Wirtschaft

NXP will Autos 6. Sinn gegen Unfälle einimpfen

Kameras und Radarsysteme an Bord von Autos sind erst der Anfang: Künftig sollen spezielle WLAN-Sender Fahrern helfen, um Häuserecken zu „schauen“ und sich nähernde Gefahrenquellen rechtzeitig zu erkennen. Foto: NXP

Kameras und Radarsysteme an Bord von Autos sind erst der Anfang: Künftig sollen spezielle WLAN-Sender Fahrern helfen, um Häuserecken zu „schauen“ und sich nähernde Gefahrenquellen rechtzeitig zu erkennen. Foto: NXP

WLAN-Funk soll unsichtbare Gefahrenquellen im Straßenverkehr sichtbar machen

Hamburg, 28. Juli 2015. Luis trommelt mit den Fingern zum Takt der Musik auf seinem Lenkrad herum, das Fahren macht heute Spaß, kaum Verkehr auf den Straßen. Komisch: Warum wird das Auto plötzlich langsamer, bremst am großen fetten Vorfahrtschild? Im nächsten Moment hört Luis auch schon die Sirene, ein Krankenwagen pfeift aus der Nebenstraße vor ihm über die Kreuzung – da hat sein Auto mitgedacht. Ein Szenario aus einem Science-Fiction-Film? Keinesfalls. Wenn es nach Hamburger NXP-Manager Jan-Philipp Gehrmann geht, werden solche mitdenkenden Autos schon in naher Zukunft den Stadtverkehr dominieren und durch eine fast übersinnlich wirkende Voraussicht helfen, viele Unfälle zu vermeiden. „Wir arbeiten hier an Techniken, die den Autos gewissermaßen einen sechsten Sinn verleihen“, sagt Gehrmann über die Entwicklungsarbeiten des niederländischen Elektronikunternehmens in Deutschland.

Drahtloses Warnsystem zwischen Autos, Ampeln und Krankenwagen

Vom „sechsten Sinn“, der Autos befähigt, „um die Ecke oder durch Wände zu schauen“ und unsichtbare Gefahrenquellen für den Fahrer sichtbar zu machen, sprechen die NXP-Entwickler freilich nur, wenn sie ihr Projekt allgemein verständlich für Laien erklären. In ihrer nüchternen Fachsprache ist eher „V2V“ oder „V2I“ die Rede. Das sind Kürzel für „Vehicle to Vehicle“ beziehungsweise „Vehicle to Infrastructure“ und sie stehen für die drahtlose Vernetzung von Fahrzeugen untereinander oder zu Infrastruktur-Anlagen wie etwa Ampeln oder Verkehrszählern am Straßenrand. Dabei setzen die Ingenieure auf Funknetzwerke im Straßenverkehr, die unsereins in abgewandelter Form vor allem von Notebooks und Smartphones kennt: WLAN. Und da wiederum auf den speziellen Standard 802-11p, der eigens für die Kommunikation zwischen Autos entwickelt wurde. Diese „Gedankenübertragung“ zwischen den Maschinen muss nicht nur besonders zuverlässig funktionieren, sondern auch vor Fremdangriffen schützen.

Jan-Philipp Gehrmann. Foto: NXP

Jan-Philipp Gehrmann. Foto: NXP

Über zwei Kilometer Reichweite auf dem Lande

Auf freien Landstraßen können sich solcherart ausgerüstete Fahrzeuge auf eine Entfernung von über zwei Kilometern miteinander Informationen wie Geschwindigkeit, Richtung etc. austauschen. In der Stadt mit ihren Häuserschluchten reiche die Verbindung nicht ganz so weit, sagt Jan-Philipp Gehrmann, „aber immer noch ausreichend für die sicherheitsrelevanten Anwendungen“. So kann dann eben auch ein Krankenwagen vollautomatisch über mehrere Kreuzungen hinweg und um undurchsichtige Hausecken herum anderen Fahrzeugen melden, dass er in Eile herangebraust kommt – lange, bevor der menschliche Autofahrer die Gefahrenquelle sieht oder das Sirenensignal mit seinen Ohren orten kann.

