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Impulse für Dresdens Wirtschaft kommen heute eher von Software als von Chipwerken

Virtueller Maschinenbau in einer Computerprojektions-Höhle (Cave) der TU Dresden. Foto: Jürgen Lösel, LHD Dresden

Virtueller Maschinenbau in einer Computerprojektions-Höhle (Cave) der TU Dresden. Foto: Jürgen Lösel, LHD Dresden

Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert im Interview über die gewandelte Rolle der Mikroelektronik

Dresden, 3. November 2015. Gaben früher die großen Halbleiter-Fabriken von AMD, Infineon & Co. den Industrietakt in Dresden an, hat die hiesige Mikroelektronik vor allem seit der Pleite des Speicherchip-Herstellers Qimonda deutlich an Dynamik verloren. Inzwischen sind es eher Software-Schmieden, die für Impulse sorgen, hat Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) in einem Interview eingeschätzt, das wir mit ihm schriftlich über die gewandelte Rolle der Chipbranche für die Stadt geführt haben.

Welche Bedeutung hat die Halbleiter-Industrie für Dresden?

Dresdens amtierender OB Dirk Hilbert. Abb.: LHD Dresden

Dirk Hilbert. Abb.: LHD

Dirk Hilbert: In fast allen technischen Geräten befindet sich heute ein Stück Dresden. Denn jeder zweite in Europa gefertigte Chip wird in der sächsischen Landeshauptstadt produziert. Dabei kann Dresden auf eine lange Tradition zurückblicken – schließlich wurde der Computer der ehemaligen DDR hier „erfunden“ und gebaut. Nach der Wende waren die gut ausgebildeten Ingenieure und Forscher in diesen Unternehmen und der TU Dresden die ausschlaggebenden Beweggründe, dass die Chipfabriken von Infineon und Globalfoundries (früher AMD) in Dresden angesiedelt wurden und tausende neue Arbeitsplätze boten.

Die Chipindustrie benötigt eine riesige Anzahl an Technischen Dienstleistern und Zuliefer-Unternehmen, die sich ebenfalls in Dresden ansiedelten oder entwickelten. Da die Entwicklung neuer Chips eine entscheidende Rolle für neue Produkte oder Technologien spielt und die Branche ständig vor der Herausforderung nach Innovationen steht, bietet sie auch in den kommenden Jahren enormes Entwicklungspotenzial.

Wie sehen Sie den Stellenwert des sächsischen Mikroelektronik-Clusters für Deutschland und Europa?

Dirk Hilbert: Die Wahrnehmung des Clusters Silicon Saxony ist im Vergleich zu den vergangenen fünf bis zehn Jahren enorm gestiegen. Wir sind nicht nur der größte Halbleiterstandort in Europa, auch unsere Experten sind gefragt. Ob in Deutschland oder in Europa: Geht es um die strategische Ausrichtung der Mikroelektronik oder die Formulierung entsprechender Förderprogramme, entscheiden heute Dresden und Sachsen mit. Sehr deutlich wird die Bedeutung auch immer dann, wenn die europäische Halbleitermesse SEMICON in Dresden tagt und sich die Vertreter der Industrie, Wissenschaft und Politik im Rahmen der deutschlandweiten Arbeitsgruppe „Silicon Germany“ über die zukünftige Strategie verständigen.

Woher kommt das? Gibt es Patentrezepte, um Chip-Konzerne zu angeln?

Dirk Hilbert: Geheim sind unsere Rezepte nicht, aber es kommt eben auf die perfekte Mischung der Zutaten an. Die Geschäftsfelder der ansässigen Firmen umfassen die vollständige Wertschöpfungskette der Mikroelektronik: über Material- und Chipherstellung bis zu den Produkten der Anwenderindustrie. Die starke Forschungslandschaft tut ihr Übriges. Aber: Gute Zutaten alleine reichen nicht. Besonderes Markenzeichen der Akteure im Silicon Saxony ist ihre sehr gute Vernetzung untereinander. Für neue Investoren ist das das Sahnehäubchen.

