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DVD „Alois Nebel“: Die Dämonen des Studetenlandes nachgezeichnet

In düsteren Grautönen gehalten: der einsame Bahnhofs-Vorsteher Alois Nebel. Der Film wurde mit dem Schauspieler Miroslav Krobot in der Hauptrolle gedreht, die Szenen dann nachgezeichnet. Abb.: Goodmovies

In düsteren Grautönen gehalten: der einsame Bahnhofs-Vorsteher Alois Nebel. Der Film wurde mit dem Schauspieler Miroslav Krobot in der Hauptrolle gedreht, die Szenen dann nachgezeichnet. Abb.: Goodmovies

Indie-Filmemacher tauchen stilistisch interessante in die tschechische Vergangenheit

1989: Alois Nebel ist Vorsteher an einem einsamen Bahnhof im ehemaligen Studetenland, im Altvatergebirge nahe der polnischen Grenze. Das kommunistische Regime ist schon halb in Auflösung begriffen und so verschieben tschechische Schmuggler und sowjetische Offiziere unter den angestrengt zugedrückten Augen der Polizei fleißig Zigaretten und Konserven. Doch Nebel plagen nachts, wenn die Züge vorbeigedampft sind, ganz andere Dämonen: Blitzartige Erinnerungen an die Zeit kurz nach dem Kriege, als er noch ein kleiner Junge war und die deutschstämmigen Einwohner aus dem Sudetenland vertrieben wurden: Von tschechischen Freischärlern in Viehwaggons verfrachtet, oft auch brutal misshandelt, vergewaltigt, manche auch kurzerhand erschossen. Nebel flieht vor seinen alten Albträumen in eine Irrenanstalt, in der er den „Stummen“ kennenlernt, der irgendetwas mit den Ereignissen damals zu tun hat…

Werbevideo (negativfilm):

Filmszenen per Rotoskopie in Animationsstreifen verwandelt

Der abendfüllende Animationsfilm „Alois Nebel“ ist nicht nur ein bemerkenswertes Stück später tschechischer Vergangenheitsaufarbeitung, sondern auch technisch-formell ein ganz besonderes Kleinod: Regisseur Tomáš Lunák ließ das comic-artig, ja spartanisch wirkende Drama zunächst durch echte Mimen spielen, mit einer glanzvoll-sparsamen Performance ganz vorneweg Miroslav Krobot als Bahnvorsteher Nebel. Dann setzte er das sonst nur noch selten verwendete Rotoskopie-Verfahren ein, um die Filmaufnahmen von Grafikern nachzeichnen und um klassische sowie 3D-Animationen ergänzen zu lassen. Das Resultat ist von verblüffender Qualität und Lebendigkeit.

Es gibt kein Schwarz oder Weiß – nur Graustufen

Das Kuckucksnest lässt grüßen: Der "Stumme" wird in der Klapse mit Elektroschocks behandelt. Abb.: Goodmovies

Das Kuckucksnest lässt grüßen: Der „Stumme“ wird in der Klapse mit Elektroschocks behandelt. Abb.: Goodmovies

Zuerst habe man an reine, eher holzschnittartige Schwarz-Weiß-Grafiken gedacht, sich zugunsten künstlerischer Nuancen aber dann doch für Graustufen-Animationen entschieden, erzählen der Regisseur und die Produzenten in der Bonussektion der DVD (ab 28. 11.2014 erhältlich), die auch geschnittene Szenen, Bildergalerie und andere interessante Extras enthält. Und zu dieser Entscheidung kann man die Macher nur beglückwünschen: So atmosphärisch enorm dicht und bewegend bekommt man diese Technik nur selten auf der Heimkino-Leinwand zu sehen, das letzte Beispiel von ähnlicher Qualität dürfte wohl die Verfilmung „Der Dunkle Schirm“ nach Philip K. Dick gewesen sein.

Hohe Schauspielkunst in einen Comic gegossen

Aber nicht nur technisch-formell ist „Alois Nebel“ ein ganz bemerkenswerter Film, sondern auch in seiner schauspielerischen Güte, seiner ruhigen und doch so lebendigen Kameraführung – und in seinem Mut, Themen anzuschneiden, die in Tschechien lange Zeit als tabu galten: Dass eben die Tschechen auf das schlimme Unrecht, dass ihnen Nazi-Deutschland antat, nach dem Krieg mit Unrecht antworteten. Dass die Vertreibung der Sudetendeutschen 1945/46 alles andere als ein „sauberer chirurgischer Eingriff“ war, sondern sich einstige Nachbarn Dinge antaten, die vorher unvorstellbar erschienen.

Abb.: Goodmovies

Abb.: Goodmovies

Fazit: Angucken!

Eine Perle für jeden Cineasten – formell wie inhaltlich bemerkenswert. Autor: Heiko Weckbrodt

„Alois Nebel“ (Neue Visionen/Goodmovies), Rotoskopie-Animationsfilm, Tschechien 2011 (DVD: 2014), Deutsch/Tschechich/Russisch mit Untertiteln, Regie: Tomáš Lunák, mit Miroslav Krobot, 82 Minuten, FSK 12, DVD ab 28.11.2014 erhältlich

 

Zum Weiterlesen:

Psychodelische Verfilmung „Der dunkle Schirm“ mit Starbesetzung

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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