Baustellen warnen automatisch vor Auffahr-Unfällen

Auch viele Auffahrunfälle an Baustellen soll diese Technik verhindern: „Wenn eine Baustellen-Ampel schon aus großer Distanz den Autos per WLAN mitteilen kann, dass sie auf Rot steht, können sich die Fahrer beizeiten darauf einstellen“, erklärt Gehrmann. „Oder denken Sie an Überholmanöver auf Landstraßen, wenn Autofahrer an einem Lkw vorbeiziehen wollen und den entgegenkommenden Motorradfahrer zu spät sehen – mit unserer Technologie bekommt er da rechtzeitig eine Warnung.“

Im modernen Großstadt-Verkehr gewinnt das lange Zeit nur theoretisch diskutierte „Internet der Dinge“ bereits praktische Bedeutung: Weltweit arbeiten führende Automobil-Hersteller, -Zulieferer und -forscher daran, die zahlreichen funkfähigen Geräte, die heute schon auf den Straßen unterwegs sind, zu vernetzen, um den Verkehr sicherer und bequemer zu machen: Die Funkblasen von Smartphones zum Beispiel können wie ein Annäherungsalarm zwischen Fahrzeugen und Fußgänger wirken, aber auch Navi-Geräte und Radarsensoren im Autos oder GPS-Halsbänder für Hunde können – miteinander vernetzt – Unfalle vermeiden helfen. Foto: NXP

Im modernen Großstadt-Verkehr gewinnt das lange Zeit nur theoretisch diskutierte „Internet der Dinge“ bereits praktische Bedeutung: Weltweit arbeiten führende Automobil-Hersteller, -Zulieferer und -forscher daran, die zahlreichen funkfähigen Geräte, die heute schon auf den Straßen unterwegs sind, zu vernetzen, um den Verkehr sicherer und bequemer zu machen: Die Funkblasen von Smartphones zum Beispiel können wie ein Annäherungsalarm zwischen Fahrzeugen und Fußgänger wirken, aber auch Navi-Geräte und Radarsensoren im Autos oder GPS-Halsbänder für Hunde können – miteinander vernetzt – Unfalle vermeiden helfen. Foto: NXP

Roboterauto kümmert sich ums Bremsmanöver

Im ersten Technologieschritt, den die NXP-Entwickler in Hamburg auf der Agenda haben, sollen die Fahrer dann Warnhinweise vom Bordcomputer erhalten. Im zweiten Schritt soll auch die Reaktion auf die Gefahr automatisch folgen: Empfängt ein mit Fahrerassistenzsystemen vollgepfropftes Roboterauto solch einen Funkalarm, kann es selbstständig die Geschwindigkeit reduzieren oder ein Bremsmanöver einleiten.

Flächeneinsatz wohl zuerst in USA und Japan

Obzwar in Deutschland mitentwickelt, wird die direkte Kommunikation zwischen Autos und der Infrastruktur – V2X – wohl zuerst in den USA und in Japan den Automobilen großflächig eingepflanzt, prognostiziert Jan-Philipp Gehrmann. Dort arbeitet vor allem General Motors aktiv an dieser Technologie und hat sie auch schon in Cadillac-Oberklassewagen vorgeführt. „In den USA sind derzeit rund 3000 Autos mit solcher Technik unterwegs und wir gehen davon aus, dass sich die Zahl bis Ende des Jahres auf 30.000 erhöht“, schätzt Gehrmann. Für 2016 erwartet die Fachwelt, dass in den Vereinigten Staaten eine Verordnung beschlossen wird, dass neue Autos grundsätzlich mit dem der W-LAN basierenden V2X Technologie ausgestattet werden müssen. „2020 könnten dann 100 Prozent der neuzugelassenen Autos in den USA damit ausgerüstet sein“, meint der NXP-Manager.

Ende 2016 erste Serienfahrzeuge

In einer Testfahrt von Wien über München nach Rotterdam, die NXP zusammen mit Partnern wie Siemens und Cohda-Wireless im Jahr 2014 organisiert hatte, konnte die Technologie schon ihre Praxistauglichkeit beweisen. Und im Hafengelände Hamburg kommunizieren bereits Laster und Ampeln im Zuge eines Pilotprojekts über diese Funksignale, um Frachtransporte zu optimieren. Ab Ende 2016 werden erste Serienfahrzeuge mit der NXP Technologie ausgestattet sein.

-> Mikrochip-Abc

Dieses Interview ist in Vorbereitung für das „Mikrochip-Abc“ entstanden. Das „Mikrochip-Abc“ ist ein Handbuch über moderne Mikroelektronik für Schüler ab Klasse 8. Es wird vom Dresdner Unternehmen „3D:it UG“ produziert und demnächst veröffentlicht. Weitere Informationen über dieses Schulbuch sind hier im Internet zu finden: mikrochip-abc.com

Zum Weiterlesen:

NXP im Kurzporträt

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt