Der Roboter-Kurs von Infineon Dresden war und ist umstritten – gilt aber längst als Blaupause für Europas Halbleiterindustrie.
Dresden. In den Dresdner Chipfabriken von Infineon sind sie allgegenwärtig: Roboter. Manche haben knuddelige Robbenbaby-Augen, andere nur Arme. Einige stehen stoisch da und verrichten stundenlang die selben Stahlhandgriffe. Wieder andere rollen durch die Reinraumgänge und weichen artig menschlichen Kollegen aus, denen sie begegnen. „Es war ganz gut, dass wir bei denen die Köpfe dran gelassen haben“, meint Infineon-Automatisierungsexperte Harald Heinrich. „Dadurch haben die Mitarbeiter die Roboter viel besser akzeptiert.“
Auslöser war eine Vierfach-Krise
Denn der Roboter-Kurs, den der Halbleiterhersteller nach der großen Krise 2008/2009 einschlug, war in der Belegschaft und unter den Betriebsräten umstritten. Damals war alles zusammen gekommen: Chipkrise, Finanzkrise, die Qimonda-Pleite und die Weltwirtschaftskrise. Rund 400 Leiharbeiter und auch einige aus der Stammbelegschaft mussten gehen – ganz zu schweigen von den rund 3000, die bei Qimonda ihre Jobs verloren. Damals drohte die Gefahr, dass Infineon ihrer Speicherchip-Tochter in den ökonomischen Orkus folgt.
Dresdner Firmen wuchsen an der Nachautomatisierung von Chipwerken
Daraufhin forcierte das Management eine millionenteure nachträgliche Automatisierung in den älteren Dresdner Fabrikmodulen, die Chips noch auf 200 Millimeter großen Siliziumscheiben (Wafer) herstellen: Zwischen 2010 und 2016 übernahmen Roboter mehr und mehr jener Handgriffe, die bis dahin Menschen erledigt hatten: Sie transportieren seither die Wafer-Boxen zwischen den Bearbeitungsanlagen hin und her, be- und entladen die Maschinen und dergleichen mehr. Entworfen und gebaut wurde ein Großteil dieser Technik von Spezialunternehmen aus der Region wie HAP, Ortner beziehungsweise Fabmatics. Bis heute ist dieses Programm nicht ganz abgeschlossen.
Kopf bleibt dran: Humanoide Roboter buhlen um Sympathie in der Belegschaft
Die Roboter schürten allerdings Ängste, dass die neuen Stahlkollegen die Menschen ganz verdrängen könnten. Dennoch fanden Geschäftsführung und Betriebsrat letztlich zu Kompromissen. Auch die Chipwerker haben sich an den Anblick der Roboter mittlerweile gewöhnt. Dazu tragen die kollaborativen Metralabs-Roboter aus Thüringen bei: Denen haben die Ingenieure eben doch die erwähnten Köpfe gelassen, obwohl sie eigentlich kopflos durch die Chipwerkgänge navigieren und dabei das Reinraumwetter überwachen könnten. Mit ihren putzigen Glaskugelköpfen wirken sie eher wie künstliche Wesen als wie Industrieroboter. Das verhilft ihnen zu Akzeptanz und zu Spitznamen wie „Amor“ (der Liebesgott) oder „I2D2“ (eine Anspielung auf „Starwars“).
Nachteil: Weniger Jobs pro Chipfabrik
Unterm Strich bleiben Vor- wie Nachteile: Einerseits arbeiten in den heutigen Chipfabriken weit weniger Menschen als das früher bei vergleichbaren Produktionsmengen der Fall war. Nur zu Erinnerung: Zeitweise hatte Infineon in Dresden weit über 5400 Mitarbeiter. Von solchen Job-Zahlen sind heute nicht nur Infineon, sondern auch ganz neue Chipfabriken wie die von Bosch in Dresden (geplant sind hier rund 700 Beschäftigte) weit entfernt. Geschuldet ist das vor allem dem hohen Automatisierungsgrad.
Vorteil: Mikroelektronik blieb in Deutschland und erhielt neue Aufträge
Andererseits hat sich durch die straffe Nachautomatisierung Infineon Dresden eben doch halten können. Zudem hat der Standort dadurch Aufträge aus der Autoindustrie gewonnen. Das liegt zwar teilweise auch an der Kupferchip-Technologie, auf die die Fabrik umgerüstet wurde. „Aber die Automatisierung sorgt eben auch dafür, dass wir die hohen Qualitätsanforderungen der Automobilindustrie erfüllen können“, betont Standort-Sprecher Christoph Schumacher.
Sprecher: Nachautomatisierung hat uns wettbewerbsfähig gehalten
Nicht zuletzt wächst die menschliche Belegschaft wieder. Hatte das Unternehmen in tiefsten Krisenzeiten nur noch rund 2000 Mitarbeiter in der Stadt, sind es inzwischen über 2700. Schumacher führt das auf den Roboterkurs zurück: „Wir sind zu einem Mekka der Automatisierung geworden, weil es uns wie vorher keinem anderen gelungen ist, mit Partnern aus der Region alte 200-Millineter-Linien nachträglich zu automatisieren“, sagt er. „Dadurch sind wir sowohl innerhalb des Konzernverbundes als auch international wettbewerbsfähig geblieben.“ Und diesen Argumentationspunkt wiederholt das Management gern und oft: Entweder wir setzen in Hochlohnländern wie Deutschland auf Hochautomatisierung – oder es gibt bald überhaupt keine Mikroelektronik in Europa mehr.
Roboter haben Produktivität der Fabrik um 10 bis 15 % gesteigert
Durch das Roboterprogramm der Jahre 2010 bis 2015 hat die Produktivität der Dresdner Fabrikmodule um etwa zehn bis 15 Prozent zugelegt, schätzt Ingenieur Harald Heinrich. Mittlerweile seien 95 Prozent aller Arbeitsschritte automatisiert, ergänzt Sprecher Christoph Schumacher. Heute seien die 200-mm-Module von Infineon die höchstautomatisierten in der gesamten Industrie. „Die ersten 30 Prozent gingen schnell“, erzählt er. „Es sind die letzten paar Prozente, die richtig schwer sind.“ Mittlerweile sei Dresden damit zu einem Vorbild und einer Blaupause für die gesamte Halbleiter-Branche in Europa und darüber hinaus geworden.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Infineon Dresden, Oiger-Archiv
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