Biologen aus Sachsen und der Schweiz wollen dem Lipid-„DHL“ im Menschen das Wissen um verborgene Krankheiten entreißen.
Dresden/Genf, 30. September 2019. Um Diabetes, Alzheimer, Krebs und andere Krankheiten künftig rascher diagnostizieren zu können, arbeiten Molekularbiologen und Mediziner aus Genf und Dresden derzeit an einer Transportkarte der Fett-Bausteine („Lipide“) in menschlichen Zellen. Die Arbeitsteilung: Die Biotech-Firma „Lipotype“ des Dresdner Lipodomik-Pioniers Prof. Kai Simons stellt die Analysetechnik bereit, damit Prof. Anne-Claude Gavin von der Universität Genf solch eine „Lipid-Audobahnkarte“ erzeugen kann.
Fett-Autobahnkarte der Zelle entsteht
Mit diesem Projekt verknüpfen die Forscher aus der Schweiz und aus Sachsen große Hoffnungen: Wenn sie den „Paketbodendienst der Natur“ erst einmal entschlüsselt haben, könnten Mediziner dieses Lipid-Transportsystem in Zukunft einsetzen, um Medikamente ganz zielgenau in die Kraftwerke und Stoffwechselfabriken der Zellen einzuschleusen. Vor allem aber wäre die Fett-Landkarte ein wichtiger Schritt hin zu künftigen Lipid-Schnelltests. Solche Fett-Tester könnten womöglich rascher und zuverlässiger als Erbgut-Analysen anzeigen, ob ein Mensch eine versteckte Krankheit ausbrütet.
„Lipid-Stoffwechsel spielt wichtige Rolle bei Diabetes, Krebs oder Alzheimer“
„Der Lipid-Stoffwechsel spielt nach neuesten Erkenntnissen eine wichtige Rolle bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs oder Alzheimer“, betonte Prof. Gavin. Die in Fachkreisen „Lipodomik“ genannte Analyse der Fettbausteine im Körper könne Türen öffnen, „hinter denen vielleicht die Antwort auf unsere Zivilisationskrankheiten stecken“.
Vision: Ein Lipid-Schnelltester für daheim
Am Paul-Langerhans-Institut Dresden beispielsweise setzen Wissenschaftler die Fettanalyse-Technik von Lipotype für die Diabetes-Forschung ein. Sie wollen so die Zusammenhänge zwischen dem Lipid-Profil im Blut eines Patienten, zerstörten Bauchspeicheldrüsen-Zellen und dem Insulinmangel bei Diabetikern erkunden. „Unsere Vision ist ein kleines Messgerät, mit dem der Patient in der Arztpraxis oder zu Hause ganz leicht ermitteln kann, ob er eine Veranlagung zu Diabetes vom Typ 1 oder 2 hat“, erklärt Instituts-Direktor Prof. Michele Solimena.
Ein großer Schritt dorthin wäre schon getan, wenn die Biologen endlich voll durchschauen würden, warum und wie mikroskopisch kleine Transportkapseln in unseren Zellen ständig Fette hin- und hertransportieren. Eben dies soll die „molekulare Karte der Lipid-Autobahnen“ der Schweizer Professorin leisten.
Lipide bauen Zellwände, senden Signale – und dienen als Brennstoffe
Klar ist bereits, dass einige Lipide für den Bau der Zellmembranen verantwortlich sind, andere fungieren als Signalgeber, wieder andere dienen als Brennstoff oder als Vitamine. Und in den Zellen gibt es offensichtlich eine Art Paketdienst. Dieses biologische „DHL“ befördert die Lipide zwischen den Fettfabriken, den Kraftwerken, Steuerkernen und anderen Bauteilen der Zelle hin und her. Und diese Reisenden im Mikrokosmos sind auch Geheimnisträger: Wer zu deuten weiß, wieviele Lipide welcher Art da in den Transportern unterwegs sind, vermag Fehlfunktionen im Organismus erkennen, lange bevor der Patient die ersten Symptome spürt.
Schrotflinten-Methode ermöglicht erstmal quantitative Lipid-Analyse
Und da kommt Prof. Simons ins Spiel: Der langjährige Direktor des „Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik“ in Dresden gilt international als führender Lipodomik-Experte. Simons entschlüsselte unter anderem die besondere Rolle der Lipide für den Aufbau von Zellwänden. Und er hat eine innovative Methode entwickelt, um die genaue zahlenmäßige Zusammensetzung verschiedener Lipid-Arten in einer Blutprobe zu ermitteln. 2012 gründeten er und seine Planck-Kollege Dr. Andrej Shevchenko die Lipotype GmbH in Dresden, die diese „Shotgun-Lipidomics-Analyse“ seitdem vermarktet. Um die Lipdomik-Forschung und den Einsatz seiner Analysetechnologie weiter anzukurbeln, hat Simons inzwischen den „Lipidomics Excellence Award“ gestiftet. Dessen erste Preisträgerin ist eben Professorin Gavin aus Genf. Sie darf nun die Lipotype-Technik gratis einsetzen, um ihre Landkarte der Fett-Autobahnen zu zeichnen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Recherche, Lipotype, Oiger-Archiv
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