Ausflugstipp, zAufi
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In den Winkel zum Wolfsberg

Die Lausitzer Umgebindehäuser entstanden historisch durch die Verbindung des slawischen Blockhauses mit dem fränkischen Fachwerkhaus. Foto: Peter Weckbrodt

Die Lausitzer Umgebindehäuser entstanden historisch durch die Verbindung des slawischen Blockhauses mit dem fränkischen Fachwerkhaus. Foto: Peter Weckbrodt

Oigers Wochenendtipp: Totaler Rundblick im Schluckenauer Winkel

Sluknovsko, 30. September 2016. Unser Ausflug führt uns diesmal über die Grenze nach Böhmen. Denn das schöne frühherbstliche Wetter fordert geradezu zum Wandern auf. Wir wollen es ganz umweltfreundlich angehen, fahren ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dies zu beiden Seiten der sächsisch-böhmischen Grenze. Wir wollen in den „Schluckenauer Winkel“ (Sluknovsko).

Bis zum Krieg ein beliebtes Wanderziel

Dieser äußerste Nordzipfel der Tschechischen Republik war bis 1945 überwiegend von Sudetendeutschen besiedelt und stand als Wanderziel hoch im Kurs, weil landschaftlich sehr reizvoll. Dann wurden die Deutschen vertrieben, es folgten Jahre des steten Niederganges im Zuge der Neubesiedlung. Die neuen Bewohner fanden offensichtlich keine Bindung zu der ihnen zugewiesenen neuen Heimat. In DDR-Zeiten konnten wir bei Tagesfahrten in den Schluckenauer Winkel sehen, wie die Landschaft zwar unverändert schön blieb, die Dörfer und Städte aber verkamen. Das schmerzte! Nun haben die Neubürger offenbar eine Bindung zu ihrer neuen Heimat gefunden. Andererseits haben viele von ihnen ihre Arbeit als die bekannt radikale Konsequenz des Einzugs der Marktwirtschaft verloren.

Der letzte Morgendunst zieht ab und gibt den Blick zum Wolfsberg frei . Foto: Peter Weckbrodt

Der letzte Morgendunst zieht ab und gibt den Blick zum Wolfsberg frei. Foto: Peter Weckbrodt

Gastronomisch ausgedünnte Gegend

Wir wollen das Schöne sehen und genießen, dabei den Blick von einigen Schattenseiten nicht abwenden und auch ein wenig auf Spurensuche gehen. Heute ist Verpflegung aus dem Rucksack angesagt, es ist eine gastronomisch eher ausgedünnte Gegend.

Wie für die Modelleisenbahn als Vorbild ist dieser tschechische Triebwagen geschaffen. Foto: Peter Weckbrodt

Wie für die Modelleisenbahn als Vorbild ist dieser tschechische Triebwagen geschaffen. Foto: Peter Weckbrodt

Per Triebwagen nach Brtniky

Genug der einstimmenden Vorrede. Wir fahren an einem Samstag, Sonn- oder Feiertag, nicht in der Woche (!), mit der S-Bahn 08.29 Uhr vom Dresdner Hauptbahnhof bis Bad Schandau, dort steht schon der von der DB AG geleaste Desiro-Triebwagen der Nationalparkbahn U 28 bereit. Die U 28 verbindet Decin über Bad Schandau und Sebnitz mit Rumburk. Die Fahrkarte erwerben wir beim freundlichen Schaffner mit dem Hinweis, dass wir in Mikulasovice dolni nadrazi (unterer Bahnhof) in die U 29 nach Brtniky (Zeidler) umsteigen wollen.

Vollständig saniert zeigt sich dieser Kreuzweg oberhalb von Brtniky.Foto: Peter Weckbrodt

Vollständig saniert zeigt sich dieser Kreuzweg oberhalb von Brtniky.Foto: Peter Weckbrodt

Kreuzweg zum Gottesgrab

Gesagt, getan: Ein kleiner Triebwagen, wie für die Modelleisenbahn gebaut, bringt uns nach Brtniky. Das Dörfchen ist Ausgangspunkt unserer Wanderung. Wir folgen der Rot-Strich-Markierung. Am Ortsausgang geht’s leicht bergauf zu einem Kreuzweg (Krizovoa Vrch) mit den 14 Stationen, die den Jerusalemer Kreuzweg von Jesus für die Gläubigen nachvollziehen. Den Abschluss des 1801 errichteten Kreuzweges bilden die Kapellen der Hl. Dreifaltigkeit und des Gottesgrabes.