Als sich die ersten Halbleiter-Unternehmen nach der politischen Wende hier ihre Fabriken bauten, hieß es, neben staatlichen Subventionen sei vor allem das Fachkräfte-Reservoir aus der DDR-Mikroelektronik ein Anreiz für Ansiedlungen gewesen. Doch dieses Reservoir dürfte doch inzwischen längst erschöpft sein. Was tut Sie, um für Fachkräfte-Nachschub zu sorgen?

Dirk Hilbert: Exzellente Ausbildungseinrichtungen, Hochschulen und Forschungsinstitute sind die Basis, damit auch zukünftig genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die Landeshauptstadt setzt vor allem auch auf die frühzeitige Entwicklung des Nachwuchses. In neun Schülerlaboren erhalten junge einen Einblick in entsprechende Berufsbilder und Studienrichtungen. Forschung, Kultur und Ingenieurwissenschaften stehen im Schülerprogramm JUNIORDOKTOR im Mittelpunkt. Eine Expedition in die Welt der Mikro- und Nanoelektronik ist die Ausstellung „Cool X“ in den Technischen Sammlungen. Wie ein Chip entsteht und aufgebaut ist, machen interaktive Exponate erlebbar. Darüber hinaus beteiligen sich viele Unternehmen regelmäßig an der Bildungs-, Job- und Gründermesse „KarriereStart“ oder öffnen im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ ihre Türen und Werkshallen für interessierte Jugendliche.

Fraunhofer-Forscher Frank Kretzschmar vom IWS zeigt den Schülern, wie man mit Lasern umgeht. Foto: Heiko Weckbrodt

Fraunhofer-Forscher Frank Kretzschmar vom IWS zeigt Schülern beim Programm „Juniordoktor“, wie man mit Lasern umgeht. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit dem Wachstum der Industrie am Standort haben sich neben den Ausbildungs- auch die Forschungseinrichtungen entwickelt. An keinem anderen deutschen Standort gibt es heute mehr Institute und Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft als in Dresden. Hier ist es Normalität, dass Mitarbeiter aus den Forschungseinrichtungen in die Industrie wechseln und umgekehrt. Zum Fachkräftetransfer kommt es auch, wenn innovative Start-up-Unternehmen aus bestehenden Instituten ausgegründet werden, wie bspw. zuletzt die COSEDA Technologies GmbH.

Wenn wir uns für einen Moment einmal von der wirtschaftlichen Bedeutung der Mikroelektronik am Standort lösen: Hat diese Branche die Stadt auch anderweitig verändert oder tut sie dies vielleicht noch? Ich denke da zum Beispiel an die Stichworte Internationalität, Technik-Affinität oder gesellschaftliches Engagement…

Dirk Hilbert: Die gesamte Mikroelektronikbranche – wie auch alle übrigen Hochtechnologien – ist international geprägt und verlangt nach internationalen Fachkräften. So wurde gleich nach der Ansiedlungsentscheidung von AMD die Dresden International School gegründet. Und es spiegelt sich in der Internationalität der Mitarbeiter der Unternehmen. Darüberhinaus werden die Dresdner offener für neue Technologien: Immer neue, innovative Themen wie bspw. das Internet der Dinge, Industrie 4.0 oder Smart City wären ohne Sensoren, Chips und MEMS, die auch mit sächsischem Know-how entwickelt wurden, nicht möglich. In den Blickpunkt der Bürger rücken diese Themen dann, wenn vor Ort entwickelte Lösungen im städtischen Umfeld getestet werden. So wird z. B. Dresdens Straßenverkehr mithilfe des Verkehrsmanagementsystems VAMOS intelligent gesteuert.

Die Mikroelektronik-Industrie gilt als eine Branche, in der viel stärker und viel schneller als in anderen Wirtschaftszweigen auf und ab geht. Birgt die starke Halbleiter-Orientierung am Standort nicht die Gefahr, dass dadurch Arbeitsmarkt und Steuer-Einnahmen ständig schwanken?

