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Chefphysikerin: Mutter dachte, ich werd Krankenschwester

Frauen bereichern die Physik. Foto: CERN, Montage: hw

Frauen bereichern die Physik. Foto: CERN, Montage: hw

Claudia Felser durfte nur auf die Realschule – heute leitet sie ein Planck-Institut in Dresden

Prof. Claudia Felser. Foto: MPI-CPFS

Prof. Claudia Felser. Foto: MPI-CPFS

Dresden, 11. Oktober 2014: Als Claudia Felser in den 60ern im Rheinland aufwuchs, ging es doch noch recht konservativ zu. Erst wenige Jahre zuvor war aus dem westdeutschen BGB der Paragraf gestrichen worden, der Frauenarbeit nur erlaubte, wenn der Gatte sein Okay gab. „Meine Mutter war überzeugt, dass ich mal Krankenschwester werde und mir einen Mann angele“, erzählt die Tochter eines Programmierers. Deshalb wurde sie, anders als ihre Brüder, auch nicht aufs Gymnasium, sondern in die Realschule geschickt. Bis dort ein Mathelehrer erkannte, welche Talentverschwendung das war und das Mädchen zum Gymnasium lotste.

Heute ist Claudia Felser 52 Jahre alt und eine Direktorin des renommierten Dresdner Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe. Wenn sie gerade nicht ihre 200 Forscher und Forscherinnen dirigiert, jagt sie mysteriösen Elektronen-Paaren hinterher, versucht sie herauszubekommen, warum manche tiefgekühlte Hightech-Keramiken plötzlich anfangen, Strom widerstandslos zu leiten.

Auf einer DGF-Tagung in Dresden bleiben Physikerinnen unter sich

In der kommenden Woche wird sie auf Einladung der „Deutschen Physikalischen Gesellschaft“ (DPG) vor etwa 200 jungen Wissenschaftlerinnen auf der „18. Deutschen Physikerinnentagung“ (16.-19. Oktober) in Dresden den Eröffnungsvortrag über die Zukunft der Computertechnik in der „Spintronik“ halten. Und sie wird die Forscherinnen ermutigen, in den männlich dominierten Naturwissenschaften nicht lockerzulassen.

Mentoren halfen an Karrierekurven

Jetzt mag Felser für andere Frauen ein Vorbild sein. Doch ihre steile Karriere in einer Disziplin, die eigentlich als Männerkram verschrieen ist, war für die Physikerin und Chemikerin alles andere als eben: „Man muss natürlich erst mal sehr gut sein, um sich als Frau unter lauter männlichen Physikern zu behaupten“, sagt sie. „Aber es gehört eben mehr dazu: Man muss ambitioniert sein, eloquent, ehrgeizig und neben aller Exzellenz vor allem auch Durchhaltevermögen haben“, legt sie jungen Naturwissenschaftlerinnen, die bei ihr promovieren, gern und oft ans Herz.

„Nach der Promotion war ich geschieden“

Sicher sei es für sie eine Art Startbonus gewesen, dass Interesse an Technik und Mathematik in der Familie lagen und sie unter vier Brüdern beizeiten gelernt habe, wie Männer ticken. „Vor allem aber hat mir sehr geholfen, dass es auf allen Stufen meiner Karriere Mentoren gab, Männer wie Frauen, die mich unterstützt haben, die erklärt haben, worauf es ankommt, worauf man sich konzentrieren muss, wie manche Dinge laufen.“ Freilich habe ihr Weg private Zölle gefordert. „Ich habe Familie und Wissenschaft nicht wirklich unter einen Hut bekommen: Nach meiner Promotion war ich geschieden.“

Nehmen Sie sich keinen Akademiker mit der selben Spezialisierung!

Aus der Erfahrung heraus hat sie jetzt immerhin einen Partnerschafts-Tipp für Kolleginnen: „Nehmen Sie sich lieber keinen Akademiker, der sich auf das gleiche Gebiet spezialisiert hat“, rät sie. „Kaum ein Institut braucht zwei Leute mit der selben Spezialisierung. Die Chance, in der gleichen Stadt eine Berufung zu bekommen, sinkt damit automatisch.“ Auch gerate man in Deutschland schnell in den Ruch von Vetternwirtschaft, wenn ein Paar ans selbe Institut berufen werde. Dies müsse sich unbedingt ändern, damit Frauen akademische Berufe und Familie künftig besser vereinbaren können, sagt Felser: „In den USA sind solche ,Dual Career’-Lösungen selbstverständlich.“

Physikerinnen wollen weibliche Netzwerke stärken

^Dr. Irena Doicescu. Foto: TUD

Dr. Irena Doicescu. Foto: TUD

Solche und andere Ratschläge werden sicher auch auf der Tagung in Dresden eine Rolle spielen – auch wenn die sich vor allem auf das Fachliche fokussiert. „Für uns war es wichtig, Physikerinnen die Chance zu geben, auch mal untereinander zu sein, wenn sie Forschungsergebnisse diskutieren“, betont Experimentalphysikerin Dr. Irena Doicescu von der TU Dresden, die zum hiesigen Organisationsteam der Tagung gehört. „Und wir wollen damit weibliche Netzwerke in einer typischen Männerdisziplin knüpfen und stärken.“

Männer arbeiten mehr statt weniger, wenn ein Kind kommt

Zwar sei die Zeit der plumpen Vorurteile nach dem Motto „Frauen haben keinen Plan von Naturwissenschaft“ schon zu ihrer Studienzeit längst passé gewesen, betont die 42-jährige Forscherin. „Aber wenn es hochkam, lag der Frauenanteil in den Physikseminaren vielleicht bei fünf Prozent.“ Je kleiner die Seminargruppen im Studium waren, umso mehr habe sei sie als Frau mit Machtspielen der männlichen Kommilitionen konfrontiert gewesen, erzählt sie. „Wenn man sich noch um ein Kind kümmern muss, ist es schwierig, ständnig so Präsenz zu zeigen wie die Kollegen. Um gute Stellen zu bekommen, ist Präsenz aber sehr wichtig.“ Bei männlichen Kollegen sei es oft gerade genau anders herum als bei Physikerinnen, die sich als Mütter weniger im Institut hervortun können: „Viele Physiker arbeiten mehr statt weniger, wenn ein Kind kommt“, hat Doicescu beobachtet.

Viele Entscheidungen in Männer-Bierrunden

Inzwischen seien Frauen in Physik und Chemie zwar präsenter, meinen Doicescu wie Felser. Aber gewisse Mechanismen wirken eben immer noch. „Während die Frauen nach Hause eilen, gehen die männlichen Kollegen nach der Arbeit ein Bier zusammen trinken und treffen dabei wichtige Entscheidungen“, weiß Felser. „Solche Sachen muss man sofort offen ansprechen, sonst setzt sich das immer so fort.“

Männliche „Brute Force“ versus weibliche Intuition?

Als Direktorin achte sie nun sehr darauf, dass auch Physikerinnen zum Zuge kommen, setze gerne auf gemischtgeschlechtliche Teams. Denn Frauen würden in die Naturwissenschaften ganz eigene Lösungsansätze einbringen. „Viele männlicher Physiker reagieren mit ,Brute Force’* oder steigern sich bis in die kleinsten Details hinein, wenn Probleme auftauchen – das ist zumindest mein persönlicher Eindruck“, sagt Felser. „Nun werden sicher viele Kollegen auch sagen, sie arbeiten intuitiv. Aber im Vergleich zu Männern sehe mich als eher intuitiv, weniger detailversessen, aber ganzheitlicher orientiert. Daher halte ich gemischte Teams für ein erfolgreiches Konzept.“ Autor: Heiko Weckbrodt

18. Deutsche Physikerinnentagung“ der DPG in Dresden, Physikgebäude der TU Dresden, Haeckselstraße 3, mit Kinderbetreuung und Schülerinnen-Programm, Anmeldung im Netz: physikerinnentagung.de
 
* Unter „Brute Force“ versteht man das Konzept, Widerstände durch noch mehr Energieeinsatz zu überwinden. In der Mikroelektronik zum Beispiel bedeutet „Brute Force‘ die Möglichkeit, die Leistung von Grafikkarten oder Prozessoren durch höheren Takt und mehr Transistoren statt durch architektonische Änderungen zu erhöhen.
 

Zum Weiterlesen:

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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