Der stattliche Turm auf dem Wolfsberg bietet perfekte Rundsicht. Foto: Peter Weckbrodt

Der stattliche Turm auf dem Wolfsberg bietet perfekte Rundsicht. Foto: Peter Weckbrodt

Aussichtsturm, aber keine Gaststätte

Eingestimmt wie „Durch Böhmens Hain und Flur“ nach Smetanas Vorbild gehen wir weiter, dann schon mit dem Blick auf den 580 m hohen Wolfsberg (Vlci Hora), unserem ersten Tagesziel. Der Anstieg ist durchweg schön schattig, zunächst mäßig steil im Schlussteil etwas stärker. Wir packen das problemlos, nach einer Stunde Wegzeit vom Zug kommen wir oben an. Hier erwartet uns allerdings nicht das erfrischende Böhmische Bier, keine Gastwirtschaft, keine Imbissversorgung! Die dem stattlichen, auf Basaltfelsen stehenden Aussichtsturm sich anschließende Bebauung lässt auf früher gastronomisch bessere Zeiten schließen.

Der Turm besteigt sich sehr angenehm, ohne Angstzustände. Das Plateau ist überdacht und vollständig mit Glas umschlossen. Bänke laden zum Verweilen ein. Dabei haben wir ganz praktisch sowohl den Blick durchs Fenster als auch auf die Bilder darüber. Sie uns sagen, was wir da vor Augen haben, und dies ist auch für verwöhnte Bergfreunde absolute Spitze!

Mit etwas Glück ein Blick bis zum Riesengebirge

Der Wolfsberg steht völlig frei, er hat keine die Sicht behindernde Nachbarn. Die Sicht könnte nur schlechtes Wetter einschränken. Wir erkennen mühelos im Westen Hinterhermsdorf mit dem Turm auf dem Weifberg, dahinter erhebt sich der Lilienstein. Etwas weiter rechts erhebt sich der Tanzplan oberhalb von Sebnitz, weiter rechts steht der Valtenberg, der höchste Berg im Lausitzer Bergland. Czorneboh und Bieleboh erkennen wir mühelos im Norden, im Osten den Kottmar, die Landeskrone und bei guter Sicht auch den Jeschken bei Liberec. Selbst die Bergkette des Riesengebirges wird avisiert. Im Süden grüßen Lausche, Hochwald, Tannenberg und Kaltenberg, unser Staunen nimmt kein Ende.

Städtebund schlug Raubburg kurz und klein

Der Abstieg verläuft gemächlich, wir passieren noch im Waldbereich eine gelegentlich sprudelnde Quelle und die Reste der Berg Schönbuch. Die Burg verärgerte im Mittelalter den starken Oberlausitzer Sechsstädtebund durch räuberisches Auftreten an den Handelswegen. Die Burg wurde 1339 gestürmt, zerstört und nicht wieder aufgebaut.

Dann treten wir ins offene Gelände. Der ab dem Wolfsberg mit Grünstrich markierte Wanderweg führt nicht konsequent geradeaus, er nimmt alles irgendwie Sehenswerte mit. Da bestehen Abkürzungsmöglichkeiten! Erstaunt macht uns, dass zwei in südsüdöstlicher Richtung dominierende Bergkuppen die Lausche und der Hochwald im Zittauer Gebirge sein müssen. Im Schluckensauer Winkel liegt sächsisches Gebiet auch gleich mal südlich vom Böhmischen.

