein eigentlich sehr schnelles Lichtpaket gerade mal eine Distanz zurück, die dem Durchmesser eines menschlichen Haares entspricht.

Neue Generation von Lichtquellen

Um solche sehr schnellen Prozesse zu „fotografieren“ beziehungsweise zu „filmen“, verwenden Wissenschaftler Laser und zunehmend auch beschleunigerbasierte Lichtquellen wie Freie Elektronen-Laser, die sehr kurze Lichtteilchen-Pulse erzeugen. Auch die neue Forschungsanlage „TELBE“ am ELBE-Beschleuniger in Rossendorf ist prinzipiell zu solchen Messungen imstande. Sie ist ein Prototyp für eine neue Generation von Lichtquellen, die starke Terahertz-Lichtpulse mit besonders hoher Wiederholrate erzeugen

Bisher oft Effekte wie bei einer Langzeitbelichtung

Doch die Lichtintensität und Ankunftszeiten der verfügbaren Strahlenquellen in den Großforschungsanlagen wie TELBE, FELBE oder dem europäischen XFEL schwanken zu stark, um viele der erhofften Untersuchungen zu realisieren. Die Resultate mag man mit dem Versuch vergleichen, mit einer zu alten Kamera ein Pferderennen zu fotografieren: Entweder es entstanden bei vielen Versuchen nur einzelne „scharfe Fotos“ oder die Wissenschaftler bekamen verschwommene Bilder wie von einer Langzeitbelichtung.

„Störungen“ in wertvolle Daten verwandeln

Anstatt wie bisher zu versuchen, die Stabilität des ELBE-Beschleunigers zu verbessern oder Messungen mit „schlechten“ Pulseigenschaften auszusortieren, haben die beteiligten Wissenschaftler nun ein Verfahren entwickelt, um die Intensität, die Ankunftszeit und weitere Eigenschaften jedes einzelnen Pulses von diesen Lichtquellen mit hochempfindlichen Monitoren sehr präzise auszumessen. Diese Aufzeichnungen über die ursprünglichen Messimpulse ordnen sie dann den gewonnenen Experimentdaten zu. Die Unregelmäßigkeiten in den Lichtteilchen-Paketen sind damit nicht mehr eine Störung des Experiments, sondern liefern wertvolle Zusatzinformationen, zum Beispiel darüber, wie sich ihre untersuchten Proben unter unterschiedlichen Bestrahlungsstärken verhalten.

Dr. Michael Gensch. Foto: HZDR

Dr. Michael Gensch. Foto: HZDR

„Für uns gibt es keine schlechten Daten mehr, alle Messungen sind jetzt gleichermaßen wertvoll – unabhängig von der Schwankung zum Beispiel in der Ankunftszeit der Lichtpulse im Experiment oder ihrer Intensität“, erklärt Dr. Michael Gensch, der mit seiner Rossendorfer Arbeitsgruppe die Entwicklung vorangetrieben hatte.

Enorme Datenmengen absehbar

„Wir nutzen dafür die enormen Fortschritte der Computertechnik“, betonte der Strahlrohr-Wissenschaftler Sergey Kovalev von TELBE-Anlage „Was wir jetzt machen, auf diese Idee wäre vor ein paar Jahren noch niemand gekommen, weil dabei enorm große Datenmengen entstehen und verarbeitet werden müssen.“ Insofern könne man hier auch von einer „Big Data“-Herausforderung sprechen: Binnen zwei Wochen Messzeit können hier schon ein halbes Petabyte an Experimentaldaten entstehen. Dies entspricht etwa dem Inhalt von rund 55.000 DVDs.

Schnellere Detektoren sind schon in der Entwicklung

Und damit ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht: Das bisher verwendete Detektorsystem, der die Werte sammelt, kann Wiederholraten bis zu 100 Kilohertz, also 100.000 Messwerte pro Sekunde verarbeiten. Kooperationspartner am Deutschen Elektronen-Synchrotron „DESY“ Hamburg, am „Karlsruhe Institute of Technology“ (KIT) und am Paul-Scherer-Institut in der Schweiz arbeiten aber bereits an einer Detektor-Sonderanfertigung, die 45 Mal so schnell sein wird, also mit 4,5 Megahertz klar kommt. Entsprechend stark wachsen dann die Mengen erzeugter Experimental-Rohdaten. „Da sind auch noch viele Fragen zu beantworten: Wie und wann man diese Daten auswertet, wie man sie abspeichert und für die Nutzer verfügbar macht“, schätzt Michael Gensch ein. „Bis zum nächsten Jahr wollen wir einen Aufbau entwickeln, der für den europäischen XFEL geeignet ist. Bis dahin wollen wir diese Fragen soweit wie möglich geklärt haben.“

Publikation in einer „Open Access“-Zeitschrift

Das Verfahren, entwickelt im Rahmen des europäischen Projektverbunds EUCALL, funktioniert momentan bis auf 30 Femtosekunden genau. Es kann aber prinzipiell noch weiter verbessert werden, wie die Forscher in ihrer Studie beschreiben. Beteiligt an der Entwicklung des neuen Verfahrens waren neben dem HZDR Wissenschaftler des „Deutschen Elektronen Synchrotrons“ in Hamburg, des Fritz-Haber-Instituts der Max Planck Gesellschaft in Berlin sowie des „SLAC National Accelerator Laboratory“ in Menlo Park/USA. Beschrieben und publiziert haben sie ihre Befunde nun unter dem Titel „Probing ultra-fast processes with high dynamic range at 4th-generation light sources“ in der Fachzeitschrift „Structural Dynamics“. Dabei handelt es sich um eine Zeitung für die Ultra-Kurzzeit Wissenschaft, die frei zugänglich im Internet steht, also das „Open Access“-Prinzip verfolgt.

Was ist EUCALL?

Das europäische Cluster für fortgeschrittene Laserlichtquellen (European Cluster of Advanced Laser Light Sources = EUCALL) ist ein Netzwerk führender Großforschungseinrichtungen für freien Elektronenlaser, Synchrotron-Speicherringe und Laserstrahlung und ihre Benutzer. EUCALL wird durch das „Horizon 2020“ Forschungsprogramm der Europäischen Union finanziert. Es und umfasst 11 Partner aus neun Ländern sowie die Netzwerke Laserlab Europe und FELs Europas während der Projektperiode 2015 bis 2018. Mehr Informationen: www.eucall.eu

Autoren: Heiko Weckbrodt und Dr. Michael Gensch

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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