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Vom Stahl zum Silizium

Zu DDR-Zeiten Stahlkocher, heute Technologieleiter bei Siltronic: Rüdiger Zschoke. Foto: Zschoke, privat

Zu DDR-Zeiten Stahlwerker, heute Linien-Technologieleiter bei Siltronic: Rüdiger Zschoke. Foto: Zschoke, privat

Rüdiger Zschoke koordiniert bei Siltronic ein globales Ingenieurs-Netzwerk

Freiberg, 19. November 2015. Als junger Mann, vor 35 Jahren, war Rüdiger Zschoke Stahlwerker. Er stand am Elektro-Schmelzofen in Freital nahe Dresden und entrang der über 1500 Grad heißen Glut den begehrten Werkstoff für die DDR-Industrie. Heute ist Zschoke 52 Jahre alt und dirigiert ein weltweites Netzwerk von Ingenieuren, die einen noch wertvolleren Hightech-Werkstoff veredeln: Reinstsilizium für die globale Chipindustrie. Als Linien-Technologieleiter sorgt er dafür, dass die Fabriken des deutschen Unternehmens „Siltronic“ in Freiberg, Burghausen und Singapur ganz saubere und glatt polierte Siliziumscheiben (Wafer) ausliefern. Eben so, wie es sich die Großen der Branche wünschen, damit sie auf den Scheiben dann ihre hochintegrierten Schaltkreise produzieren können.

Immer einen „Plan B“ in der Tasche

Sein Weg vom Stahlofen in die Siliziumzucht bei Siltronic Freiberg sei ein gar nicht so untypischer Karriereweg zu DDR-Zeiten gewesen, sagt Zschoke. „Ich habe Stahlwerker als Berufsausbildung mit Abitur gemacht und erst hinterher in Freiberg Werkstofftechnik studiert“, erzählt er. „Da stand damals die Idee dahinter: Wenn man das Studium vergeigt, dann hat man wenigstens einen Berufsabschluss in der Tasche – ein Plan B eben.“

Germanium-Schmelze in Freiberg. Im VEB Spurenmetalle wurden auch die Silizium-Wafer für die Chipindustrie der DDR und große Teile des Ostblocks produziert. Abb.: Siltronic-Archiv

Germanium-Schmelze in Freiberg. Im VEB Spurenmetalle wurden auch die Silizium-Wafer für die Chipindustrie der DDR und große Teile des Ostblocks produziert. Abb.: Siltronic-Archiv

Spurenmetalle Freiberg belieferte den ganzen Ostblock mit Reinst-Silizium

Doch der erwies sich als unnötig: Nach dem Studium stieg er im Volkseigenen Betrieb (VEB) Spurenmetalle Freiberg ein, einem staatlichen Zulieferunternehmen für die DDR-Mikroelektronik. Als Technologe für die Wafer-Verpackung verdiente er sich die ersten Sporen. Die Siliziumscheiben, die er und seine Kollegen damals in der Mache hatten, gingen in den ganzen Ostblock: in die ostdeutschen Chipschmieden in Dresden und Erfurt, aber auch in die Elektronikwerke von Tesla in der Tschechoslowakei und zu den Russen in Selenograd bei Moskau.

Neue Perspektiven nach der Wende

Sieben Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR übernahm das süddeutsche Chemieunternehmen Wacker die Siliziumfabrik im sächsischen Freiberg, gliederte es in seine Halbleiter-Tochter Siltronic ein und investierte Millionen, um die Fabrik auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Auch Zschoke bekam neue Aufgaben, wechselte in die Poliertechnologie und übernahm 2001 die Leitung dieser Abteilung. 2013 übertrug ihm das Unternehmen die Leitung der Linientechnologie in Freiberg und für die entsprechende Abteilung im bayrischen Siltronic-Werk in Burghausen. 2014 kam die Koordination des verantwortlichen Linien-Ingenieurs in Singapur hinzu.

Ein Siltronic-Mitarbeiter kontrolliert einen Siliciumeinkristall. Abb.: Siltronic

Ein Siltronic-Mitarbeiter kontrolliert einen Siliciumeinkristall. Abb.: Siltronic

Vorausschauend arbeiten müsse man können, um diesen Job auszufüllen, sagt Zschoke. „Wenn ich die Ingenieure an den verschiedenen Standorten koordiniere und Arbeitspakete verteile, müssen wir Produktion und Entwicklungsprojekte Monate im voraus planen.“ Natürlich müsse man auch viel technisches Interesse mitbringen, um sich in der Branche zu behaupten – und flexibel sein. Hauptsächlich arbeite und wohne er im sächsischen Freiberg, aber: „Ich bin zum Beispiel jeden Monat eine Woche in Burghausen, um mich dort mit den Kollegen über die aktuellen Aufgaben zu verständigen.“ Das wiederum fordere auch Kompromisse im Privatleben: „Wenn man jeden Monat eine Woche weg ist, dann hat man mit manchen Hobbys Probleme.“

Roboter ersetzt den Rezeptionisten – doch der Mikroelektroniker bleibt gefragt

Doch da ihm die Arbeit Spaß mache, nehme er das gern in Kauf. „Man sitzt hier in der ersten Reihe und sieht mit als erster, welche neuen technologischen Entwicklungen sich weltweit anbahnen“, sagt er. Er könne technisch interessierten jungen Menschen nur nahelegen, über eine Karriere in der Halbleiter-Branche nachzudenken. „Schauen Sie nach Japan, wo man jetzt beginnt, das Personal am Hotel-Tresen durch Roboter zu ersetzen“, argumentiert er. Für den Hotel-Rezeptionisten und andere Dienstleistungs-Berufe sehe es da düster aus – der Mikroelektronik-Experte hingegen sei dann umso mehr gefragt: „Denn ohne Chips funktioniert kein Roboter, kein selbstfahrendes Auto und keine moderne Diagnostik in der Medizin.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Siltronic im Kurzporträt:

Unternehmen: Siltronic AG

Hauptsitz: München

Produktionsstandorte: Burghausen, Freiberg, Singapur, Portland (USA)

Profil: Weltweit drittgrößter Hersteller von Wafern aus Reinstsilizium für die Halbleiterindustrie. Entwicklung und Fertigung Siliciumeinkristallen und -wafern mit Durchmessern von bis zu 300 mm.

Mitarbeiter: weltweit über 4000, darunter rund 850 in Freiberg

Umsatz: 853 Millionen Euro (2014)

-> Mikrochip-Abc

Dieses Interview ist in Vorbereitung für das „Mikrochip-Abc“ entstanden. Das „Mikrochip-Abc“ ist ein Handbuch über moderne Mikroelektronik für Schüler ab Klasse 8. Es wird vom Dresdner Unternehmen „3D:it UG“ produziert und demnächst veröffentlicht. Weitere Informationen über dieses Schulbuch sind hier im Internet zu finden: mikrochip-abc.com

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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