An einer Raststätte in Schönbuch entdecken wir die Villa des Fabrikanten Gustav Jägers, der der Gemeine das Goldene Zeitalter der Textilindustrie brachte. Foto: Peter Weckbrodt

An einer Raststätte in Schönbuch entdecken wir die Villa des Fabrikanten Gustav Jägers, der der Gemeine das Goldene Zeitalter der Textilindustrie brachte. Foto: Peter Weckbrodt

Zeugen aus dem Textilmanufaktur-Zeitalter

Nach cirka 1,5 Stunden Wegzeit vom Wolfsberg nähern wir unserem zweiten Tagesziel, der Kleinstadt Krasna Lipa (Schönlinde). Hier laufen wir an der Kirnitzsch entlang, die hatten wir am Lichtenhainer Wasserfall vermutet. Im schön gelegenen Ort Schönbuch fällt uns eine stattliche Villa auf, die ihre Glanzzeiten aber unübersehbar hinter sich hat. Sie gehörte dem deutschen Fabrikanten Gustav Jäger. Unter ihm erlebte Schönbuch vor dem Ersten Weltkrieg das Goldene Zeitalter des Textil-Manufakturbetriebes. Schönbucher Erzeugnisse genossen einen hervorragenden Ruf!

Schleichender Verfall

Uns fallen die zahlreichen, bereits sanierten Lausitzer Umgebindehäuser auf, auch einige weitere (ehemalige) Fabrikbesitzervillen, die der Aufhübschung noch bedürfen. Da sind auch unübersehbar die von Größe und schleichendem Verfall recht zahlreichen, bis zum Einzug der Marktwirtschaft Lohn und Brot sichernden Fabrikgebäude. Keine Frage, einst war hier eine blühende Landschaft. Klar ist auch, hierher kommt kein Investor, da fehlen ihm die notwendige Infrastruktur und die qualifizierten Arbeitskräfte. Wohl nur die schöne Landschaft, deren noch bessere touristische Nutzung, können dem Schluckenauer Winkel eine Zukunft geben. Wir spüren, dass sich diese Erkenntnis jetzt in praktisches Handeln der Menschen und der Ämter umsetzt.

Blick auf Rumburk, dahinter der in Sachsen liegende Kottmar . Foto: Peter Weckbrodt

Der Markt von Krasna Lipa, einst Schönlinde, zeigt sich richtig schmuck. Foto: Peter Weckbrodt

Hübsche Kleinstadt

Wir erreichen das Zentrum der Kleinstadt Schönlinde, sie gefällt uns auf Anhieb. Selbstverständlich steht auf dem Marktplatz von Schönlinde eine richtig schöne Linde. Hier können wir uns auch über die Gastronomie leiblich stärken. Da bietet sich am Markt die Brauerei Falkenstein an. Hier gibt es ein sehr ordentliches Bier und ebenso schmackhaftes Essen.

Die Rückfahrt mit der U 29 ist spät, der Bus der Linie 434 nach Hrensko ist günstiger. Er nimmt einen Kurs, den wir so sicher noch nicht mit dem PKW gefahren sind, es ist eine richtig schöne Fahrt. Über die uns geläufige Rainwiese erreichen wir Hrensko, nehmen die Fähre hinüber zum Bahnhof Schöna, wo auch gleich die S-Bahn einfährt. Wir haben gute Chancen. noch vor 19 Uhr Dresden Hbf zu erreichen.

Service:

Wanderung im Schluckenauer Winkel, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur samstags, sonn- und feiertags so möglich; Dresden Hbf ab 08,.29 Uhr, Bad Schandau an 09.13 Uhr, weiter mit Nationalparkbahn U 28, Bad Schandau ab 09.18 Uhr, Umsteigen in Mikulasovice dolni nadrasi zur U 29 Richtung Krasna Lipa, Abfahrt 09.56 Uhr, Brtniky an 10.11 Uhr

Rückfahrt: Krasna Lipa ab 16.04 Uhr mit Bus 434 über Hrensko nach Decin, Hrensko an 17.23 Uhr, Übersetzen mit der Fähre, S-Bahn Schöna ab 17.35 Uhr, Dresden Hbf an 18.28 Uhr.

Einer Wanderkarte bedarf es nicht unbedingt, die Beschilderung ist ausgezeichnet. Sehr gut und bei Thalia erhältlich: Cesky Sever „Sluknovsko“ M 1. 25 000, Preis 9,90 Euro

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Ausflugstipp, zAufi

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[caption id="attachment_67607" align="alignleft" width="117"]Peter Weckbrodt. Foto: IW Peter Weckbrodt. Foto: IW[/caption] Peter Weckbrodt hat ursprünglich Verkehrswissenschaften studiert, wohnt in Dresden und ist seit dem Rentenantritt journalistisch als freier Mitarbeiter für den Oiger und die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig.

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