Kommentar & Glosse
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Kehrseite der digitalen Welt: Der Briefkasten wird zum Hassobjekt

Bäh: Der Briefkasten, Hort der Rechnungen und des Analog-Spams. Abb.: Tarawneh/ Wikipedia

Bäh: Der Briefkasten, Hort der Rechnungen und des Analog-Spams. Abb.: Tarawneh/ Wikipedia

Letztens habe ich mich selbst bei einer unterbewussten Leid-Vermeidungs-Strategie erwischt: Als ich wie immer auf den letzten Drücker aus dem Haus stürmte, wie immer den Briefkastenschlüssel zückte – und inne hielt. Eigentlich, so wurde mir klar, wollte ich das Ding gar nicht öffnen.

Was konnte da – außer der Zeitung – schon drin sein? Die Mahnung vom Finanzamt, das Knöllchen vom Ordnungsamt, die Quengelei der GEZ und nichtsnutzige Werbung ohne Ende. Können Sie sich noch an jene vordigitalen, seligen Zeiten erinnern, als man voll Vorfreude zum Briefkasten eilte, in der Hoffnung auf einen handgeschriebenen Freundesbrief, auf die Benachrichtigung „Ein Westpaket wartet auf Sie?“

Doch wer schreibt im E-Mail-Zeitalter noch Briefe, wer schickt Päckchen außer Amazon & Co., die eh per E-Mail vorab angekündigt werden? Na schön, der Gerechtigkeit halber sei zugegeben, dass man per E-Mail heute viel mehr Post bekommt als früher. Aber unser aller Begeisterung darüber hält sich doch eher in Grenzen. Ganz abgesehen davon, dass man sich in analogen Zeiten nur hinsetzte, um einen Brief zu schreiben, wenn man dem lieben Freund wirklich etwas zu sagen hatte, dass man gar einen gewissen literarischen Ehrgeiz entwickelte. Nichts könnte weiter davon entfernt sein als die unzähligen Newsletter, die man heute per E-Mail empfängt, die falschen Liebesgrüße aus Hongkong, die Preisungen pharmazeutischer Ingenieurskunst, die da im Spam-Fach landen.

Nicht dass ich wirklich tauschen wollte – aber welch freudige Ãœberraschung war es doch, als ich jüngst eine Piraten-Ansichtskarte von der Ostsee im Briefkasten hatte, handgeschrieben von meinem Patenkind. Ich habe daraufhin beschlossen, den Briefkastenschlüssel doch nicht in den nächsten Gully zu werfen. Und manchmal ertappe ich mich bei ganz undigitalen Gedanken wie: „Gepriesen seien sie, die schönen, alten analogen Zeiten“, seufzt der Oiger…

Heiko Weckbrodt

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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