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Erde wuchs zwischen Silkat-Dampf und Schneelinie im All

Diese - nicht maßstabsgetreue - Visualisierung zeigt unser Sonnensystem. Vorne rechts (von der Sonne nach außen): Merkur, Venus, Erde und Mars, danach der Asteroidengürtel. Links oben dann Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Da der Pluto nicht mehr als Planet gezählt wird, ist er auch hier nicht mit zu sehen. Visualisierung: Harman Smith und Laura Generosa, Nasa, in: Wikimedia (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Solar_sys8.jpg), Gemeinfrei (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de)

Diese – nicht maßstabsgetreue – Visualisierung zeigt unser Sonnensystem. Vorne rechts (von der Sonne nach außen): Merkur, Venus, Erde und Mars, danach der Asteroidengürtel. Links oben dann Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Da der Pluto nicht mehr als Planet gezählt wird, ist er auch hier nicht mit zu sehen. Visualisierung: Harman Smith und Laura Generosa, Nasa, in: Wikimedia, Gemeinfrei

Heidelberger Simulation erklärt Planeten-Genese an bestimmten Druckschwellen im Solarsystem

Sonnensystem/Heidelberg, 31. Dezember 2021. Unsere Erde wie auch die Planeten in vielen anderen, fernen Sonnensystemen entstehen an bestimmten Druckschwellen im All. Und deren Positionen sind keineswegs zufällig, sondern ergeben sich aus physikalischen Kennwerten wie etwa dem Schmelztemperaturen von Siliziumverbindungen im Vakuum. Das haben Forschende vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg durch Computersimulationen herausgefunden.

Unser Sonnensystem wohl eher ein Sondermodell im All

Laut diesen Simulationen ist es auch nicht allein der mangelnden „Sehschärfe“ heutiger Teleskope geschuldet, dass wir in den Weiten des Kosmos bisher viel mehr Riesenplaneten als erdähnliche Gesteinplaneten entdeckt haben: Die besondere Konstellation in unserem Heimat-Sonnensystem – innen mittlere Steinplaneten wie Erde, Mars und Venus, außen Gasriesen wie Jupiter und Saturn – ist demnach nämlich eher selten anzutreffen. Die Standardausführung eines Sonnensystems in unserer Galaxis sieht wohl eher so aus, dass auch in den inneren, prinzipiell für Leben nach unserer Art geeigneten Bereichen sehr große Planeten mit erdrückender Schwerkraft entstehen.

Planeten wachsen aus Scheibenklumpen

Hintergrund: Die meisten Astrophysiker gehen bereits seit längerem davon aus, dass Planeten wie die Erde aus Scheiben voller Gas und Staub entstehen, die junge Sterne umkreisen. In diesen rotierenden Akkretionsscheiben, die auch „protoplanetare Scheiben“ genannt werden, klumpen sich nach einer gewissen Zeit kleine Staubteilchen zu größeren Gebilden zusammen. Die ziehen dann immer mehr Partikel aus der Scheibe an sich und wachsen zu Keimzellen von Planeten – sogenannten Planetesimalen mit etwa 100 Kilometern Durchmesser. Und daraus können dann Planeten entstehen.

Durch die dünne Luft auf der Hochebene ist der Sternenhimmel über ALMA ziemlich klar. Foto: ESO/C. Malin

Das Alma-Observatorium in Chile. Foto: ESO/C. Malin

Alma-Foto offenbarte Ringen und Lücken in ferner Planetenscheibe

Allerdings haben sich die Astronomen schon immer gefragt, warum die Planeten in unserem Sonnensystem und offensichtlich auch rund herum um andere Sterne an ganz bestimmten Stellen und mit bestimmten Abständen entstehen, deren Gesetzmäßigkeiten schon Johannes Kepler im 16. Jahrhundert aufgefallen waren. Neu entfacht wurde diese Diskussion, nachdem die europäische Raumfahrtagentur Esa das Alma-Observatorium („Atacama Large Millimeter/submillimeter Array“) 2013 in Betrieb genommen hatte. 2014 schoss Alma ein besonders detailliertes Foto der protoplanetare Scheibe um den jungen Stern HL Tauri, der etwa 450 Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Darauf konnten die Astronomen erstmals ein regelmäßiges Muster aus Ringen und Lücken in solch einer Scheibe sehen.

