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Schwarzes Loch im Labor durch Atomkette simuliert

Supermassives Schwarzes Loch im Zentrum einer Akkretionsscheibe (Künstlerische Darstellung; NASA/JPL-Caltech)

Supermassives Schwarzes Loch im Zentrum einer Akkretionsscheibe (Künstlerische Darstellung; NASA/JPL-Caltech)

Physikerin ahmt mit einer eindimensionalen Elektronen-Hüpfpartie tödliche Gravitationsfallen aus dem All nach

Dresden, 16. November 2022. Weil Schwarze Löcher im All zu weit weg und zu tödlich für Raumfahrer sind, hat die niederländisch-sächsische Forscherin Lotte Mertens eine eindimensionale (1D) Atomkette geknüpft, die solche Schwerkraft-Monster im Labor simuliert. Das haben das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden und die Uni Amsterdam mitgeteilt.

Forscherin will „unerreichbare Physik unglaublicher Objekte“ ergründen

Mit Mertens 1D-Atomkette lässt sich womöglich künftig auch ohne Raumschiffe untersuchen, wie Schwarze Löcher die Raumzeit in ihrer Nachbarschaft verbiegen und wie sich Teilchen auf beiden Seiten des – eigentlich nur in eine Richtung überwindbaren – Ereignishorizonts miteinander verschränken. „Ja, das funktioniert tatsächlich“, ist die angehende Doktorin der Physik überzeugt. „Wir wollten die wirkungsvollen Werkzeuge der Physik der kondensierten Materie nutzen, um die unerreichbare Physik dieser unglaublichen Objekte zu ergründen: Schwarze Löcher.“

Wenn superschwere Sterne kollabieren, hinterlassen sie ein Loch im All

Schwarze Löcher entstehen, wenn ein sehr schwerer Stern am Ende seines „Lebens“ in sich zusammenstürzt und dabei auf kleinstem Raum soviel Schwerkraft entsteht, dass nicht einmal mehr Licht aus diesem Objekt entweichen kann. Dadurch ist an dieser Stelle eben nur noch eine schwarzes Loch im Kosmos zu sehen. Die kollabierten Sterne verzerren dafür die Raumzeit um sich zu einer Art Kugel. Diese Grenze, ab der es auch für sich näherende Teilchen, Lichtquanten oder Raumsonden keinerlei Rückkehrmöglichkeit mehr gibt, nennt sich Ereignishorizont.

Hawking prophezeite Strahlungseffekte nahe am Ereignishorizont

Laut den Prognosen des britischen Physikers Stephen Hawking verraten sich Schwarze Löcher dennoch durch eine Wärmestrahlung, die durch Quantenfluktuationen jenseits des Ereignishorizonts entstehen. Allerdings ist diese mutmaßliche Hawkings-Strahlung so schwach, dass sie mit Teleskopen von der Erde aus bisher nicht direkt nachgewiesen werden konnte.

„Wie ein Stück Materie, das sich dem Horizont nähert“

Um die Hawkings-Strahlung, aber auch die seltsamen Quanteneffekte beidseits einer Ereignishorizontes künftig dennoch nachweisbar zu machen, simuliert Mertens die Schwarzen Löcher nun durch eine Kette einzelner Atome. In dieser Kette können Elektronen nur von Glied zu Glied springen. Die verformte Raumzeit der echten Schwarzen Löcher ahmt die Forscherin nach, indem sie einstellt, wie leicht die Elektronen zwischen den einzelnen Stellen springen. „Mit der richtigen Einstellung der Sprungwahrscheinlichkeit entlang der Kette verhält sich ein Elektron, das sich von einem Ende der Kette zum anderen bewegt, genau wie ein Stück Materie, das sich dem Horizont eines Schwarzen Lochs nähert“, heißt es vom IFW. „Und analog zur Hawking-Strahlung zeigt das Modellsystem Ausschläge, die sich genau so verhalten, als ob sie eine Temperatur hätten.“

Nun können sich Astrophysiker daran setzen, synthetische Schwarze Löcher im Labor zu analysieren, ohne Gefahr zu laufen, von ihnen zerrissen und aufgesaugt zu werden.

Autor: hw

Quellen: IFW Dresden, Uni Amsterdam, Linkedin

Wissenschaftliche Publikation:
Lotte Mertens, Ali G. Moghaddam, Dmitry Chernyavsky, Corentin Morice, Jeroen van den Brink, und Jasper van Wezel: „Thermalization by a synthetic horizon“, in: Phys. Rev. Research 4, 043084, im Netz hier aufrufbar: Phys. Rev. Research 4, 043084 (2022) – Thermalization by a synthetic horizon (aps.org)

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt