Vor 39 Jahren klauten Unbekannte am helllichten Tag den Sophienschatz aus dem Stadtmuseum Dresden
Dresden, 10. August 2016. Demnächst jährt sich der spektakulärste und wohl auch dreisteste Kunstraub der DDR-Geschichte zum 39. Mal: Am 20. September 1977 stahlen bis heute unbekannte Kriminelle den Sophien-Schatz aus dem Stadtmuseum Dresden – am hellichten Tag, während des ganz normalen Besucherbetriebes. Ein Großteil des Schatzes tauchte Jahrzehnte später in Oslo wieder auf. Doch 17 Schmuckstücke sind immer noch verschollen, der Coup ist bis heute nicht aufgeklärt.
Vitrine auf, Sophienschatz weg
„Ein Museumsmitarbeiter hatte gerade eine Reisegruppe aus der Sowjetunion durch das Museum geführt“, erinnert sich der pensionierte Kriminalpolizist Karl-Heinz Sobierajski an die damaligen Ermittlungen. „Dann wollte er den Besuchern stolz den Sophienschatz im Treppenhaus in der vierten Etage zeigen und entdeckte eine fast völlig leergeräumte Vitrine.“
Schmuckstücke stammten aus den Grabkammern der Sophienkirche
Bald stand fest: Außer wenigen zurückgelassenen Ketten und Ringen hatten Unbekannte fast den gesamten Sophienschatz aus der unzulänglich gesicherten Treppenhaus-Vitrine mitgenommen und waren mit insgesamt 57 Schmuckstücken verschwunden. Diese auch „Ratsschatz“ genannte Sammlung historisch wertvoller goldener und verzierter Ketten, Ringe und anderer Preziosen hatte die Stadt ab 1910 angelegt. Die Kleinodien stammten größtenteils aus den Grabkammern der später gesprengten Sophienkirche am Postplatz. Sie waren bis zu jenem verhängnisvollen 20. September 1977 im Treppenhaus des Stadtmuseums ausgestellt.
Überwachungskamera weggedreht, Schloss geknackt
Bis heute ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt, was genau an jenem Dienstag irgendwann zwischen 10 Uhr und 14.30 Uhr im Stadtmuseum Dresden geschehen war. „Von polizeilicher Warte aus betrachtet, müssen damals mindestens zwei Leute, wahrscheinlich eher drei beteiligt gewesen sein“, sagt der heute 78-jährige Ex-Polizist. „Die Bande hat wahrscheinlich erst den vierten Stock abgesucht, damit ihnen von dort keiner in die Quere kommt. Außerdem haben sie die Überwachungskamera, die auf den Schatz gerichtet war, weggedreht. Einer hat dann auf der Treppe nach unten Schmiere gestanden, einer hat die Vitrine ausgeräumt.“
Phantom-Zeichnung vom Schmiere-Steher?
Womöglich ein dritter Bandit behielt die Landhausstraße von einem Gaubenfenster aus im Auge. Der wurde zufällig von einem Polizisten im Volkspolizei-Kreisamt – der heutigen Polizeidirektion – auf der anderen Straßenseite beobachtet. Durch die Beschreibung dieses Kollegen konnte Karl-Heinz Sobierajski später eine Phantomzeichnung des Verdächtigen anfertigen – damals wurde diese Zeichentechnik allerdings „Subjektives Porträt“ genannt.
Sophienschatz war unzureichend gesichert
Dass die Bande so leichtes Spiel hatte, lag auch daran, dass der Sophienschatz völlig unzureichend gesichert war. „Zu DDR-Zeiten fehlte uns die heutige Sicherheitstechnik“, schätzt Sobierajski ein. „Wir haben es hinterher mal ausprobiert: Das Schloss an der Vitrine konnte man mit einem Taschenmesser oder einer Büroklammer aufbekommen.“ Danach verteilten die Briganten den Schatz wahrscheinlich in ihre Jacken- und Manteltaschen und spazierten seelenruhig mit den anderen Besuchern durch den Haupteingang aus dem Museum, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
Zeichner halfen beim Beute-Katalog
Die Polizei vernahm in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten Hunderte Zeugen. Museums-Mitarbeiter beschrieben dem damaligen Kriminaltechniker und Phantomzeichner Sobierajski sowie dem Grafiker Martin Hänsch aus der Erinnerung all jene Schatzstücke, von denen keine oder nur unscharfe Fotos existierten. Aus diesen und weiteren Unterlagen fertigten die beiden einen Katalog an, der die gesamte Beute zeigte und beschrieb. Diesen Katalog reichte die ostdeutsche Polizei sogar im Westen aus. Auch damals eher ungewöhnlich: Die Staatsanwaltschaft bat die Bevölkerung via DDR-Fernsehen um Zeugenhinweise und andere Tipps.
Hildebrandt-Bande unter Verdacht
Doch der Schatz blieb verschollen. Nach einem Jahr schien sich plötzlich eine Spur aufzutun, als Sobierajski in einer Zeitung einen besonderen Artikel entdeckte. Ein Gerichtsreporter berichtete dort über den Prozess gegen eine bewaffnete Diebesbande, die unter anderem Meißner Porzellan aus dem Spreewaldmuseum Lübbenau gestohlen hatte. Zum Verhängnis geriet der Gang ein Depot mit Diebesgut, Pistolen und Funkgeräten, das sie im Graupaer Forst angelegt hatte. Ein Waldarbeiter entdeckte das Lager zufällig, informierte die Polizei, die legte sich auf die Lauer und konnte schließlich zwei Westberliner Brüder und einen Österreicher schnappen. Und eben dieser Österreicher sah dem Mann auf dem Phantombild, das Sobierajski vom mutmaßlichen „Schmieresteher“ gezeichnet hatte, täuschend ähnlich.
Dazu schien zu passen, dass die Museumsknacker von der anderen Seite der Mauer gekommen waren. Innerhalb der DDR wäre der prominente Sophienschatz ja unverkäuflich gewesen. Doch letztlich bekamen die Dresdner Polizisten von ihren Berliner Kollegen den Bescheid, dass die sogenannte Hildebrandt-Bande nichts mit dem Sophienschatz-Raub zu tun habe. Und so hatte sich auch diese Spur erledigt.
Einzelstück tauchte in England auf
1981 tauchte dann plötzlich in England ein einzelnen goldenes Kettenteil aus der Beute in Hamburg auf. Es kehrte nach Umwegen über Hamburg schließlich 1988 nach Dresden zurück. Doch auch diese Spur verlief im Sande.
Münzhändler wollte Schatz in Oslo versteigern
Erst ein Jahrzehnt später gelang ein wichtiger Durchbruch: Ein Münzhändler versuchte 1999, insgesamt 38 Teile des Sophienschatzes in Oslo zu versteigern. Dank des zu DDR-Zeiten verteilten Kataloges erkannte ein Kunsthändler die Stücke als gestohlen und alarmierte die norwegische Polizei. Die Norweger beschlagnahmten die Stücke. Um die Rückgabe abzukürzen, zahlte das Stadtmuseum den Münzhändler – der die Stücke wohl gutgläubig erworben hatte – aus und bekam so einen Großteil des Sophienschatzes wieder zurück. „Die Spur versandete leider nach einigen Stationen von Käufern und Wiederverkäufern“, erzählt Sobierajski. „Die eigentlichen Drahtzieher hat die Polizei bis heute nicht finden können. Aber eines kann man mit einiger Sicherheit sagen: Die haben ihren Coup damals ordentlich vorbereitet.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Ex-Direktor berichtet morgen über den Fall
Wer mehr über dieses bis heute rätselhafte Verbrechen erfahren will, sollte am Donnerstagabend, 11. August 2016, das Stadtmuseum Dresden, Landhausstraße, besuchen: Ab 19 Uhr berichtet der frühere Direktor Dr. Werner Barlmeyer im Museums-Café über „Die Rückkehr des Sophienschatzes: Vom größten Kunstraub in der DDR bis zur glücklichen Wiederkehr nach Dresden“. Präsentiert wird dort auch eine MDR-Doku zum Thema aus dem Jahr 2013.
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