Diese Aufnahme des Alma-Observatoriums zeigt eine protoplanetare Scheibe um den Stern HL Tauri. Zu erkennen sind die Muster aus Ringen und Lücken, die auf Druckschwellen und an diesen Stellen entstehende Planeten hinweisen. Abb.: Alma, Eso

Diese Aufnahme des Alma-Observatoriums zeigt eine protoplanetare Scheibe um den Stern HL Tauri. Zu erkennen sind die Muster aus Ringen und Lücken, die auf Druckschwellen und an diesen Stellen entstehende Planeten hinweisen. Abb.: Alma, Eso

Fallende Klumpen an Druckschellen ausgebremst

Daraus entstand dann eine Theorie, die die Heidelberger nun in ihren Simulationen bestätigen konnten: So führen bestimmte physikalische Werte in solchen Scheiben zu Grenzen, an denen der Druck im Gas-Staub-Gemisch abfällt. Und an solchen „Druckschwellen“ entsteht dann bevorzugt ein Planeten-„Embryo“. Denn die Schwerkraft des Zentralgestirns zieht alle Kieselsteinklumpen („Pebbles“) an, die sich bereits aus Staubkörnchen gebildet haben. Wenn diese Objekte jedoch eine Schwelle erreichen, an der der Druck deutlich ansteigt, bremst das viele von ihnen an dieser Umlaufbahn um den Stern aus. Und das heißt, dass sich vor dieser Schwelle mehr und mehr Staub und Gas zusammenklumpen – nicht zuletzt, weil die dort gefangenen Objekte auch schließlich eine gewisse Schwerkraft entwickeln.

Merkur-Aufnahme der US-amerikanischen Messenger-Sonde. Abb.: NASA / JHU Applied Physics Lab / Carnegie Inst. Washington

Merkur-Aufnahme der US-amerikanischen Messenger-Sonde. Abb.: NASA / JHU Applied Physics Lab / Carnegie Inst. Washington

Kein Planet ohne festen Staub

Laut der Simulation umschließt die innerste dieser Druckschwellen den heißen Raum rund um einen Stern, in dem über 1100 Grad Celsius (rund 1400 Kelvin) herrschen. Dort können Silikatverbindungen, aus denen zum Beispiel Staubkörner bestehen, nur gasförmig existieren. Dort können keinerlei Planeten entstehen und dies ist auch ein Hauptgrund dafür, dass es in unserem Sonnensystem der heiße Merkur der innerste Planet geblieben ist.

Weiter außen gefrieren Wasser und schließlich auch Kohlenmonoxid

Die nächste Schwelle entsteht weiter außen, wo die Scheibe wegen der wachsenden Entfernung zum Stern auf -100 Grad Celsius (etwa 170 Kelvin) abgekühlt ist. Das ist die sogenannte „Schnee-Linie“, an der Wasserdampf direkt vom gasförmigen in den festen Zustand übergeht, also zu Wassereis gefriert. Dieser Temperaturpunkt liegt im All deshalb 100 Grad niedriger als auf der Erde, weil im Kosmos der Druck sehr viel geringer ist. Die dritte Druckschwelle schließlich ist die Kohlenstoffmonoxid-Schneegrenze bei -240 Grad Celsius (170 Kelvin), wo auch CO gefriert.