Dirk Hilbert: Die Qimonda-Pleite 2008 war ein Stresstest für die Dresdner Halbleiterindustrie, aus dem der Standort gestärkt hervorgegangen ist. Die Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette sind in verschiedenen Märkten aktiv, so dass Schwankungen zwar Einbußen bedeuten, aber nicht gleich die Existenz des gesamten Standortes in Frage stellen. Unsere Steuereinnahmen unterliegen aufgrund dieser Schwankungen aber tatsächlich stets einer gewissen Dynamik.

Seit dem Jahr 2008 wächst die Branche in Dresden anscheinend nicht mehr so dynamisch wie vorher. Woher kommt das und was tut die Stadt, um der Entwicklung wieder Schwung zu verleihen?

Dirk Hilbert: Wenn ein gewisser hoher Entwicklungsstand erreicht ist, ist es normal, dass die Zuwachsraten abflachen. Heute kommen die entscheidenden Impulse für weitere Entwicklungen aus dem Bereich Software. Die Entwicklung neuer Programme für die Industrie und das Angebot von Pilotlösungen sind die neuen Stärken der Unternehmen am Standort. Die Landeshauptstadt Dresden unterstützt die Aktivitäten der Unternehmen beispielsweise hinsichtlich der Sichtbarmachung im Rahmen von Messepräsentationen oder bei der Implementierung von Pilotlösungen im städtischen Bereich.

Welche Herausforderungen sehen Sie in nächster Zukunft mit Blick auf das Halbleiter-Cluster Dresden?

Dirk Hilbert: Die großen Gewinne werden heute nicht mehr bei den Chipproduzenten, sondern in der Anwendungsindustrie gemacht. Das sind neben der Autoindustrie große Softwarekonzerne wie Google oder Amazon. Daher müssen wir in Dresden unbedingt den Sprung in die neuen Märkte der Zukunft schaffen: Die Entwicklung der neuen 22FDX-Technologie von Globalfoundries, die erste 300-mm-Leistungselektronik-Fertigungslinie bei Infineon und die Forschung im 5G-Lab an der TU Dresden bieten dafür schon die besten Grundlagen. Hier setzen Dresdener Akteure bereits weltweite Standards. Aber es muss gelingen, diese Technologieführerschaft in Marktführerschaft umzuwandeln, kostengünstig hohe Stückzahlen produzieren zu können und somit Geld auf den Weltmärkten zu verdienen.

Was kann die städtische Wirtschaftsförderung leisten, wo liegen ihre Grenzen?

Dirk Hilbert: Die städtische Wirtschaftsförderung kann dazu beitragen, dass ansässige oder neue Unternehmer gute Wachstumsbedingungen vorfinden, d. h. ausreichend Erweiterungsflächen, entsprechendes Fachpersonal, einfachen Zugang zu Wissenschaft und Forschung, zu Förder- und Finanzierungsprogrammen. Bei behördlichen Genehmigungsprozessen kann sie einzelne Verfahren bündeln und so Genehmigungsprozesse beschleunigen. Wir helfen bei der Vernetzung und werben mit gezieltem Marketing und Messeauftritten um neue Unternehmen. Aber wir können kein Unternehmen zwingen sich zu erweitern oder sich anzusiedeln. Wir können keine Ansiedlungsgrundstücke verschenken, „Ansiedlungsprämien“ zahlen oder den Unternehmen Produkte oder Märkte vorschreiben.

Hinweis: Das Interview haben wir schriftlich geführt.

-> Mikrochip-Abc

Dieses Interview ist in Vorbereitung für das „Mikrochip-Abc“ entstanden. Das „Mikrochip-Abc“ ist ein Handbuch über moderne Mikroelektronik für Schüler ab Klasse 8. Es wird vom Dresdner Unternehmen „3D:it UG“ produziert und demnächst veröffentlicht. Weitere Informationen über dieses Schulbuch sind hier im Internet zu finden: mikrochip-abc.com

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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