Diese künstlerische Visualisierung zeigt die europäische Raumsonde "Jupiter Icy Moons Explorer" (Juice), die sich 2022 dem Riesenplaneten Jupiter und seinen Monden nähert. Ins Innere des Gasriesen können die Sonden aber nicht hineinsehen. Die Astrophysiker gehen davon aus, dass darin heiße dichte Materie herrscht, deren Eigengesetze womöglich Quantencomputer ergründen können. Visualisierung: ESA/ATG medialab, Nasa/JPL, J. Nichols

Diese künstlerische Visualisierung zeigt die europäische Raumsonde „Jupiter Icy Moons Explorer“ (Juice), die sich 2022 dem Riesenplaneten Jupiter und seinen Monden nähern soll. Visualisierung: ESA/ATG medialab, Nasa/JPL, J. Nichols

Übereinstimmung überraschte die Wissenschaftler

Als die Heidelberger Wissenschaftler nun ihr Stern-Planeten-System mit diesen drei Druckschwellen in der Computersimulation starteten, bildeten sich tatsächlich an den erwarteten Stellen die Steinplaneten und Gasriesen unseres Sonnensystems – und auch der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter ließ sich damit erklären. „Für mich war es eine völlige Überraschung, wie gut unsere Modelle die Entwicklung eines Planetensystems wie unseres Sonnensystems abbilden konnten – bis hin zu den leicht unterschiedlichen Massen und chemischen Zusammensetzungen von Venus, Erde und Mars“, kommentierte Bertram Bitsch vom Max-Planck-Institut für Astronomie die Befunde.

Die künstlerische Visualisierung zeigt den neuentdeckten Exoplaneten Kepler 62f im Größenvergleuch zu unserer Erde (rechts). Visualisierung: NASA Ames/JPL-Caltech

Die künstlerische Visualisierung zeigt den Exoplaneten Kepler 62f im Größenvergleuch zu unserer Erde (rechts). Visualisierung: NASA Ames/JPL-Caltech

Keine Riesen jenseits der CO-Grenze

Demnach sammelten zum Beispiel Erde und Venus, die zu den inneren Stein-Planeten zählen, vor Milliarden Jahren bevorzugt Material aus der Scheibe, das aus Regionen innerhalb der Erdumlaufbahn stammt. Der wachsende Mars dagegen bediente sich auch aus den äußeren Regionen. Jenseits der „Schnee-Linie“ wiederum konnten Gasriesen wachsen, die 40 bis 100 Mal so viel Masse wie die Erde haben – wie es eben auf Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun zutrifft. Aber jenseits der CO-Eis-Schwelle waren keine dieser Riesen mehr zu finden – dort befindet sich in unserem Sonnensystem der sogenannte Kuipergürtel. Dort kreisen Pluto und viele andere Kleinstplaneten und Asteroiden auf weiten Bahnen um die Sonne. In der Simulation entstand dieser äußere Gürtel einerseits durch Objekte, die originär jenseits der CO-Grenze entstanden, aber nicht genug Materie zum weiteren Wachstum mehr fanden, anderseits durch Irrläufer, die aus den inneren Regionen des Sonnensystems nach außen gewandert sind.

Supererden sind wahrscheinlicher

Zugleich zeichnet sich auch ab, dass Systeme wie unser Heimat-Sonnensystem im All wahrscheinlich nur selten vorkommen. Denn wo und wann sich Druckschwellen in protoplanetaren Scheiben bilden, hängt von der Größe und Temperatur des Zentralsterns ab. Zudem muss sich zwischen Silikat- und Schnee-Linie genug „Baumaterial“ in der Scheibe befinden, damit sich erdähnliche Planeten bilden können. „Eine massereichere Scheibe oder aber auch eine höhere Effizienz bei der Bildung von Planetesimalen würde stattdessen zur Entstehung von ,Super-Erden’ führen, deutlich massereicheren Felsplaneten“, schätzen die Studienautoren ein.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: MPI-A

Wissenschaftliche Publikation:

Andre Izidoro u. a.: “Planetesimal rings as the cause of the Solar System’s planetary architecture” in: „Nature Astronomy“ 2021

 

Die Positionen von Erde und anderen Planeten sind kein Zufall, sondern bestimmten Druckschwellen im All geschuldet, hat eine Heidelberger Simulation gezeigt.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt